MADEMOISELLE EDITH HYMNE AN DIE LIEBE
27. Fortsetzung
„Nein, natürlich nicht!“, stammelt der Angestellte sichtlich schockiert und bringt nun erst recht kein Wort mehr hervor.
„Wahrscheinlich ein Autogramm“, hilft Marlene ihm auf die Sprünge.
„Äh, ja. Äh, nein“, verbessert der junge Mann, als die Diva nach ihrer Tasche greift.
„Was denn nun? Ja oder nein?“, fragt die Dietrich, den Kugelschreiber schon in der Hand.
„Doch. Ein Autogramm, meine ich. Wenn es geht.“Nervös schaut er sich um. Höchstwahrscheinlich ist es den Angestellten verboten, die Gäste auf solch plumpe Art zu belästigen, der junge Mann riskiert also recht viel. „Ein Autogramm von Ihnen, Mademoiselle Piaf“, wendet er sich an Édith. „Das wäre mein höchstes Glück. Ich durfte Sie gestern hören, ich meine, durch die Hintertür. Nicht, dass ich normalerweise an Hintertüren lausche …“Der Mann beißt sich auf die Lippen, bevor er sich noch weiter in Schwierigkeiten bringt als ohnehin schon, und legt an Gesichtsfärbung noch zu.
„Das höchste Glück, soso“, sagt Marlene versöhnlich und reicht Édith den Kugelschreiber. Sie lacht, die Auseinandersetzung von eben ist vergessen. „Ich glaube, da braucht jemand bald eine richtig große Sonnenbrille.“
„Du hättest mich wecken sollen!“Als Édith in ihre unaufgeräumte, noch halbleere Küche stolpert, ist es schon kurz nach zwei.
„Wie denn? Ich bin auch gerade erst aufgestanden.“Momone steht an der Spüle und zieht konzentriert einen Teebeutel aus dem Wasser, lässt ihn wieder versinken, bringt ihn zum Vorschein, ver- senkt ihn wieder. „Génial“, sagt sie, ohne die Flüssigkeit aus den Augen zu lassen. „Ich kann mich noch daran erinnern, dass diese Dinger nach gar nichts geschmeckt, nur das Wasser braun gefärbt haben. Aber die hier“, sie holt das kleiran. ne Paket wieder nach oben, „funktionieren tatsächlich.“Mit einer raschen Handbewegung zieht sie den Beutel endgültig heraus und lässt ihn in die Spüle fallen.
Édith greift an ihr vorbei zum Kessel, um Wasser nachzufüllen.
„Wo warst du denn gestern? Ich dachte, du kommst noch einmal bei einer Vorstellung vorbei. Wo du doch heute Abend schon fliegst.“
Momone trinkt, genießt sichtbar den Geschmack. „Davon muss ich mir welchen mitnehmen“, sagt sie, ohne auf Édiths Frage einzugehen.
„Ich habe auf dich gewartet nach der Spätvorstellung“, beharrt Édith und setzt den Kessel auf.
Momone zuckt mit der Schulter. „Ich dachte, du warst danach noch mit deinen
Freundinnen verabredet.“
„Mit meinen Freundinnen“, und Édith betont das Wort genauso wie Momone, „habe ich mich vorher getroffen. Im Astoria. Du hättest auch kommen können.“
„Ach nein. All diese berühmten Frauen, non merci. Deine Marlene sieht mich immer so an, als wäre ich gerade unter einem Stein hervorgekrochen und sie müsste sich noch überlegen, ob sie mich aufsammeln oder zerquetschen soll.“
Wider Willen muss Édith lächeln. Ehrlich gesagt ist das gar keine so üble Beschreibung für den Blick, mit dem Marlene die meisten ihrer Mitmenschen bedenkt.
„War es denn wenigstens nett?“
Édith dreht am Gas und hält kurz ein Streichholz da„Ja, doch. Josephine Baker ist eine faszinierende Frau. Wohingegen die Chanel eher fürchterlich ist.“
„Der schwarze Engel. Meinst du, sie hat wirklich für die Nazis spioniert?“
Édith sieht sie überrascht an. „Sagt man das über sie?“
Wieder zuckt Momone mit den Schultern. „In einigen Kreisen wäre man immer noch glücklich darüber, sie in die Finger zu bekommen.“
„Ich finde ja, diese vielen Engelmetaphern werden überstrapaziert“, murmelt Édith. „Die Engel-Was?“„Unwichtig.“Während die Frauen aufs Wasser warten, wird es still, bis Momone sich räuspert „Das mit der Gestapo damals, das hast du doch nicht ernst genommen, oder?“
Die Frage überrumpelt Édith. Sie braucht eine kleine Weile, um den Zusammenhang zu begreifen. Ah, natürlich, Coco Chanel, ihre angebliche Zusammenarbeit mit den Deutschen. Momone hatte während der Besatzungszeit in der gemeinsamen Wohnung herumspioniert, verdächtige Unterlagen gefunden und an die Deutschen ausgehändigt.
„Du hast mich angezeigt. Ich bin verhaftet worden: Was daran war nicht ernst?“
„Ich meine nur. Ich habe es nicht wegen der Nazis getan. Um ihnen zu helfen, das weißt du.“– „Nein, du willst keinem helfen, das weiß ich nur allzu gut.“– „Ich wollte dich ärgern, das war alles. Du warst damals zusammen mit diesem fürchterlichen Henri, und ihr habt mich … ich weiß auch nicht … ausgegrenzt.“
„Ausgegrenzt? Riri und ich? Wann denn? Während er mich nach Strich und Faden verprügelt hat?“
Dazu sagt Momone nichts. Es ging hoch her damals in ihrer Wohngemeinschaft über dem Bordell, in dem die deutschen Offiziere ein und aus gingen. Der Champagner floss in Strömen, die Partygäste gaben sich die Klinke in die Hand. Fortsetzung folgt