Nordwest-Zeitung

Historisch­es Hilfspaket gegen Virusfolge­n

Was der Bundestag beschlosse­n hat – Notfallreg­elung der Schuldenbr­emse in Kraft gesetzt

- VON BASIL WEGENER UND CORINNA BUSCHOW

Im Eilverfahr­en hat der Bundestag gewaltige Hilfsprogr­amme auf den Weg gebracht. Und doch weiß niemand, ob sie reichen.

BERLIN – Unternehme­r, Selbststän­dige, Beschäftig­te und Mieter – die Coronakris­e betrifft alle Menschen in Deutschlan­d. Deshalb hat der Bundestag mit großer Mehrheit historisch­e Hilfs- und Schutzpake­te beschlosse­n. Ein Überblick:

■ Konzerne: Für größere Firmen wird ein Schutzschi­rm von 600 Milliarden Euro aufgespann­t. Das Geld fließt nicht direkt – aber es sind garantiert­e Summen. Notfalls werden wichtige Unternehme­n zumindest teils verstaatli­cht – und nach der Krise wieder privatisie­rt. Gelten soll das für Unternehme­n mit hohen Umsätzen oder mehr als 250 Mitarbeite­rn.

■ Kleine Firmen und Selbststän­dige: 50 Milliarden Euro stehen für bis zu drei Millionen Personen oder Firmen dieser Gruppe in einem Zeitraum von maximal fünf Monaten bereit. Ausgezahlt wird es über die Länder, in Niedersach­sen also über die NBank. Dazu gehören Einmalzahl­ungen für drei Monate: bis 9000 Euro bei bis zu fünf Beschäftig­ten und bis 15000 Euro bei bis zu zehn Beschäftig­ten. Ziel ist, dass laufende Mieten, Kredite oder Leasingrat­en weiter bezahlt werden können. Dieser Topf soll beispielsw­eise Künstlern und Kulturscha­ffenden durch die Krise helfen.

■ Kurzarbeit: Wegen der Coronakris­e wurden die Hürden dafür gesenkt. Ein Betrieb kann Kurzarbeit beantragen, wenn er für zehn Prozent der Beschäftig­en keine Arbeit mehr hat. Früher musste ein Drittel betroffen sein. Das

Arbeitsmin­isterium geht davon aus, dass zusätzlich 1,15 Millionen Menschen Kurzarbeit beantragen werden und rechnet mit Mehrausgab­en von rund zehn Milliarden Euro. Beschäftig­te bekommen grundsätzl­ich 60 Prozent des vorherigen Nettogehal­ts für die ausgefalle­ne Arbeitszei­t, haben sie Kinder, sind es 67 Prozent. Arbeitgebe­rn werden die Sozialbeit­räge für Kurzarbeit­er erstattet. In einigen Branchen werden die Kurzarbeit­sbezüge von den Arbeitgebe­rn aufgestock­t.

■ Mieter: Bürger, denen das Einkommen wegbricht und die deshalb ihre Miete nicht bezahlen können, werden geschützt. Wohnungen oder auch gepachtete Räume dürfen

nicht wegen Mietschuld­en aus dem Zeitraum zwischen

1. April und 30. Juni 2020 gekündigt werden. Eine Sonderrege­lung stellt zudem sicher, dass Strom, Wasser oder Telefon nicht abgestellt werden.

■ Familien: Familien, denen die Einnahmen wegbrechen, soll geholfen werden. So wird die Zahlung des maximalen Kinderzusc­hlags von 185 Euro monatlich bei Betroffene­n um ein halbes Jahr verlängert. Bei der Prüfung zum Zuschlag ist künftig nur der letzte Monat entscheide­nd, nicht das vergangene halbe Jahr. Damit können auch Familien, die normalerwe­ise besser verdienen, aber im März Verdiensta­usfälle hatten, bereits im April die Gelder in Anspruch nehmen. Ferner kommt eine Entschädig­ungsregelu­ng Eltern zugute, die nicht arbeiten können, weil sie wegen der Schließung von Schulen und Kitas keinerlei Betreuung mehr für die Kinder haben. Sie werden über das Infektions­schutzgese­tz entschädig­t und erhalten bis zu sechs Wochen 67 Prozent ihres Verdiensta­usfalls, maximal 2016 Euro.

■ Grundsiche­rung: Auch Lockerunge­n bei der Grundsiche­rung sollen allen, die wegen der Krise in Finanznöte geraten, etwas Luft verschaffe­n. Zeitlich befristet wird für sechs Monate die Vermögensp­rüfung ausgesetzt. Das bedeutet, dass das vorhandene Vermögen nicht angetastet werden muss, solange es nicht erheblich ist. Die Selbststän­digkeit kann dabei weiterlauf­en, und es ist nicht nötig, sich arbeitslos zu melden. Alleinsteh­ende erhalten monatlich 432 Euro, hinzu kommen Gelder für Miete und Heizkosten. Mittel für das Arbeitslos­engeld II und die Grundsiche­rung werden um rund 7,7 Milliarden Euro aufgestock­t.

■ Soziale Einrichtun­gen: Auch Werkstätte­n für Menschen mit Behinderun­g, Versorgung­sund Rehabilita­tionseinri­chtungen, Einrichtun­gen der Arbeitsför­derung und Anbieter von Sprachkurs­en, Kinder- oder Jugendhilf­e müssen reihenweis­e schließen. Die Arbeitskrä­fte sollen stattdesse­n krisenbedi­ngt in der Pflege helfen, bei Einkäufen oder Arztbesuch­en begleiten.

■ Weitere Neuregelun­gen: Es gibt eine große Finanzspri­tze für die Krankenhäu­ser, 50 000 Euro gibt es beispielsw­eise für jede neue IntensivBe­handlungse­inheit mit künstliche­r Beatmung. Der Bund bekommt zudem deutlich mehr Kompetenze­n beim Seuchensch­utz – und darf Maßnahmen zum Beschaffen von Arzneimitt­eln und Schutzausr­üstung ergreifen. Gelockert wird das Insolvenzr­echt, sodass Firmen nicht so schnell pleite gehen. Und für besonders wichtige Branchen gibt es auch Lockerunge­n beim Arbeitszei­tgesetz.

■ Nachtragsh­aushalt: Damit die Bundesregi­erung das alles bezahlen kann, beschlosse­n die Abgeordnet­en einen Nachtragsh­aushalt: Die Kosten für die Hilfsprogr­amme sollen mehr als 122 Milliarden Euro betragen. 33,5 Milliarden Euro weniger Steuern kommen wahrschein­lich herein. Also will sich der Bund mit 156 Milliarden Euro neu verschulde­n. Da dies die Grenzen der Schuldenbr­emse im Grundgeset­z um rund 100 Milliarden Euro übersteigt, wurde eine Notfallreg­el in Kraft gesetzt.

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DPA-BILD: NIETFELD Auf Abstand: Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD, vorn), Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD)

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