Der Dichter der konkreten Sprache
Friedrich Hölderlin wurde vor 250 Jahren geboren – Über seinen Einfluss auf die Philosophie
Geburtstage: Keira Knightley (1985/Bild), britische Schauspielerin („Fluch der Karibik“); Axel Prahl (1960), deutscher Schauspieler (Münsteraner „Tatort“-Kommissar)
Todestag: Karl Moik (19382015), österreichischer Musiker und Fernsehmoderator
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“– Hölderlins Worte trösten dieser Tage. Warum sein Werk lesenswert ist, weiß der Oldenburger Professor Johann Kreuzer.
OLDENBURG – Immerhin der berühmte Turm in Tübingen öffnete zum Auftakt des Hölderlinjahres Mitte Februar wieder seine Türen – und musste sie nun doch wieder schließen: Die Corona-Krise macht auch vor dem 250. Geburtstag von Friedrich Hölderlin nicht Halt. Die Feier zum Ehrentag des Dichters am vergangenen Freitag mit Eröffnung des Hölderlin-Wohnhauses im Geburtsort Lauffen am Neckar wurde verschoben. Auch alle anderen Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr finden nun erst einmal oder überhaupt nicht statt. Tröstende Worte in diesen Zeiten liefert der Dichter selbst: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“heißt es in seiner PatmosHymne.
Warum man Hölderlins Texte heute noch lesen sollte, weiß Johann Kreuzer, Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität Oldenburg und Präsident der Hölderlin-Gesellschaft. „Wenn man begreifen will, was Sprache bedeutet und was sie bedeuten kann, dann ist Hölderlin die Referenz“, sagt er.
Wen Hölderlins Sprache beeinflusst hat? „Ach, alle“, sagt Kreuzer, oder zumindest: alle, die mit Dichtung zu tun hätten, darunter zahlreiche Philosophen von Benjamin über Heidegger bis hin zu Adorno. Überhaupt sei Hölderlin, der von 1770 bis 1843 gelebt hat, eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts. „Die großen Gedichte sind 1914 das erste Mal veröffentlicht worden.“Nach den zwei Weltkriegen sei Hölderlin jeweils schnell zur Referenz geworden bei der Suche nach Perspektiven danach, „was als Verständigung durch Sprache und in der Sprache nach dieser Katastrophe noch möglich ist“, sagt Kreuzer. „Hölderlins Sprache ist sehr konkret.“Es gehe ihm nicht um besonders gereimte oder schöne Dinge. „Bei ihm ist dichterische Sprache auf der Höhe der philosophischen Reflexion.“
Hölderlin, sagt Kreuzer, lasse sich zwar literaturgeschichtlich in keine Schublade einordnen – weder in die der Klassik noch in die der Romantik. Ein Sonderling sei er aber bestimmt nicht gewesen. „Hölderlin war gut vernetzt und kein verzärtelter Schöngeist“, sagt Kreuzer. Im Gegenteil: Der Dichter marschierte zum Beispiel von Tübingen starken Medikamenten.
Dass eines der berühmtesten Gedichte Hölderlins, „Hälfte des Lebens“, sich rückblickend nahezu prophetisch zu Hölderlins Leben verhält, ist für Kreuzer im Übrigen nebensächlich. Viel wichtiger: „Wenn man sich die Rhythmik und die Konkretheit der Sprache anschaut, ist das einfach eines der besten Gedichte, die es in deutscher Sprache gibt.“Ein guter Ausgangspunkt also für jene, die sich Hölderlin nähern möchten, ohne sich bisher konkret mit ihm befasst zu haben? Da möchte sich Kreuzer dann lieber doch nicht festlegen. Man müsse einen Zugang finden, und der sei eben individuell. Aber: „Wenn es einen erwischt hat, dann, verspreche ich Ihnen, werden Sie diese Berührung zeitlebens nicht mehr los.“
Mehr Infos zum Hölderlinjahr: www.hoelderlin2020.de