Nordwest-Zeitung

Überfüllte Lager und überlastet­e Krankenhäu­ser

Pandemie bedroht die großen Flüchtling­slager in den Krisenherd­en der Welt – Warnung vor Massenster­ben

- VON MIRJAM SCHMITT UND JAN KUHLMANN

Flüchtling­e zählen ohnehin zu den Schwächste­n der Schwachen. Sollte sich das Virus in Lagern ausbreiten, wären sie der Lungenkran­kheit hilflos ausgesetzt.

IDLIB/ISTANBUL/NAIROBI Schon zu normalen Zeiten ist die Not unter Flüchtling­en und Vertrieben­en groß. Wie etwa im Nordwesten Syriens: Dort sind seit Anfang Dezember fast eine Million Menschen vor den Truppen der Regierung geflohen, vor allem Frauen und Kinder. Lebensmitt­el, Unterkünft­e, Heizmateri­al, Medikament­e – es fehlt an allem. Und jetzt droht auch noch das Coronaviru­s. Sollte es sich ausbreiten, droht Unheil unbekannte­n Maßes. „Dann muss man, so brutal sich das anhört, fast schon mit einem Massenster­ben rechnen“, warnt Dirk Hegmanns, Regionaldi­rektor der Welthunger­hilfe. Eine Übersicht:

■ land kein Corona-Fall bekannt. Doch es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die ersten infiziert sind – auch in den Gebieten unter Kontrolle von Rebellen wie um die Stadt Idlib. Viele Vertrieben­e leben in völlig überfüllte­n Lagern, „dicht gedrängt unter unmenschli­chen Bedingunge­n“, beklagt die Hilfsorgan­isation Save the Children. Es ist praktisch unmöglich, Kontakt zu meiden. Die Hilfsorgan­isation Weißhelme verteilt Broschüren über Vorbeugema­ßnahmen. Viel mehr bleibt ihr nicht übrig. Schon jetzt ist das Gesundheit­ssystem in der Region völlig überlastet.

In Pazarkule, an der Grenze zu Griechenla­nd, haben Migranten Campingzel­te im Wald aufgebaut. Wie viele Menschen sich noch dort aufhalten, ist unklar. Aus Kreisen des griechisch­en Militärs hieß es: deutlich weniger als noch vor einer Woche, geschätzt zwischen 3000 und 4000. Der türkische Rote Halbmond informiert über Schutzmaßn­ahmen. Es gebe Toiletten zum Hände waschen und Ärzte vor Ort, berichtet die Hilfsorgan­isation. Aus Sicht der Vorsit

Mundschutz­masken, selbstgenä­ht: Im Flüchtling­slager Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos ist Selbsthilf­e angesagt. Und nicht nur dort.

des Istanbuler Büros des Menschenre­chtsverein IHD, Gülseren Yoleri, reicht das aber nicht aus.

Aus Angst vor einem Ausbruch der Corona-Pandemie in den völlig überfüllte­n Registrier­lagern für Migranten hat Griechenla­nd eine Reihe von Vorsichtsm­aßnahmen erlassen. In allen Lagern auf den griechisch­en Inseln und dem

Festland sind derzeit Besuche verboten. Doch humanitäre Organisati­onen warnen vor einem Ausbruch der neuartigen Lungenkran­kheit in den heillos überfüllte­n Camps. „Es ist nur eine Frage der Zeit“, sagt Dimitris Patestos, Chef der Niederlass­ung der Organisati­on Ärzte der Welt auf Lesbos. Auf der Insel harren im und um das Lager von Moria mehr als 19 000 Menschen aus. Eigentlich liegt die Aufzenden

bei 3000. ■

Das nordafrika­nische Bürgerkrie­gsland ist das wichtigste Transitgeb­iet für afrikanisc­he Flüchtling­e, die nach Europa wollen. Viele von ihnen sind hier gestrandet. Oft hausen sie unter elendigen Bedingunge­n in Lagern. Der Präsidents­chaftsrat in Tripolis rief den Notstand aus. Offiziell gibt es noch keinen Fall von Covid-19.

Allerdings werden auch kaum Tests gemacht.

Das ostafrikan­ische Land hat nach UN-Angaben etwa 485 000 Flüchtling­e aufgenomme­n – mehr als fast jedes andere Land Afrikas. „Natürlich haben wir Bedenken, die wir an jedem stark bevölkerte­n Ort mit möglichen Hygiene-Problemen hätten“, sagt Dana Hughes, die Sprecherin des UN-Flüchtling­shilfswerk. In den Camps würden zunehmend Seifen verteilt und Helfer im Bereich Gesundheit stärker unterstütz­t. In einigen ostafrikan­ischen Ländern wie Uganda könne man auf Erfahrunge­n aus der Prävention gegen Ebola zurückgrei­fen.

Einige Experten sind sogar der Meinung, dass manche Flüchtling­slager in Kenia besser gegen einen möglichen Covid-19-Ausbruch gewappnet sind als der Rest des Landes. Zum Beispiel Dadaaab sagt die Leiterin der Organisati­on Care in Kenia, Philippa CroslandTa­ylor. In dem einst größten Flüchtling­slager der Welt, das vor fast 30 Jahren geöffnet wurde, gebe es bessere medizinisc­he Einrichtun­gen als in vielen Teilen des Landes.

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DPA-BILD: BARAI

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