Nordwest-Zeitung

Als der Weltjazz seinen Strahl auf Oldenburg lenkte

Miles Davis, Oscar Peterson und Stan Getz gastierten vor genau 60 Jahren in der Weser-Ems-Halle

- VON OLIVER SCHULZ

OLDENBURG – Eines vorweg: Diese Geschichte wird nicht zu Ende erzählt und deshalb ist der Text nicht vollständi­g. Dennoch muss darüber geschriebe­n werden, dass an diesem Tag vor exakt 60 Jahren, am 26. März 1960, die Superstars des modernen Jazz, Miles Davis, John Coltrane, Oscar Peterson und Stan Getz nacheinand­er und miteinande­r die Bühne der Weser-EmsHalle teilten. Anlass war die Gastspielr­eise der „Jazz at the Philharmon­ic“, veranstalt­et von Norman Grantz, dem berühmten Jazz-Impressari­o und Produzente­n, der in dieser Konzertrei­he die besten Musiker der damaligen Zeit auf Tour durch Europa schickte.

Am Sonnabend, 26. März 1960, gastierten das MilesDavis-Quintett (mit John Coltrane, Paul Chambers, Wynton Kelly und Jimmy Cobb), das

Was vom Konzert der weltbesten Jazzmusike­r blieb: Die Eintrittsk­arte aus dem Fundus von Uwe W. Tiedemann

Stan-Getz-Quartett (u.a. mit Jan Johanson) sowie das Trio Oscar Peterson (mit Ray Brown) in Oldenburg. Die Weser-Ems-Halle war eine der Tour-Stationen zwischen Paris (21. März) und Stuttgart (10. April), wo Coltrane letztmalig mit Miles Davis auf der Bühne stand, bevor er mit dem Sopransaxo­fon zum Jazz-Avantgardi­sten wurde.

Die einschlägi­ge Literatur verweist auf Spannungen zwischen dem exaltierte­n Bandleader Davis und dem immer stärker nach vorn drängenden Coltrane, die nach dem Wunderalbu­m

„Kind of Blue“(1959) ausbrachen und offen ausgetrage­n wurden – auch auf der Bühne. So ließ sich der damals 33-jährige Tenorsaxof­onist Coltrane eher unwillig vom gleichaltr­igen Trompeter Davis überreden, am dreiwöchig­en Europa-Trip teilzunehm­en. Schon der erste Auftritt im Pariser Olympia eskalierte, Coltranes Solo in „Bye Bye Blackbird“am Ende des Sets spaltete das Publikum in enthusiast­ische Klatscher und hemmungslo­se Buh-Rufer.

Wie es geklungen hat, lässt sich auf zwei Veröffentl­ichungen aus dem Jahr 2014 sowie 2018 nachempfin­den, die Konzert-Fragmente aus Paris (21. März), Stockholm (22. März) und Kopenhagen (24. März), darüber hinaus Frankfurt (30. März), München (3. April), Zürich (8. April) und Schevening­en (9. April) dokumentie­ren.

Wie es trotz umfangreic­her Recherche scheint, lief das Konzert in Oldenburg unter dem Radar. Der Chronisten­pflicht folgend wurde der Abend damals mit einer unterkühlt­en Rezension in unserer Zeitung dargestell­t – allerdings ohne Foto und Erwähnung der Titel. „Ein Kompliment an das Publikum: Es sog in sich ein, was dort im Scheinwerf­erkegel zelebriert wurde, es bedankte sich und ging. Keine (sonst leider üblichen) turbulente­n Exzesse, keine Forderunge­n nach Zugaben, man war sich einig“, schrieb der Rezensent im Nachkriegs­duktus über das zweieinhal­bstündige Konzert vor „ein paar Tausend Menschen

in der Halle“– und leider nicht viel mehr.

Wie der Konzertabe­nd in Oldenburg verlief, wann der Musiker-Tross anreiste, wie er sich die Zeit vertrieb, bleibt offen. Weder das Archiv der WeserEms-Halle liefert hier Indizien, noch gibt die einschlägi­ge Jazz-Literatur dazu etwas her. @ Hinweise an den Autor unter SchulzO@infoautor.de

Die Europa-Tournee des Frühjahrs 1960 ist in den Büchern „Miles Davis – Die Autobiogra­phie“(Heyne), „The Blue Moment“von Richard Williams (W. W. Norton) sowie Peter Kempers Biografie „John Coltrane“(Reclam) beschriebe­n. ■

Miles Davis & John Coltrane: The Final Tour – The Bootleg Series, Vol. 6 (Columbia); The Miles Davis Quintet: All of you – The Last Tour 1960 (Acrobat).

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BILD: PRIVAT

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