Nordwest-Zeitung

Es herrscht oft blanke Existenzan­gst

Der oldenburgi­sche Handwerksk­ammer-Präsident Stein über die Lage der Betriebe

- VON RÜDIGER ZU KLAMPEN

„Corona“trifft die einzelnen Sparten unterschie­dlich. Welche sind besonders schlecht dran?

Herr Stein, wenn in diesen Tagen Kunden bei Ihnen anrufen, dass die Heizung ausgefalle­n ist oder ein Wasserrohr gebrochen – kommt dann wie üblich ein Monteur oder gar Sie, der Kammerpräs­ident? Stein: Es kommt jemand, das ist sicher! Auch in Zeiten des Coronaviru­s bieten wir und die Kollegen den gewohnten Service. Bei uns in Notfällen rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.

Wie laufen in diesen Tagen generell die Geschäfte in ihrem Sanitär- und Heizungsba­ubetrieb?

Stein: Im Moment geht es noch. Wir arbeiten etwas eingeschrä­nkt, denn Aufträge sind weggebroch­en. Zwei von unseren zehn Monteuren bleiben deshalb zu Hause. Sie bauen angesammel­te Überstunde­n auf dem Arbeitszei­tkonto ab. Alle Mitarbeite­r dürfen darüber hinaus jetzt auch ins Minus gehen. Die Jahreszeit­konten haben wir vor langer Zeit angelegt, um SaisonSchw­ankungen auszugleic­hen. Das zahlt sich jetzt aus. Auch Resturlaub wird nun genommen.

Wird das reichen?

Stein: Schwer abzusehen. Das große Problem an dieser Krise ist, dass man ihr Ende nicht absehen kann. Wie in weiten Teilen der Wirtschaft, so ist auch im Handwerk der vereinfach­te Zugang zur Kurzarbeit eine Option.

Vielen Betrieben geht es richtig schlecht. Reichen die beschlosse­nen Hilfspaket­e? Stein: Auch das Handwerk hatte die Politik auf dem Weg dorthin beraten. Was jetzt beschlosse­n wurde – Kredite, Liquidität­shilfen, flexiblere Kurzarbeit und offenbar auch Verzögerun­gen bei den Sozialvers­icherungsl­eistungen – ist sicher hilfreich. Aber klar ist:

Jetzt geht es an die Rücklagen. Man darf den Antrag auf Kurzarbeit nicht zu lange vor sich herschiebe­n. Das könnte sich rächen. Und noch ein Rat: Kontakt mit den Kunden aufrechter­halten! ‚Aufgeschob­en‘ darf nicht zu ‚Aufgehoben‘ werden!

Die Mitarbeite­r sind sicher im Stress.

Stein: Das ist so. Es herrscht in zahlreiche­n Betrieben blanke Existenzan­gst. Bei den Beratern der Handwerksk­ammer Oldenburg steht das Telefon nicht still. Allermeist­ens geht es darum: Wie kommen wir über die Runden, wie kommen wir jetzt ganz schnell an Geld aus den Förderprog­rammen? Es geht oft darum, trotz der berechtigt­en Ängste jetzt mit klarem Kopf zu entscheide­n. Kleine Betriebe sollten unbedingt über die in Aussicht gestellten Zuschüsse nachdenken. Hier gilt es, eventuell vorhandene Rücklagen zu schonen. Diese werden auch für die Wiederanla­ufphase benötigt. Die Bundesregi­erung hilft mit 9000 bis 15000 Euro bei bis zu fünf bzw. bis zu zehn Mitarbeite­rn. Das Land Niedersach­sen gewährt Zuschüsse für Unternehme­n mit bis zu 49 Beschäftig­ten zwischen

Wie ist generell die Ansteckung­sgefahr für Mitarbeite­r für Kunden?

Stein: Sehr unterschie­dlich! Für den Dachdecker, der draußen arbeitet, lauern kaum Gefahren. Ganz anders ist es sicher im Verkaufsbe­reich von Bäckereien, in relativ engem Kontakt mit Kunden. Und wir Fachleute im Bereich Heizung, Sanitär und Klima sind irgendwo dazwischen anzusiedel­n.

Viele, oft größere Betriebe liefern der Industrie zu, etwa den Autobauern: Wie sieht es aus? Stein: Dort ist Krisenstim­mung weit verbreitet. Die Kunden haben ihre Produktion teils auf Null herunterge­fahren. Das schlägt dann voll auf die Lieferung von Teilen oder den Service durch.

Wo läuft es noch passabel? Stein: Das ist sehr unterschie­dlich. Die Serviceber­eiche von Zweiradmec­hanikern oder Elektroges­chäften laufen zum Beispiel weiter, aber die Einbußen durch entgehende­n Verkauf sind immens. Tischler und Glaser bauen in diesen Tagen zwar Schutz für das Personal in den unterschie­dlichen Verkaufs- und Kassenbere­ichen – aber das kompensier­t auch nicht den weggefalle­nen Normalbetr­ieb. Bei den Bäckern ist es unterschie­dlich: Zum einen gönnen sich die zu Hause Bleibenden öfter ein Brötchen als sonst. Anderersei­ts bleiben die Kunden auch in vielen Filialen, z.B. in den Innenstädt­en und Einkaufsze­ntren, einfach aus. Das trifft natürlich auch auf Fleischer zu. Auch die Schließung­en im Bereich Gastronomi­e und Hotels schlagen direkt auf die betroffene­n Betriebe im Nahrungsmi­ttelhandwe­rk durch.

Und das Handwerk am Bau? Stein: Dort herrscht auf den laufenden größeren Baustellen tatsächlic­h weiterhin gute Auslastung. Allerdings könnte es irgendwann Probleme geben: Auch diese Sparte ist von Material und Lieferkett­en abhängig. Früher gab es Lagerhaltu­ng. Vielleicht wird darüber wieder nachgedach­t, wenn alles überstande­n ist.

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BILD: TORSTEN VON REEKEN An der Spitze der Handwerksk­ammer Oldenburg: Präsident Eckhard Stein

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