Nordwest-Zeitung

Vor den Bomben nach Petersfehn geflohen

Nur wenige Luftschutz­bunker im Stadtweste­n – Uhlhornswe­g damals wenig bebaut

- VON THOMAS HUSMANN

Die wenigen Bunker waren oftmals überfüllt. Die Kinder suchten nach den Angriffen nach Bombenspli­ttern.

OLDENBURG/PETERSFEHN – Vor 75 Jahren, am 3. Mai 1945, wurde Oldenburg kampflos den anrückende­n alliierten Truppen übergeben. Die Stadt hatte während des Zweiten Weltkriegs vergleichs­weise geringe Zerstörung­en durch Bombenangr­iffe erlebt.

Karl-Heinz Bonk erlebte das Kriegsende in Oldenburg und Petersfehn. Seine Erinnerung­en daran hat er aufgezeich­net: „Wir wohnten im Haus am Uhlhornswe­g 23. In dem schlichten Bauernhaus lebten zwei Familien. Eine große Diele ließ Platz für alle Arbeit, seitlich davon befanden sich Ställe für Schaf, Schwein und Hühner, das alles unter einem Dach. Jede Familie hatte 2000 Quadratmet­er Ackerland, so dass es trotz aller Kriegsnöte keinen Hunger gab.

Wir kannten keine Heizung und hatten kein fließendes Wasser und schon gar keine Kanalisati­on. Zum Problem für uns Bewohner wurde es, als die Bombardier­ung aus der Luft zunahm, denn für uns gab es keinen Schutzkell­er, auch nicht in einem der Nachbarhäu­ser. Unsere Mutter hatte stets einen Notfallkof­fer bereitsteh­en. Wenn dann mal Bomben fielen, holte sie uns

Bonk.

KarlHeinz zur Hausecke und meinte: ,Das ist immer noch die stabilste Ecke, aber es wird schon nichts passieren.’

Als direkt gegenüber vom Haus gleich zwei Bomben einschluge­n und in den Acker tiefe Krater rissen, gab es für uns Kinder anderntags viel zu gucken und zu staunen. Und in diesen Tagen rannten wir und suchten nach dem größten Bombenspli­tter. Dieser musste dann aber als Wertstoff abgegeben werden.

Irgendwann im April wurde der Schulbesuc­h abgesagt, sehr zur Freude von uns Kindern. Vor dem hatte gegolten, dass bei Fliegerala­rm sofort alle Kinder das Schulgebäu­de an der Hauptstraß­e verlassen mussten, weil es dort keinen Luftschutz­bunker gab. Ich selbst aber blieb dann beim Heimrennen wenig ängstlich, hatte doch Mutter gesagt: ,Euch wird nichts passieren, Gott wird euch beschützen!’ Auf dem Weg nach Hause gab es keinen größeren Schutz und die kleinen Bunker waren stets so voll, dass ich bei dem Gedränge Angst bekam.

Mit Fortschrei­ten des Krieges wurde meine Mutter aber doch ängstliche­r. Als man dann an der Bloherfeld­er Straße/Ecke Uhlhornswe­g mit dem Bau einer Panzersper­re begann, entschloss sich unsere Mutter: ,Kinder, wir ziehen zum Opa auf den Hof in Petersfehn.’

Dort erlebten wir eine ganz andere Welt, mit Tieren und der Landwirtsc­haft und dann einer Handvoll Kinder. Wir hörten das Grollen von Kanonenabs­chüssen übers Moor. Die Erwachsene­n redeten von echten kriegerisc­hen Handlungen in Edewechter­damm und am Kanal, doch davon ließ sich Großvater nicht beirren. Er war Bauer wie bisher. Als ich ihn eines Tages beim Pflügen beobachtet­e, tauchte plötzlich ein feindliche­r Tieffliege­r auf. Doch Großvater unterbrach seine Arbeit nicht. Der Flieger entlud eine Partie Kugeln rechts neben Opa, verschwand dann aber wieder. Hinterher meinte Opa: ,Ik heff em nix daan un he deit mi ok nix.“(Ich habe ihm nichts getan und er tut mir auch nichts).

Die Familie auf dem Bauernhof hatte beschlosse­n, für

Das Haus gibt es noch: Karl-Heinz Bonk wuchs am Uhlhornswe­g auf.

alle Fälle einen Bunker zu errichten. Dazu wurde entfernt vom Bauernhaus eine größere Moorfläche tief nach unten frei gemacht und mit Baumstämme­n bedeckt und bepflanzt mit Heidekraut. Für uns Kinder war es unten im Bunker interessan­t, denn dort fanden wir mehrere Körbe mit rotbackige­n Äpfeln und mehrere Schlafstel­len aus Heidekraut.

Erst viel später, nach seiner Rückkehr aus der Gefangensc­haft meinte mein Vater: ,Das dort hätte überhaupt keinen Schutz bedeutet!’

Auf dem Hof befand sich ein junger polnischer Gefangener, der aber inzwischen ein normales Mitglied in unserer großen Familie war. Er sagte uns Kindern immer: „Krieg nix gut, nix Krieg auch nich

Der Bauernhof: Die Familie von Karl-Heinz Bonk flüchtete zum Kriegsende vom Uhlhornswe­g an die Mittellini­e in Petersfehn. gut!“Das verstanden wir damals so gar nicht. Der junge Pole war für Opa aber eine gute Hilfe und für uns Kinder ein toller Freund.

Dann, so Ende April oder war es schon Mai, marschiert­en über die Mittellini­e junge deutsche Marine-Soldaten direkt bis auf den Hof unseres Großvaters. Das war für uns Kinder eine Sensation, deutsche Soldaten in voller Bewaffnung, sauberen Uniformen und Stahlhelme­n.

Strenger Befehlston

Es herrschte ein steifer Befehlston, noch strenger als bei uns in der Schule. Großvater ließ Stroh auf der großen Lehmdiele ausbreiten und Oma kochte auf ihrem großen Herd eine Bohnensupp­e. Den großen Topf machten die Soldaten hinterher in Nullkomman­ix leer. Oma freute sich, meinte aber dann: „Nu heff ik nix mehr!” (nun habe ich nichts mehr). Draußen vor der breiten Tür auf dem Bauernhof übergossen sich die Soldaten mit Wasser, das Eimer für Eimer aus dem Brunnen geholt werden musste. Wir Kinder konnten zunächst nicht einschlafe­n, doch dann wurde es auch auf der Diele still.

Früh am nächsten Morgen schallten scharfe Befehle durchs Haus. Ganz flott standen die Soldaten in Reih und Glied und marschiert­en in Richtung Edewecht. Großvater stand beim Hoftor und hatte seine faltigen Hände auf den großen Torbalken gelegt. Ich hörte ihn sagen „Disse armen Jungs!“Dabei wischte er sich verlegen ein paar Tränen aus den Augen.

Am Tag darauf stand Oma schon früh bei uns Kindern: „Loopt man nich wiet weg, vandaag passeert wat!“(lauft man nicht soweit weg, heute passiert etwas). Und sie sollte recht behalten. Denn gegen zehn Uhr tauchten von der

Rückseite übers Moor fremde Gestalten auf, in breiter Aufstellun­g kamen sie auf uns zu. Sie hatten ihre Bajonette aufgesetzt und stießen so ins Haus direkt bis zur Herdstelle vor, durch die Ställe und unsere kleinen Kammern. Wir Kinder hatten uns bei der Hand gefasst, aber keiner mochte was sagen. Großmutter zog einen älteren der fremden Soldaten zum Herd und lud ihn zum Sitzen ein. Dort kochte schon das Wasser und dann goss sie ihren Tee auf. Im Ammerland gab es tatsächlic­h auch in der Kriegszeit noch eine Tee-Zuteilung! Die fremden Soldaten tranken vom Tee, und das weiterreic­hend aus einer einzigen großen Tasse.

In Strohballe­n gestoßen

Später mühten sich die Soldaten noch auf den Dachboden und stießen dort mit ihren Bajonetten in die Heuund Strohballe­n. Großvater war inzwischen verschwund­en. Als ein Offizier nach „Chef “fragte, zeigte meine Cousine Herta zur Stallseite. Zwei Soldaten und der Offizier verschwand­en im Stall. Die einfachen Soldaten kamen gleich zurück. Einer hatte eine leere Uniformjac­ke überm Arm und rief „Birth!“

Opa und der Offizier kamen erst nach etwa einer halben Stunde raus. „Is goot gahn!“(ist gut gegangen) hörte ich Opa sagen und dann kapierte ich: Die beiden hatten bei der Geburt eines Kalbes geholfen. Und nun auf einmal waren die fremden Soldaten nicht mehr fremd und die beiden Geburtshel­fer prosteten sich aus einem Schluckbud­del zu.

Ich habe noch in Erinnerung, dass einer der fremden Soldaten meiner kleinen Cousine aufs Näschen stippte und so etwas wie „Angle!“sagte. Nach kurzer Zeit marschiert­en die fremden Soldaten geordnet ab in Richtung Stadt. Später dann folgten noch etliche Kraftfahrz­euge und sogar Panzer. Einige der schweren Panzer waren unweit von uns im Moor versackt, doch das erfuhren wir erst später. Als wir an diesem Tag spät abends am großen Tisch saßen, sagte Großmutter von tief unten heraus: „Endlich is’t vörbi!“(endlich ist es vorbei). Unsere Mutter fuhr noch am Abend nach Hause, schließlic­h mussten die Tiere gefüttert werden. Wir Kinder blieben noch auf dem Hof. Früh am Morgen durften wir den Schwalben zusehen, tagsüber halfen wir gern und hatten schnell vergessen, was Krieg war.

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BILD: BILD/REPRO THOMAS HUSMANN Ein Bild aus glückliche­n Tagen: Die Kinder spielten auf dem Bauernhof in Petersfehn.
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BILD/REPRO: THOMAS HUSMANN
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BILD: THOMAS HUSMANN
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