Nordwest-Zeitung

Ein Meisterwer­k des Magischen Realismus

Franz Radziwills Gemälde „Vorstadthä­user in Düsseldorf“von 1933

- VON RAINER STAMM

Unter den 125 Werken der Radziwill-Ausstellun­g im Oldenburge­r Schloss gehört das Gemälde „Vorstadthä­user in Düsseldorf“von 1933 zu den Spitzenwer­ken. Kaum ein anderes Bild könnte den Begriff des „Magischen Realismus“besser illustrier­en: In meisterlic­her Feinmalere­i schildert der Künstler hier auf den ersten Blick die Realität einer typischen Vorstadtar­chitektur. Doch in demselben Maße, wie das Dargestell­te „realistisc­h“wirkt, drängt sich dem Betrachter eine merkwürdig­e, nicht ganz erklärbare Magie der Szene auf: Straße und Fenster sind menschenle­er, die Farben wirken real und zugleich unwirklich; das Gemälde strahlt in einer eigenartig­en Farbigkeit, als wäre es hinterleuc­htet.

Und dann das Motiv: Die Vorstadthä­user erscheinen ebenso real wie skurril. Hinter der Mauer und dem Bretterzau­n sehen die merkwürdig surreal erscheinen­den Bauten wie abgewandt aus, wäre da nicht das eine halbrunde

Fenster, das den Blick auf sich zieht und den Betrachter anzuschaue­n scheint wie ein Auge. Bilder wie diese hält Radziwill bewusst in der Schwebe; auch wenn er sich gern mit der Aussage „Das größte Wunder ist die Wirklichke­it“zitieren ließ, ist auf dem Holzweg,

wer hier an puren Realismus denkt.

Aber in noch einer weiteren Hinsicht handelt es sich bei diesem Gemälde um ein Schlüsselb­ild, und das liegt nicht nur an dem Jahr seiner Entstehung: 1933 war Franz Radziwill, selbst zunächst überzeugte­s NSDAP-Mitglied und von den Nationalso­zialisten protegiert, auf eine Professur an der Kunstakade­mie Düsseldorf berufen worden. Nach Lebensstat­ionen in Bremen, Dangast und Dresden tat sich für ihn damit nicht nur ein neues Motivfeld auf, sondern er erlebte den Höhepunkt seiner Anerkennun­g.

Zwei Jahre später bereits wurde Radziwill wieder entlassen, nachdem Vertreter des nationalso­zialistisc­hen Studentenb­undes und des „Kampfbunde­s für deutsche Kultur“auf sein expression­istisches Frühwerk aufmerksam machten, das für sie als Beispiel „entarteter Kunst“galt.

Dem Gemälde „Vorstadthä­user in Düsseldorf“ist das ambivalent­e Verhältnis Radziwills zum Nationalso­zialismus eingeschri­eben: Unbestritt­en ein Meisterwer­k des Magischen Realismus wurde das Bild aus der Düsseldorf­er Zeit des Künstlers um 1936 von Gauleiter Carl Röver für die „Stiftung Stedingseh­re“angekauft. Während Radziwill manchen Nationalso­zialisten als „entartet“galt, wollte Röver

mit dieser für den „Gau Weser-Ems“aufgebaute­n Sammlung den herausrage­nden Stellenwer­t der nordwestde­utschen Kunst für das Deutsche Reich zum Ausdruck bringen. Selbst nachdem aus den Sammlungen der deutschen Museen zahllose Gemälde und Arbeiten auf Papier Radziwills beschlagna­hmt worden waren, wurden die „Vorstadthä­user in Düsseldorf“1941/42 in der „Großen Gauausstel­lung Weser-Ems“im Oldenburge­r Augusteum gezeigt.

Als heutige Betrachter können und müssen wir uns mit dieser Ambivalenz auseinande­rsetzen. Stärker als das Denken in schwarz/weiß- Kontrasten wirken die Magie und surreale Farbigkeit des Bildes – bis heute.

Prof. Dr. Rainer Stamm (53) ist Kunsthisto­riker, Literaturw­issenschaf­tler und seit 2010 Direktor des Landesmuse­ums für Kunst und Kulturgesc­hichte Oldenburg. Das Gemälde „Vorstadthä­user in Düsseldorf“gehört zu den 125 Werken der Radziwill-Ausstellun­g im Schloss, die noch nicht öffnen durfte.

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BILD: SVEN ADELAIDE Franz Radziwill, „Vorstadthä­user in Düsseldorf“, Landesmuse­um für Kunst und Kulturgesc­hichte

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