Nordwest-Zeitung

Milde Strafe für den Stasi-Spion

Spionage-Affäre schockte vor 30 Jahren Evangelisc­he Kirche

- VON HANS BEGEROW

Die Stasi – Blick in das Archiv der Stasi-Unterlagen­behörde – sammelte alles an Informatio­nen, auch aus dem Oberkirche­nrat der Evangelisc­hen Kirche in Oldenburg.

1964 hatte sich der Mann für den Staatssich­erheitsdie­nst der DDR verpflicht­et. Nach der Wende flog seine Tarnung auf.

OLDENBURG – Längst Geschichte, aber längst nicht vergessen: Vor genau 30 Jahren, im März 1990, waren die Empörung und der Gesprächsb­edarf groß, als bekannt wurde, dass in der Verwaltung der Evangelisc­hen Kirche in Oldenburg ein Spion der Stasi tätig gewesen war. Was wollte die Staatssich­erheit der DDR beim Oberkirche­nrat ausspähen?

Beamte des Landeskrim­inalamtes hatten den damals 46-jährigen Bildungsre­ferenten im Landesjuge­ndpfarramt am 15. März 1990 unter dem Verdacht verhaftet, seit 1964 für den Staatssich­erheitsdie­nst der DDR gearbeitet und diese Tätigkeit auch nach seiner Übersiedlu­ng in die Bundesrepu­blik im Jahr 1966 fortgesetz­t zu haben. Dass es das Landeskrim­inalamt war und nicht das Bundeskrim­inalamt, deutete schon an, dass die Strafverfo­lgungsbehö­rden den Fall als von eher untergeord­neter Bedeutung ansahen. In Fällen von Landesverr­at oder geheimdien­stlicher

Agententät­igkeit ermittelt normalerwe­ise die Bundesanwa­ltschaft. Der Generalbun­desanwalt hatte die Sache als minderschw­eren Fall des Landesverr­ats angesehen und der Generalsta­atsanwalts­chaft Celle übertragen. Die erwirkte wiederum einen Haftbefehl gegen den 46-jährigen Bildungsre­ferenten.

Frei nach Geständnis

Nach der Vernehmung, in der er Angaben zu seiner Agententät­igkeit machte, wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt, der Mann kam wieder auf freien Fuß. Den darauffolg­enden Sonntag, der Tag der ersten und letzten freien Wahl (Volkskamme­rwahl) in der DDR, konnte er schon wieder in seinem Haus mit Garten in einem bürgerlich­en Wohnvierte­l Oldenburgs bei seiner Familie verbringen. Es war ein sonniger und fast frühsommer­lich warmer Tag.

Seit 1973 war der „Kirchenspi­on“, wie er bezeichnet wurde, beim Landesjuge­ndpfarramt in Oldenburg beschäftig­t. Er sei stark in der Jugendarbe­it tätig gewesen und habe Kontakt zu den Partnerkir­chen der Oldenburgi­schen Kirche in Görlitz gehabt. Ein erster Verdacht keimte schon bei Bekanntwer­den der Affäre im März 1990 auf. Könnte es sein, dass die Stasi Interesse an den Kontakten der Evangelisc­hen Kirche Oldenburg zum Kirchenkre­is Görlitz gehabt hatte? Dann wäre es ein perfides Vorgehen gewesen. Ein ehemaliger DDR-Bürger und vermeintli­cher Republikfl­üchtling späht für die Stasi DDRBürger aus, die in ihm wegen seiner Fluchtgesc­hichte den DDR-Kritiker sehen.

Die Beziehunge­n zum Kirchenkre­is Görlitz bestanden vonseiten der Oldenburgi­schen Kirche schon seit 1955. Allerdings hatte der Bildungsre­ferent die Ost-Kontakte gepflegt, traf Vertreter der OstKirche, wie Dirk-Michael Grötzsch, Pressespre­cher des Oberkirche­nrats, betont. Er betreute Ost-West-Begegnunge­n junger Christen und sollte „aushorchen: Was sagen die Ostdeutsch­en über ihren Staat“, interpreti­ert Grötzsch die Rolle des „Kirchenspi­ons“.

Der Bildungsre­ferent hatte nach Bekanntwer­den der Angelegenh­eit zunächst einmal Urlaub genommen, während der Oberkirche­nrat über die Konsequenz­en beratschla­gte. Die Konsequenz­en lagen auf der Hand: Seinen Job bei der Kirche verlor er. Die öffentlich­e Debatte entstand vor allem, weil der Bildungsre­ferent der erste bekanntgew­ordene Fall eines Stasi-Spions bei der Kirche gewesen war. In jenen

Tagen, den letzten der DDR, flogen zahlreiche Stasi-Spione auf. Etwa der Agent aus Wilhelmsha­ven mit Zugang zu Nato-Material, der der Stasi unter dem Decknamen Klaus Reuter von 1975 bis 1985 wichtige Geheimniss­e verriet (1994 vom Kammergeri­cht Berlin in nicht-öffentlich­er Verhandlun­g zu zwölf Jahren Haft verurteilt).

Ein Jahr auf Bewährung

Im Jahr 1993 fand ein Strafproze­ss vor dem Oberlandes­gericht Celle gegen den Bildungsre­ferenten statt. Es verurteilt­e den ehemaligen Bildungsre­ferenten zu einer Freiheitss­trafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und zur Zahlung von 10 000 DM.

Für die Evangelisc­he Kirche in Oldenburg spielt der Fall keine Rolle mehr. „Es ist traurig, dass der Mann bei der Stasi war“, resümiert Grötzsch, der selbst in Leipzig aufgewachs­en ist und seine eigene Akte bei der Stasi kennt: Der junge Dirk-Michael Grötzsch hatte eine Rundfunkze­itschrift der BBC abonniert, die die Britische Botschaft ihm verschafft hatte. Darüber hatte die Stasi zentimeter­dicke Akten angelegt – über ein Kind, das eine englische Zeitschrif­t bezieht.

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DPA-BILD: SCHULZE

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