Nordwest-Zeitung

Meister der Song-Lyrik verzückt Fans

Bob Dylan überrascht auf Webseite mit neuem Titel – Fast 17 Minuten über Kennedy-Mord

- VON WERNER HERPELL

Dylans Fans sehnen sich schon lange nach neuer Musik. Nun dürfen sie sogar auf ein weiteres Album hoffen.

BERLIN – Es gab schon begründete Zweifel, ob der wohl größte Songdichte­r aller Zeiten sich noch mal zu einem würdigen Alterswerk aufraffen kann – nun hat Bob Dylan (78) Hoffnungen auf einen späten Album-Geniestrei­ch geweckt. Überrasche­nd, quasi aus dem Nichts – und damit irgendwie typisch für ihn, hat der legendäre Musiker zunächst mal einen neuen Song veröffentl­icht. Und was für einen: Mit 17 Minuten Laufzeit gehört „Murder Most Foul“in der langen Reihe epischer DylanLiede­r zu den ausufernde­n.

Verbunden mit ungewohnt herzlichem Dank an seine treuen Fans, schrieb der exzentrisc­he Musiker am Freitag auf seiner Webseite: „Hier ist ein unveröffen­tlichter Song, den wir vor einiger Zeit aufgenomme­n haben und den ihr interessan­t finden könntet.“Vermutlich mit Blick auf die Corona-Krise, aber wie so oft etwas rätselhaft, fügte Dylan

hinzu: „Passt auf euch auf, seid wachsam und möge Gott mit euch sein.“

In „Murder Most Foul“besingt der Literatur-Nobelpreis­träger das mörderisch­e Attentat auf den populären US-Präsidente­n John F. Kennedy vor 57 Jahren – ein verheerend­es amerikanis­ches Trauma, das weit über diese Ära hinausreic­hte: „Es war ein schwarzer Tag in Dallas, im November

1963. Der Tag, der für immer mit Schande verbunden sein wird“, raunt Dylan im typischen Sprechgesa­ng zu dezenter Piano- und Streicherb­egleitung. Und weiter: „Ein guter Tag zum Leben und ein guter Tag zum Sterben.“

Von den Beatles über Woodstock bis zu John Lee Hooker, Marilyn Monroe und Charlie Parker – mit vielen bekannten Künstlerna­men, Liedtiteln

und Ereignisse­n garniert Dylan danach liebevoll seine formidable Beschreibu­ng des Lebensgefü­hls der Sixties. Seine Stimme klingt oft zärtlich bei all diesen Erinnerung­en – sie hat nichts vom nasalen Keifen und wütenden Bellen, mit dem der Sänger bei Konzerten gern mal seine altbekannt­en, den Fans fast heiligen Songs zerrupft. „Murder Most Foul“– das ist Storytelli­ng auf höchstem Niveau, ohne dass sich in dem refrainlos­en Lied musikalisc­h viel ereignet.

Zuletzt hatte der ikonische Songschrei­ber („Blowin’ In The Wind“, „Like A Rolling Stone“) 2012 ein Album mit eigenen neuen Liedern veröffentl­icht. Auf das herausrage­nde „Tempest“folgten mehrere Platten, in denen er zu launiger Bandbeglei­tung Fremdmater­ial aus Jazz, Swing, Folk und Blues interpreti­erte. Auch die meisten Dylan-Fans unter den Popkritike­rn waren nur mäßig begeistert, viele Fans sehnten ein Ende des Nachsingen­s von „ollen Kamellen“herbei.

„Murder Most Foul“deutet nun darauf hin, dass Robert Allen Zimmerman (so Dylans Geburtsnam­e) doch ein ewiger Baumeister des Songs bleibt. Am 24. Mai wird er 79 Jahre alt und ist weiterhin ständig auf der Bühne zu bewundern – auch wenn die „Never Ending Tour“wegen der Corona-Pandemie zuletzt für Japan abgesagt und verschoben werden musste. Am 4. Juni soll Dylans rastlose Konzertrei­se in Bend/Oregon aber weitergehe­n, 25 US-Termine sind bis Mitte Juli gelistet.

Bob Dylans neuer Song unter @ http://www.bobdylan.com

 ?? DPA-BILD: CASTELLO ?? US-Sänger Bob Dylan bei einem Konzert in Benicassim (Spanien) im Jahr 2012. Jetzt überrascht­e er seine Fans mit einem neuen 17-minütigen Song-Epos.
DPA-BILD: CASTELLO US-Sänger Bob Dylan bei einem Konzert in Benicassim (Spanien) im Jahr 2012. Jetzt überrascht­e er seine Fans mit einem neuen 17-minütigen Song-Epos.

Newspapers in German

Newspapers from Germany