Wann Sport nun ratsam ist – und wann nicht
Dr. Stephan Böhmen erklärt, was aktuell zu beachten ist
Wie, wann und wo Leistungswie Breitensportler derzeit am besten trainieren sollten, erläutert Sportmediziner Dr. Stephan Böhmen im Interview. Für bisherige Sportabstinenzler hat der Chefarzt des Reha-Zentrums Oldenburg auch einen klaren Rat.
Herr Dr. Böhmen, Sie betreuen als Chefarzt der Kardiologie am Reha-Zentrum Oldenburg nicht nur zahlreiche Sportler wie zum Beispiel die Handballerinnen vom VfL oder die Ruderinnen und Ruderer vom Team Nordwest, sondern sind auch selbst begeisterter Sportler. Kommen Sie derzeit in der CoronavirusKrise überhaupt noch zum Trainieren?
Stephan Böhmen (6 0): Als Klinik-Arzt bin ich bemüht, meine sozialen Kontakte auf das absolut Notwendigste zu beschränken, und verlasse deshalb das Haus nur noch, um mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Dafür habe ich aber für die Familie und mich im Carport ein kleines Sportstudio mit Ringen und einem Stück Tartanboden eingerichtet, wo ich neben Kraftübungen auch Seilspringe. Das mache ich dreimal pro Woche.
Also würden Sie grundsätzlich dazu raten, trotz der CoronaPandemie weiter Sport zu treiben?
Böhmen: Auf jeden Fall! Neben den allgemein hygienischen Vorkehrungen wie zum Beispiel regelmäßiges Händewaschen für 20 Sekunden ist Sport die beste Gegenmaßnahme, da ich hiermit das Immunsystem stärke und auch auf andere Gedanken komme. Würde man jetzt wochenlang im Fernsehsessel sitzen, fällt einem nicht nur irgendwann die Decke auf den Kopf, sondern der Bewegungsmangel würde auch zu gesundheitlichen Problemen führen. Sport tut Körper und Seele gut.
Auch in Bezug auf das Vorbeugen einer Coronavirus-Infektion?
Böhmen: Die Eintrittspforten für das Coronavirus sind der Nasen- und Rachenraum sowie die Schleimhäute der Augen. Damit die Immunzellen das Virus effektiv bekämpfen können, ist es wichtig, dass die Schleimhäute gut durchblutet und feucht sind. Ausreichendes Trinken ist sicherlich auch wichtig, aber vor allem die erhöhte Herz-/Kreislauf-Zirkulation durch Bewegung, die für eine bessere Durchblutung der Schleimhäute sorgt.
Und wenn ich mich infiziert habe – wie sieht es dann aus? Böhmen: Wenn Patienten sich infiziert haben, sich dabei aber leidlich fühlen, kann die Erkrankung auch in der häuslichen Umgebung durchgemacht werden. Dies sind also Patienten, die nicht im eigentlichen Sinne bettlägerig sind und aus diesem Grunde auch versuchen sollten, die Lunge gut zu belüften. Je nach Alter und Allgemeinzustand kann dies ebenfalls mit ganz einfachen Übungen im Raum gemacht werden, indem man zum Beispiel mehrfach aus dem Stuhl aufsteht oder an einer Treppenstufe übt.
Worauf muss man aufpassen? Böhmen: Man muss auf gute Belüftung der Räume achten und nur so viel tun, dass man sich wohlfühlt. Menschen, die Kontakt mit Corona-Erkrankten gehabt haben und aus diesem Grunde symptomfrei unter Quarantäne gestellt wurden, dürfen sich natürlich mehr zumuten und könnten tatsächlich auch ein Workout ohne Geräte in den eigenen vier Wänden durchführen. Unter dem Stichpunkt „Fit ohne Geräte“findet man dort eine ganze Reihe von Anleitungen im Internet.
Welcher Sport bietet sich am besten in der Pandemie-Zeit an?
Böhmen: Da aufgrund des einzuhaltenden Sicherheitsabstandes Mannschaftssportarten und gemeinschaftliche Sportaktionen nicht möglich sind, bietet sich ein Krafttraining ohne Geräte nur mit dem eigenen Körpergewicht an.
Oder auch ein hochintensives Training wie zum Beispiel Seilspringen. Aber auch Laufen, Radfahren, Nordic Walking und Spazierengehen, aber maximal zu zweit, sind ebenfalls sehr gut geeignet. Hauptsache, man kommt mit warmen Füßen zurück, dann sind nämlich auch die Schleimhäute in der Regel gut durchblutet.
Also wenn möglich, lieber an der frischen Luft Sport treiben als in der Wohnung? Böhmen: Sport an der frischen Luft ist auf jeden Fall vorzuziehen,
weil die Luftfeuchtigkeit dort deutlich besser ist als in den zentralgeheizten Wohnungen. Im Moment spielt ja auch das Wetter mit. Übungen wie Kniebeugen, Liegestütz oder auch Seilspringen lassen sich zudem sehr gut auch in der Einfahrt, auf dem Balkon oder im Garten machen. Wer in der Wohnung trainiert, sollte – wie gesagt – dabei auf gute Durchlüftung achten.
Auf was muss man beim Training besonders achten? Böhmen: Am besten ist natür
lich, wenn man in den nächsten Wochen alleine trainiert. Wenn man aber doch zu zweit Sport treiben möchte, sollte man unbedingt die Abstandsregeln beachten. Ansonsten gibt es aber keine Einschränkungen. Wer zum Beispiel als Marathonläufer sein Trainingspensum absolvieren möchte, kann dies auch weiterhin tun, wenn er diese Regeln einhält.
Gerade Leistungssportler gehen ja häufig im Training an ihre Grenzen. Ist das derzeit ratsam? Böhmen: In der jetzigen Situation ist es nicht ratsam, die Form steigern zu wollen, sondern sie zu halten und allgemein fit zu bleiben. Da diverse Krankheitserreger derzeit unterwegs sind, unter anderem auch die echte Grippe, sollten vor allem intensive anaerobe Belastungen weggelassen werden.
Also Zustände, in denen der Körper in Sauerstoffmangel gerät. Warum sollte man das aktuell lassen?
Böhmen: Weil nach solch einer Belastung unser Immunsystem für etwa zwei Tage beeinträchtigt ist und wir anfälliger für Viren sind. Da sowieso in nächster Zeit keine Wettkämpfe stattfinden, macht dieses Training auch wenig Sinn.
Würde es denn derzeit Sinn machen, als bisheriger Sportabstinenzler jetzt anzufangen, Sport zu treiben?
Böhmen: Dies ist ein ungünstiger Zeitpunkt, um mit dem Sporttreiben anzufangen. Es würde in dem Falle auch erst einmal reichen, zügig spazieren zu gehen und mit warmen Füßen wieder nach Hause zu kommen. Ältere Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind, könnten – wie gesagt – zum Beispiel, ohne sich abzustützen, von einem Stuhl aufstehen oder an einer Treppe üben.
Regelmäßig? Böhmen: Die Regelmäßigkeit ist wichtig, um einen festen Rhythmus zu bekommen. Gerade in der jetzigen Situation ist es für viele Menschen hilfreich, wenn sie ihren Tag in der Weise strukturieren. Und es fällt ihnen dann leichter, den guten Vorsätzen auch Taten folgen zu lassen.
Neben allgemein hygienischen Vorkehrungen ist Sport die beste Gegenmaßnahme. In der jetzigen Situation ist es nicht ratsam, die Form steigern zu wollen, sondern sie zu halten.