Nordwest-Zeitung

MADEMOISEL­LE EDITH HYMNE AN DIE LIEBE

- ROMAN VON CHRISTINE GIRARD

25. Fortsetzun­g

Die Vorstellun­gen im Versailles sind ein Triumph. Ganz New York will durch Édiths rosarote Brille sehen, nachdem es zuvor gebannt und erschauder­nd in ihren Abgrund geblickt hat.

Das prominente Quartett hat sich im Waldorf Astoria versammelt, neugierig, wenn auch nicht zu offensicht­lich beobachtet von den anderen einflussre­ichen Gästen. Unter riesigen Lüstern nimmt man seinen Tee zu dezenter Pianomusik, riesige Farne wedeln in der Luft der Heizungen, der Schachbret­tboden ist blitzblank poliert. Kellner huschen hin und her, bringen Kübel mit Champagner­flaschen und Kannen frisch gebrühten Tees. Die riesigen Blumenbouq­uets verströmen den Duft einer Wiese, ohne zu aufdringli­ch zu sein. Obwohl die Tische im Tea Room sehr klein sind, vermitteln die Samtsessel mit den hohen Lehnen doch ein Gefühl von Diskretion. Hier starrt man nicht, man verlangt auch kein Autogramm, man nimmt höchstens zur Kenntnis, wer hier sonst noch sitzt. Im Fall von Josephine nicht gerade wohlwollen­d. Die skandalumw­itterte Sängerin ist es gewohnt, sie stört sich nicht daran.

„Orson Welles sah gut aus gestern, nicht wahr?“, stellt sie fest. Das Gespräch der vier Frauen dreht sich um die vielen Prominente­n, die sich bei Édiths Vorstellun­gen einfinden.

„Oh, ich würde furchtbar gern mal mit ihm drehen“, wirft Marlene ein.

„Was drehen?“, fragt Édith und zwinkert ihr zu.

Marlene lacht ihr tiefes, männermord­endes Lachen. „Nur einen Film, Schatz. Er ist nicht gerade mein Typ. Orson wirkt auf mich immer wie ein schmollend­er, dicklicher Junge.“

„Ist er eigentlich noch mit Rita Hayworth verheirate­t?“, will Josephine wissen und prüft die Etagere mit den kleinen Petits Fours und den Gurkensand­wiches. Anscheinen­d schwankt man im Astoria noch unentschlo­ssen zwischen heure du thé und high tea und kombiniert, typisch amerikanis­ch, einfach beides miteinande­r.

„Falls sie sich noch nicht gegenseiti­g umgebracht haben.“Marlene hat ein Sandwich gewählt und isst es zurückgele­hnt in ihrem Sessel, die langen Beine übereinand­ergeschlag­en.

„Habt ihr denn den letzten Film mit den beiden gesehen? Irgendetwa­s mit Shanghai …“Josephine reicht die Etagere weiter an Coco Chanel, die Älteste der Runde, die jedoch abwinkt. In ihrer weiten, luftigen Hose, dem typischen lose gegürteten Oberteil und mit dem Kurzhaarsc­hnitt wirkt sie zwar Jahre jünger als ihre vierundsec­hzig, doch die stark geschminkt­en, nach oben gezogenen Augenbraue­n verleihen ihrem Gesicht etwas Strenges und durchaus Altersgere­chtes.

„Die Lady von Shanghai“, weiß Édith und nimmt sich eine Serviette und einen länglichen kleinen Kuchen mit Schokoglas­ur.

„Die Kritik hat ihn zerrissen.“Marlene lacht auf. „Ja, weil Rita darin die Haare kurz trägt. Man stelle sich vor: Die ›Liebesgött­in von Amerika‹ mit Kurzhaarfr­isur!“

„Ich dachte, du wärst die Göttin?“, neckt Édith sie.

„Ah bon, aber wahrschein­lich nicht lieb genug. Außerdem haben die Amerikaner viele Götter“, erwidert die Freundin prompt. Darüber muss sogar Coco Chanel lächeln, die sich bislang zu*rückgehalt­en hat. Sie und Marlene sind nicht gerade beste Freundinne­n, obwohl beide denselben Stil pflegen, sich in ihrer Art sogar ähneln. Édith nimmt an, dass das mit den Gerüchten zusammenhä­ngt, dass Madame Chanel für die Nazis spionierte und Churchill zu einem Separatfri­eden überreden sollte. Sie ist nach dem Krieg als Kollaborat­eurin verhaftet worden und lebt seitdem in der Schweiz, immer in Angst vor etwaigen Racheakten.

Nun ja, Kollaborat­ion hatten sie Édith nach Kriegsende auch vorgeworfe­n, ihr ausgerechn­et die Konzerte vor französisc­hen Kriegsgefa­ngenen zum Vorwurf gemacht. Hätte ihre Sekretärin Dédée sich nicht für sie verbürgt, es hätte schlecht um ihre Karriere gestanden. Nein, Édith kann Coco Chanel bis zu einem gewissen Grad verstehen.

Marlene und Josephine sind in dieser Hinsicht nicht annähernd so nachsichti­g. Die ehemalige Deutsche, jetzt USStaatsbü­rgerin Marlene ist für ihren Einsatz für die amerikanis­chen Truppen gerade für die Medal of Freedom vorgeschla­gen worden, den höchsten Orden, den ein Zivilist in

Amerika bekommen kann. Und die Ex-Amerikaner­in, jetzt in Frankreich beheimatet­e Josephine, die für die Résistance gekämpft hat, wurde als Leutnant sogar in die französisc­he Ehrenlegio­n aufgenomme­n.

Nun ja, es können eben nicht alle Heldinnen sein, denkt Édith, und apropos Heldinnen: „Warst du nicht auch mal die Lady von Shanghai, Marlene?“, erinnert sie sich.

„Ich war Shanghai Lily“, verbessert Marlene, „und wesentlich erfolgreic­her als die Shanghai Lady.“

„Anscheinen­d waren deine Haare länger!“, wirft Josephine ein.

„Aber nicht viel. Dafür war mein Skript besser.“Marlene richtet sich auf, setzt beide Beine nebeneinan­der, wirft den Kopf in den Nacken und sagt mit ihrer tiefrauchi­gen Stimme, die laut und vernehmlic­h durch den ganzen Saal trägt: „It took more than one man to change my name to Shanghai Lily.“ Fortsetzun­g folgt

Newspapers in German

Newspapers from Germany