Viktor Orban lässt sich nicht stoppen
Ungarns Parlament billigt umstrittenes Notstandsgesetz zur Corona-Krise
Orban neigte schon bisher zu einem autoritären Regierungsstil. Kritiker befürchten, dass er das Land in eine Art Notstands-Diktatur führen könnte.
BRÜSSEL/BUDAPEST – Für Ungarns Journalisten ist am Montag „der letzte Rest der Pressefreiheit“beseitigt worden. Vertreter der Opposition wie die Europaabgeordnete Klára Dobrev aus den Reihen der Sozialdemokraten sprechen offen von einem „Ermächtigungsgesetz“: „Jetzt kann Ministerpräsident Viktor Orban alles machen und durchsetzen“, sagte sie.
Im Parlament verfügt Orbans Fidesz-Partei über eine komfortable Zweidrittelmehrheit. Diese Abgeordneten billigten am Montag ein Notstandsgesetz, das im Schatten der Corona-Krise durchgepeitscht wurde. Niemand hatte im Vorfeld Zweifel daran, dass Orban seine Machtfülle weiter ausbauen würde.
Das neue Gesetz erlaubt es der Regierung, „alle zur Eindämmung beziehungsweise Abwehr der Folgen der Covid19-Pandemie nötigen außerordentlichen Maßnahmen zu treffen“, heißt es in der Einleitung des Entwurfes. Dabei kann sie dann „die Anwendung einzelner Gesetze suspendieren, von gesetzlichen Bestimmungen abweichen und sonstige außerordentliche Maßnahmen“treffen. Die Dauer ist nicht begrenzt.
Eine der neuen Bestimmungen: Wer „Falschnachrichten“verbreitet oder auch nur die Bevölkerung durch schlechte Nachrichten beunruhigt, wird im äußersten Fall für fünf Jahre ins Gefängnis gehen müssen. Betroffen sind keineswegs nur Journalisten der ohnehin kaum noch vorhandenen regierungskritischen Medien, sondern auch Autoren entsprechender Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook.
Ungarische Korrespondenten in Brüssel erzählen, dass eine kritische Reportage über Versorgungsmängel in den dortigen Krankenhäusern nicht mehr möglich sei, weil sie „sicherlich irgendjemanden verunsichern“würde. Ihre Bilanz: „Orban regiert durch.“Das Gesetz sei ein weiterer
Schritt hin zur „Demontage der Demokratie“.
Ihre Angst hat einen Grund: Ungarns Ministerpräsident pflegt derartige Ausnahmebestimmungen zwar in Kraft zu setzen, aber nicht mehr zurückzunehmen. Noch heute, so Dobrev, seien die erweiterten Polizeibefugnisse beispielsweise für anlassunabhängige Kontrollen in Kraft, die 2015 in der Flüchtlingskrise erlassen wurden.
Das sieht man zwar in Brüssel auch so. Doch die eigentliche Gefahr, sagte Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des EU-Parlamentes und davor Bundesjustizministerin, sei, dass „Ungarn zur Blaupause für andere Regierungschefs wird, die das Land als Modell für den Demokratie-Abbau nehmen, zuschauen und dann nachziehen“. Beobachter verweisen dabei auf Tschechien, wo Ministerpräsident Andrej Babis bereits den Zugang zu Pressekonferenzen limitiert, kritische Medienvertreter rausgeworfen hat und nur genehme Journalisten zulässt.
Die Brüsseler EU-Kommission schweigt bisher zu den aktuellen Vorgängen, vielleicht auch, weil sie weiß, dass das sogenannte Artikel-7-Verfahren wirkungslos geblieben ist. Es konnte den Abbau der Rechtsstaatlichkeit weder in Ungarn noch in Polen stoppen. Schärfere Gegenmaßnahmen, wie der Entzug der EUFördergelder, liegen auf Eis.
Barley moniert: „Die Kommission verhält sich viel zu passiv.“Derweil macht Orbán ungerührt weiter und kommt nun seinem Ziel einer uneingeschränkten Herrschaft noch ein Stück näher.