Vor den Bomben nach Petersfehn geflohen
Nur wenige Luftschutzbunker im Stadtwesten – Uhlhornsweg damals wenig bebaut
Die wenigen Bunker waren oftmals überfüllt. Die Kinder suchten nach den Angriffen nach Bombensplittern.
OLDENBURG/PETERSFEHN – Vor 75 Jahren, am 3. Mai 1945, wurde Oldenburg kampflos den anrückenden alliierten Truppen übergeben. Die Stadt hatte während des Zweiten Weltkriegs vergleichsweise geringe Zerstörungen durch Bombenangriffe erlebt.
Karl-Heinz Bonk erlebte das Kriegsende in Oldenburg und Petersfehn. Seine Erinnerungen daran hat er aufgezeichnet: „Wir wohnten im Haus am Uhlhornsweg 23. In dem schlichten Bauernhaus lebten zwei Familien. Eine große Diele ließ Platz für alle Arbeit, seitlich davon befanden sich Ställe für Schaf, Schwein und Hühner, das alles unter einem Dach. Jede Familie hatte 2000 Quadratmeter Ackerland, so dass es trotz aller Kriegsnöte keinen Hunger gab.
Wir kannten keine Heizung und hatten kein fließendes Wasser und schon gar keine Kanalisation. Zum Problem für uns Bewohner wurde es, als die Bombardierung aus der Luft zunahm, denn für uns gab es keinen Schutzkeller, auch nicht in einem der Nachbarhäuser. Unsere Mutter hatte stets einen Notfallkoffer bereitstehen. Wenn dann mal Bomben fielen, holte sie uns
Bonk.
KarlHeinz zur Hausecke und meinte: ,Das ist immer noch die stabilste Ecke, aber es wird schon nichts passieren.’
Als direkt gegenüber vom Haus gleich zwei Bomben einschlugen und in den Acker tiefe Krater rissen, gab es für uns Kinder anderntags viel zu gucken und zu staunen. Und in diesen Tagen rannten wir und suchten nach dem größten Bombensplitter. Dieser musste dann aber als Wertstoff abgegeben werden.
Irgendwann im April wurde der Schulbesuch abgesagt, sehr zur Freude von uns Kindern. Vor dem hatte gegolten, dass bei Fliegeralarm sofort alle Kinder das Schulgebäude an der Hauptstraße verlassen mussten, weil es dort keinen Luftschutzbunker gab. Ich selbst aber blieb dann beim Heimrennen wenig ängstlich, hatte doch Mutter gesagt: ,Euch wird nichts passieren, Gott wird euch beschützen!’ Auf dem Weg nach Hause gab es keinen größeren Schutz und die kleinen Bunker waren stets so voll, dass ich bei dem Gedränge Angst bekam.
Mit Fortschreiten des Krieges wurde meine Mutter aber doch ängstlicher. Als man dann an der Bloherfelder Straße/Ecke Uhlhornsweg mit dem Bau einer Panzersperre begann, entschloss sich unsere Mutter: ,Kinder, wir ziehen zum Opa auf den Hof in Petersfehn.’
Dort erlebten wir eine ganz andere Welt, mit Tieren und der Landwirtschaft und dann einer Handvoll Kinder. Wir hörten das Grollen von Kanonenabschüssen übers Moor. Die Erwachsenen redeten von echten kriegerischen Handlungen in Edewechterdamm und am Kanal, doch davon ließ sich Großvater nicht beirren. Er war Bauer wie bisher. Als ich ihn eines Tages beim Pflügen beobachtete, tauchte plötzlich ein feindlicher Tiefflieger auf. Doch Großvater unterbrach seine Arbeit nicht. Der Flieger entlud eine Partie Kugeln rechts neben Opa, verschwand dann aber wieder. Hinterher meinte Opa: ,Ik heff em nix daan un he deit mi ok nix.“(Ich habe ihm nichts getan und er tut mir auch nichts).
Die Familie auf dem Bauernhof hatte beschlossen, für
Das Haus gibt es noch: Karl-Heinz Bonk wuchs am Uhlhornsweg auf.
alle Fälle einen Bunker zu errichten. Dazu wurde entfernt vom Bauernhaus eine größere Moorfläche tief nach unten frei gemacht und mit Baumstämmen bedeckt und bepflanzt mit Heidekraut. Für uns Kinder war es unten im Bunker interessant, denn dort fanden wir mehrere Körbe mit rotbackigen Äpfeln und mehrere Schlafstellen aus Heidekraut.
Erst viel später, nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft meinte mein Vater: ,Das dort hätte überhaupt keinen Schutz bedeutet!’
Auf dem Hof befand sich ein junger polnischer Gefangener, der aber inzwischen ein normales Mitglied in unserer großen Familie war. Er sagte uns Kindern immer: „Krieg nix gut, nix Krieg auch nich
Der Bauernhof: Die Familie von Karl-Heinz Bonk flüchtete zum Kriegsende vom Uhlhornsweg an die Mittellinie in Petersfehn. gut!“Das verstanden wir damals so gar nicht. Der junge Pole war für Opa aber eine gute Hilfe und für uns Kinder ein toller Freund.
Dann, so Ende April oder war es schon Mai, marschierten über die Mittellinie junge deutsche Marine-Soldaten direkt bis auf den Hof unseres Großvaters. Das war für uns Kinder eine Sensation, deutsche Soldaten in voller Bewaffnung, sauberen Uniformen und Stahlhelmen.
Strenger Befehlston
Es herrschte ein steifer Befehlston, noch strenger als bei uns in der Schule. Großvater ließ Stroh auf der großen Lehmdiele ausbreiten und Oma kochte auf ihrem großen Herd eine Bohnensuppe. Den großen Topf machten die Soldaten hinterher in Nullkommanix leer. Oma freute sich, meinte aber dann: „Nu heff ik nix mehr!” (nun habe ich nichts mehr). Draußen vor der breiten Tür auf dem Bauernhof übergossen sich die Soldaten mit Wasser, das Eimer für Eimer aus dem Brunnen geholt werden musste. Wir Kinder konnten zunächst nicht einschlafen, doch dann wurde es auch auf der Diele still.
Früh am nächsten Morgen schallten scharfe Befehle durchs Haus. Ganz flott standen die Soldaten in Reih und Glied und marschierten in Richtung Edewecht. Großvater stand beim Hoftor und hatte seine faltigen Hände auf den großen Torbalken gelegt. Ich hörte ihn sagen „Disse armen Jungs!“Dabei wischte er sich verlegen ein paar Tränen aus den Augen.
Am Tag darauf stand Oma schon früh bei uns Kindern: „Loopt man nich wiet weg, vandaag passeert wat!“(lauft man nicht soweit weg, heute passiert etwas). Und sie sollte recht behalten. Denn gegen zehn Uhr tauchten von der
Rückseite übers Moor fremde Gestalten auf, in breiter Aufstellung kamen sie auf uns zu. Sie hatten ihre Bajonette aufgesetzt und stießen so ins Haus direkt bis zur Herdstelle vor, durch die Ställe und unsere kleinen Kammern. Wir Kinder hatten uns bei der Hand gefasst, aber keiner mochte was sagen. Großmutter zog einen älteren der fremden Soldaten zum Herd und lud ihn zum Sitzen ein. Dort kochte schon das Wasser und dann goss sie ihren Tee auf. Im Ammerland gab es tatsächlich auch in der Kriegszeit noch eine Tee-Zuteilung! Die fremden Soldaten tranken vom Tee, und das weiterreichend aus einer einzigen großen Tasse.
In Strohballen gestoßen
Später mühten sich die Soldaten noch auf den Dachboden und stießen dort mit ihren Bajonetten in die Heuund Strohballen. Großvater war inzwischen verschwunden. Als ein Offizier nach „Chef “fragte, zeigte meine Cousine Herta zur Stallseite. Zwei Soldaten und der Offizier verschwanden im Stall. Die einfachen Soldaten kamen gleich zurück. Einer hatte eine leere Uniformjacke überm Arm und rief „Birth!“
Opa und der Offizier kamen erst nach etwa einer halben Stunde raus. „Is goot gahn!“(ist gut gegangen) hörte ich Opa sagen und dann kapierte ich: Die beiden hatten bei der Geburt eines Kalbes geholfen. Und nun auf einmal waren die fremden Soldaten nicht mehr fremd und die beiden Geburtshelfer prosteten sich aus einem Schluckbuddel zu.
Ich habe noch in Erinnerung, dass einer der fremden Soldaten meiner kleinen Cousine aufs Näschen stippte und so etwas wie „Angle!“sagte. Nach kurzer Zeit marschierten die fremden Soldaten geordnet ab in Richtung Stadt. Später dann folgten noch etliche Kraftfahrzeuge und sogar Panzer. Einige der schweren Panzer waren unweit von uns im Moor versackt, doch das erfuhren wir erst später. Als wir an diesem Tag spät abends am großen Tisch saßen, sagte Großmutter von tief unten heraus: „Endlich is’t vörbi!“(endlich ist es vorbei). Unsere Mutter fuhr noch am Abend nach Hause, schließlich mussten die Tiere gefüttert werden. Wir Kinder blieben noch auf dem Hof. Früh am Morgen durften wir den Schwalben zusehen, tagsüber halfen wir gern und hatten schnell vergessen, was Krieg war.