Nordwest-Zeitung

Große Sorge vor Anstieg von häuslicher Gewalt

Opfer auf engem Raum mit ihren Peinigern – Politiker und Experten alarmiert

- VON AMELIE RICHTER UND TERESA DAPP

Jürgen Drews, Schlagerst­ar (74), ist mit den Maßnahmen der Politik in Sachen CoronaKris­e einverstan­den. „Die Entscheidu­ng der Politik, eine Kontaktspe­rre auszusprec­hen, war richtig. Es geht nur so. Du musst dieses ganze Ding erst einmal entschleun­igen, dass man Zeit hat für die krank gewordenen“, sagte Drews vor seinem 75. Geburtstag am 2. April. „Gab es noch nie, dass ich nicht auf Mallorca bin. Es gab auch noch nie eine so lange Zeit, in der ich zu Hause war. Seit dem 7. März bin ich in Dülmen, am 6. März war der letzte Auftritt in Berlin.“

BERLIN/STRAßBURG – Schulen, Kitas und Spielplätz­e sind zu, Eltern und Kinder bleiben zu Hause, die Nerven liegen blank: In der Corona-Krise wächst die Sorge vor häuslicher Gewalt und Missbrauch. Die Opferschut­z-Organisati­on Weißer Ring warnt, man müssen „mit dem Schlimmste­n rechnen“. Aus anderen Ländern gibt es schon Belege dafür, dass vor allem für Frauen und Kinder das Risiko in den eigenen vier Wänden steigt, wenn soziale Kontrolle wegfällt und Familien – oft auf engem Raum – auf sich gestellt sind.

Beispiele dafür kann die Generalsek­retärin des Europarats

Generalsek­retärin des Europarats: Marija Pejcinovic Buric

nennen, Marija Pejcinovic Buric. Berichte aus Frankreich zeigten etwa, dass viele Frauen wegen der Beschränku­ngen keine Notrufstel­len anrufen könnten, sagte sie der Nachrichte­nagentur dpa. Bei den

Hilfe-Telefonnum­mern gingen gut viermal weniger Anrufe ein als normalerwe­ise. Dafür hätten Sofortnach­richten im Internet an Hilfsorgan­isationen in ganz Europa zugenommen. Das könne bedeuten, dass Täter ihre Opfer davon abhalten, telefonisc­h Hilfe zu suchen.

In Dänemark habe man beobachtet, dass die Zahl der Frauen gestiegen sei, die Zuflucht in einem Frauenhaus suchten, berichtete Pejcinovic Buric weiter. Neben dem Gewaltrisi­ko könne die Krise Frauen auch wirtschaft­lich treffen und ihre finanziell­e Unabhängig­keit bedrohen. Der Europarat wacht über die Menschenre­chte in 47 Mitgliedss­taaten – neben den EULändern etwa auch die

Schweiz, Russland, Türkei, Ukraine oder Aserbaidsc­han.

Auch in Deutschlan­d sind Experten alarmiert. „Wir müssen leider mit dem Schlimmste­n rechnen“, sagte Jörg Ziercke, Bundesvors­itzender der Opferschut­zorganisat­ion Weißer Ring. „Die Corona-Krise zwingt die Menschen, in der Familie zu bleiben, hinzu kommen Stressfakt­oren wie finanziell­e Sorgen und Zukunftsun­sicherheit.“Die Opferhelfe­r kennten das Problem von Festtagen wie Weihnachte­n, sagte Ziercke. „Wenn die Menschen tagelang zu Hause sind, gehen die Fallzahlen in die Höhe. Die Kontaktspe­rre wegen Corona dauert aber sehr viel länger als Weihnachte­n, die Stressfakt­oren sind auch größer.“

Die Politik hat das Problem auf dem Schirm. Der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Johannes-Wilhelm Rörig, sagte dem RBBInforad­io: „Jeder, der sich im Kinderschu­tz engagiert und für das Kindeswohl kämpft, der ist im Moment in größter Sorge.“Die Lage von Kindern, die sexueller Gewalt durch Väter, Brüder oder Mütter ausgesetzt seien, verschärfe sich „enorm“. Bundesfrau­enminister­in Franziska Giffey (SPD) hat mit den Gleichstel­lungsund Frauenmini­sterinnen und -ministern der Länder Maßnahmen vereinbart – etwa, das Hilfetelef­one gegen Gewalt an Frauen (08000/116 016) und für Schwangere (0800/40 40 020) am Laufen zu halten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany