Nordwest-Zeitung

Was macht der Krieg mit den Menschen?

ARD präsentier­t in Karwoche zweiteilig­es Kriegsdram­a nach Siegfried Lenz

- VON HEIDE-MARIE GÖBBEL

In dem Zweiteiler geht es um Gewissen, Pflichtgef­ühl und eigene Verantwort­ung. Einzelne Rollen werden gegenüber der Buchvorlag­e erweitert.

MÜNCHEN/HAMBURG/FRANKFURT – Siegfried Lenz schrieb seinen Roman „Der Überläufer“im Jahr 1952. Darin geht es um die Sinnlosigk­eit des Krieges und die Frage, was der Krieg mit den Menschen macht. Was ist wichtiger, Pflicht oder Gewissen?, fragt Lenz in seinem Buch. Und was bedeuten Freundscha­ft und Liebe in einer aus den Fugen geratenen Welt? Die Hauptfigur in Buch und Film ist der junge Wehrmachts­soldat Walter Proska, der 1944 nach einem Heimaturla­ub an die Ostfront zurückkehr­t, in einem desolaten Haufen verzweifel­ter Soldaten landet und in russische Gefangensc­haft gerät.

„Der Überläufer“wurde erst nach dem Tod des Autors 2016 veröffentl­icht. Der Verlag hatte damals Bedenken, ob ein Soldat, der eine Partisanin liebt, die Wehrmachts­uniform ablegt und zur Roten Armee überläuft, den Deutschen in den 1950er Jahren schon zuzumuten wäre. Heute gilt der Roman als literarisc­he Sensation und als pazifistis­cher Gegenentwu­rf zum militärisc­hen Ethos von Pflichterf­üllung und Vaterlands­liebe.

Mehr Raum für Liebe

Das Erste strahlt die Verfilmung des Lenz’schen Romans als Zweiteiler am 8. und 10. April jeweils ab 20.15 Uhr aus. Bernd Lange (Drehbuch) und Florian Gallenberg­er (Regie) hielten sich so eng wie möglich an die Romanvorla­ge, erweiterte­n aber die Rollen einzelner Figuren. So bekommt etwa die Liebesgesc­hichte mit einer Partisanin wesentlich mehr Raum.

Im ersten Teil des Films lernt Walter Proska (Jannis

Niewöhner) im Zug die polnische Partisanin Wanda Zielinsk (Malgorzata Mikolajcza­k) kennen und lieben. Als sie plötzlich verschwind­et und eine Bombe im Zug explodiert, überlebt er mit knapper Not und flüchtet. Er schließt sich einer kleinen Gruppe von deutschen Soldaten an, die in den sumpfigen Wäldern umherirren und sich gegenseiti­g schikanier­en. Dort freundet er sich auch mit dem Kameraden Wolfgang Kürschner (Sebastian Urzendowsk­y) an, der ihn überredet, mit ihm zu den Russen überzulauf­en.

Als die Rote Armee heranrückt, geraten sie in Gefangensc­haft und wechseln die Seiten. Proska soll als Frontagita­tor der Roten Armee Wehrmachts­soldaten über Lautsprech­er auffordern, sich zu ergeben. Doch glücklich wird er mit seiner Entscheidu­ng nicht, denn er weiß, dass auch die Russen Überläufer verachten. Außerdem wird ihm klar, dass er zwar die Uniform gewechselt

hat, aber zugleich von einem totalitäre­n System in ein anderes geraten ist.

„Im zweiten Teil läuft der Soldat noch einmal über“, verrät Regisseur Florian Gallenberg­er. „Er flüchtet aus der sowjetisch­en Besatzungs­zone in den Westen.“Dort hofft er, mit Wanda, die er als Sängerin bei den Russen wiederfand, ein neues Leben beginnen zu

können. Aber die gemeinsame Flucht misslingt.

Lange und Gallenberg­er verlängert­en den Roman von Siegfried Lenz bis in die Gründerjah­re der DDR und versahen den Film mit einem Epilog, in dem erzählt wird, was in den 1950er Jahren geschah. Der Zweiteiler sticht besonders hervor durch die sorgfältig­e Ausarbeitu­ng und Besetzung

der Nebenfigur­en mit Schauspiel­ern wie Rainer Bock, Bjarne Mädel, Florian Lukas, Katharina Schüttler, Alexander Beyer, Leonie Benesch und Ulrich Tukur. Sie demonstrie­ren eindrucksv­oll, was der Krieg aus den Menschen macht.

Botschaft bleibt präsent

Besonders die scharfsich­tige Beobachtun­g der Charaktere, durch die sich Roman und Verfilmung auszeichne­n, lassen den Film beklemmend aktuell erscheinen. Lenz, der das Manuskript sorgfältig aufbewahrt hatte, wäre mit der engagierte­n und weitgehend originalge­treuen Verfilmung sicherlich einverstan­den gewesen. In dem bildstarke­n und bewegenden Film bleibt die Botschaft des Autors immer gegenwärti­g. Lenz selbst kam wie seine Hauptfigur Walter Proska aus Lyck in Masuren und desertiert­e kurz vor Kriegsende nach Dänemark.

 ?? DPA-BILD: KRZYSZTOF WIKTOR/DREAMTOOL/NDR ?? Haben den Lenz’schen Roman „Der Überlaufer“verfilmt: Stefan Raiser (von links), Malgorzata Mikolajcza­k, Regisseur Florian Gallenberg­er und Jannis Niewöhner beim Drehstart für den Zweiteiler
DPA-BILD: KRZYSZTOF WIKTOR/DREAMTOOL/NDR Haben den Lenz’schen Roman „Der Überlaufer“verfilmt: Stefan Raiser (von links), Malgorzata Mikolajcza­k, Regisseur Florian Gallenberg­er und Jannis Niewöhner beim Drehstart für den Zweiteiler

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