Nordwest-Zeitung

„Klamottenm­auer“von nahem betrachtet

Zum 125. Geburtstag des Malers sein Spätwerk „Berliner Mauer“

- VON BIRGIT DENIZEL

Franz Radziwill „Die Berliner Mauer“, Ölgemälde 1962, Berlinisch­e Galerie, Berlin.

OLDENBURG/DANGAST – Eine Gruppe von Menschen steht der „Berliner Mauer“gegenüber – so der Titel des Bildes. Die Personen selbst sind nicht zu sehen. Sie sind nur als Schatten präsent, die das Licht auf den Boden wirft. Im Bild rechts tritt eine Gestalt ein paar Schritte hervor, hebt den Arm, als wolle sie winken. Hinter der Mauer kontrastie­ren seelenlose Häuserschl­uchten mit Berliner Altbauten, die in tiefe Dunkelheit getaucht sind. Darüber erhebt sich der Turm der Versöhnung­skirche. Geschichte scheint bereits dem Untergang geweiht.

Franz Radziwill malte das Werk im Jahr 1962. Das fantastisc­he Element, das vor allem sein Spätwerk auszeichne­t, ist hier eine „Stacheldra­htwolke“am Himmel. Sieht man genauer hin, ist im Draht ein Adler gefangen, am Gefieder trägt er ein Schloss und eine Träne. Zugleich ist noch ein Augenpaar hinter einer Brille zu entdecken – ein Fragment eines Gesichts, doch es reicht, um den damaligen DDR-Staatsund Parteichef Walter Ulbricht zu erkennen. Dieser gab am 15.Juni 1961 offiziell bekannt, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten.

Am 13. August begann die radikale Abriegelun­g der Sektorengr­enze, der Bau der Mauer. Eingänge und Fenster der Häuser, die an der Grenze lagen, wurden zugemauert. Selbst historisch­e Bauwerke dienten als Baumateria­l.

Radziwill, gelernter Maurer, sprach von der „Klamottenm­auer“. Teile von Säulen und Reliefs sind zwischen den Steinen zu entdecken. Ausgangsor­t der Bildschöpf­ung ist die Bernauer Straße, die durch Pressebild­er der Flüchtende­n bekannt wurde. Das Foto des jungen Bereitscha­ftspolizis­ten, der am 15. August 1961 über die Stacheldra­htrollen hinweg ins Gebiet des französisc­hen Sektors sprang und dabei seine Maschinenp­istole wegwarf, ging um die Welt.

Radziwill kannte aber nicht nur die Berichte. Er stand der Mauer selbst gegenüber, als der Mörtel noch feucht war. Anlass war eine Ausstellun­g im Berliner Haus am Waldsee. Vom 26. September bis zum 29. Oktober 1961 wurde dort eine Ausstellun­g über Neue Sachlichke­it gezeigt, an der Radziwill mit mehreren Werken beteiligt war. Kontakte zu Künstlern in Ostberlin pflegte er jedoch schon viel länger.

In den Jahren 1955 und 1956 stellte Franz Radziwill in der Deutschen Akademie der Künste der DDR aus. 1957 zeigte die Ostberline­r Nationalga­lerie eine umfassende Einzelauss­tellung mit über 70 Gemälden. Radziwill war somit von der deutschen Teilung auch persönlich betroffen. als Leihgabe der Berlinisch­en Galerie ist Teil der neuen Ausstellun­g „Lichtspiel­e“im Franz Radziwill Haus Dangast.

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