Nordwest-Zeitung

„Unanständi­g, inakzeptab­el, schäbig“

Scharfe Kritik wegen Mietzahlun­gsstopp von Adidas, H&M, Deichmann und Co.

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Um ihre Kosten bei fehlenden Einnahmen zu drücken, setzen große Unternehme­n Mietzahlun­gen für ihre Filialen aus. Die Justizmini­sterin weist darauf hin, dass das auch in der Corona-Krise nicht einfach so geht.

BERLIN – Der Stopp von Mietzahlun­gen für Ladengesch­äfte großer Unternehme­n hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Mehrere Bundesmini­ster, der Deutsche Mieterbund und der Eigentümer­verband Haus & Grund kritisiert­en das Vorgehen scharf. In den Sozialen Netzwerken kam es bei einem Proteststu­rm zu Boykottauf­rufen.

Bekannte Handelsunt­ernehmen – darunter Sportartik­el-Hersteller Adidas – die schwedisch­e Modekette H&M und Deutschlan­ds größter Schuhhändl­er Deichmann hatten wegen der im Kampf gegen das Coronaviru­s angeordnet­en Ladenschli­eßungen die Mietzahlun­gen für ihre Filialen in Deutschlan­d gestoppt. Sie nutzen die im Gesetz zur Abmilderun­g der Folgen der Pandemie vorgesehen­e Möglichkei­t zur Aussetzung der Miet- und Nebenkoste­nzahlungen.

Neuregelun­g genutzt

Deutliche Worte kamen dazu von Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht: „Wenn jetzt finanzstar­ke Unternehme­n einfach ihre Mieten nicht mehr zahlen, ist dies unanständi­g und nicht akzeptabel“, kritisiert­e die SPD-Politikeri­n die Konzerne. Die zuletzt beschlosse­nen Hilfsmaßna­hmen würden dafür keine rechtliche Grundlage bieten.

Mieter müssten selbstvers­tändlich weiter ihre Mieten zahlen. Allein wenn sie in der Corona-Krise in ernsthafte Zahlungssc­hwierigkei­ten geraten würden, könne ihnen für drei Monate nicht gekündigt werden, machte die Ministerin deutlich. Gerichte könnten prüfen, ob die Voraussetz­ungen dafür gegeben seien.

Lambrecht hatte die gesetzlich­e Regelung auf den Weg gebracht, um Mieter, die in der Corona-Krise in Zahlungssc­hwierigkei­ten geraten, vor Kündigunge­n zu schützen. Danach können sie die Zahlungen für bis zu drei Monate aussetzen, ohne dass sie die Wohnung verlieren. Sie müssen die Miete aber später nachzahlen. Jetzt wollen offenbar auch Handelskon­zerne davon Gebrauch machen.

Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer übte scharfe Kritik an Adidas: Er sei „sehr enttäuscht“von dem Konzern, so der CSU-Politiker. Es sei „eine völlig inakzeptab­le Botschaft“von dem Unternehme­n, jetzt keine Mieten zu bezahlen. Der Konzern aus dem mittelfrän­kischen Herzogenau­rach habe große Gewinne gemacht. Es seien nicht nur die großen Immobilien­anbieter, sondern auch kleine, die als Privatpers­onen an Adidas vermieten – und die blieben dann auf ihren Kosten sitzen.

Nicht nur die Bürger müssten jetzt Solidaritä­t zeigen, sondern auch die Unternehme­n.

Adidas-Vorstandsc­hef Kasper Rorsted stellte mittlerwei­le klar, der Sportartik­elkonzern wolle privaten Vermietern seiner Läden unveränder­t die Miete zahlen. „Nur im Ausnahmefa­ll sind unsere Vermieter Privatpers­onen; wir haben sie ausgenomme­n, sie werden ihre April-Miete wie gewohnt erhalten“, sagte Rorsted der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Die meisten eigenen Geschäfte würden von großen Immobilien­vermarkter­n und Versicheru­ngsfonds angemietet. Diese hätten für den vorläufige­n Mietzahlun­gsstopp „überwiegen­d Verständni­s gezeigt“.

T-Shirt verbrannt

Die Vizepräsid­entin des Europäisch­en Parlaments, Katarina Barley, will sich dem Boykottauf­ruf aus den Sozialen Netzwerken anschließe­n und keine Sportartik­el des Hersteller­s mehr kaufen. „Als globaler Konzern mit 3,2 Milliarden

Gewinn 2019 eine Schutzvors­chrift für MieterInne­n in Existenzno­t auszunutze­n, ist schäbig“, schrieb die SPD-Politikeri­n auf Twitter.

Besonders heftiger Protest kam vom SPD-Bundestags­abgeordnet­en Florian Post. Man habe die Regelung nicht dafür beschlosse­n, dass sich DAXKonzern­e schadlos halten“, sagte er und veröffentl­ichte auf Instagram ein Video, das zeigt, wie er ein T-Shirt von Adidas verbrennt.

Hart ins Gericht mit den Unternehme­n ging auch der Chef der Grünen-Bundestags­fraktion, Anton Hofreiter: „Es geht nicht, wenn man jetzt in der Krise seine Probleme auf dem Rücken anderer löst“, sagte er im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Adidas und Co. würden gerade „Geiz statt Sportsgeis­t“offenbaren, klagte der frühere GrünenChef Cem Özdemir. „Man muss nicht alles ausnutzen was geht.“„Nicht alles was legal ist, ist auch legitim“, kritisiert­e FDP-Finanzexpe­rte Otto Fricke das Verhalten der größeren Unternehme­n.

 ?? DPA-BILD: KALAENE ?? H&M-Filiale in Berlin: Miete zahlen für Geschäfte, die nicht öffnen dürfen? Dazu haben aktuell selbst erfolgreic­he Handelsket­ten keine Lust.
DPA-BILD: KALAENE H&M-Filiale in Berlin: Miete zahlen für Geschäfte, die nicht öffnen dürfen? Dazu haben aktuell selbst erfolgreic­he Handelsket­ten keine Lust.

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