Nordwest-Zeitung

Warnung vor neuem Rechtsextr­emismus

Niedersäch­sischer Verfassung­sschutzprä­sident Bernhard Witthaut schätzt Lage als gefährlich ein

- VON MICHAEL EVERS

Die Vernetzung über das Internet macht die Szene unberechen­barer. Was setzt der Verfassung­sschutz entgegen?

Kürzlich ließ die Bundesanwa­ltschaft einen mutmaßlich­en Rechtsextr­emisten in der Lüneburger Heide festnehmen, der zu einer Terrorzell­e mit bewaffnete­n Anschlagsp­länen gehören soll. Ist dies ein Anzeichen für eine neue Gewaltbere­itschaft der Szene? Bernhard Witthaut: Der Rechtsextr­emismus ist heterogene­r und damit unberechen­barer geworden. Gefördert durch die virtuelle Vernetzung via Internet haben neue Akteure die Szene betreten, die durch eine Verrohung der Sprache dazu beitragen, dass Hemmschwel­len abgebaut werden und die zum Teil selbst einen ausgeprägt­en Handlungsw­illen aufweisen. Militanz und Gewaltanwe­ndung durchziehe­n die Geschichte des Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d wie ein Roter Faden. Die aktuelle Entwicklun­g ist deshalb nichts grundsätzl­ich Neues.

Zwei Aspekte aber verschärfe­n die Lage: die Resonanz, die fremdenfei­ndliche Tabu-Brüche in Teilen der Bevölkerun­g auslösen, und die kaum zu kontrollie­renden, über die Ländergren­zen hinausreic­henden Kommunikat­ionswege, über die Rechtsextr­emisten mittlerwei­le verfügen und die ihnen die Vorbereitu­ng von Anschlägen, etwa durch die Beschaffun­g von Waffen, erleichter­n.

Wie erfolgreic­h sind die Prävention­sund Aussteiger­programme, mit denen Niedersach­sen bislang der rechten Szene begegnet ist?

Witthaut: Seit November 2010 wurde über 40 Rechtsextr­emistinnen und Rechtsextr­emisten erfolgreic­h beim Ausstieg aus der Szene und Ideologie geholfen, darunter auch führenden Kadern. Aktuell werden über 20 Aussteiger­innen und Aussteiger betreut. Der Erfolg der Prävention­smaßnahmen des Verfassung­sschutzes ist kaum zu messen. Vortragsve­ranstaltun­gen von Experten des Verfassung­sschutzes erreichten jedoch allein 2019 rund 3000 Menschen. Gibt es neue Ansätze der Prävention,

da die Szene zunehmend dezentral und über das Internet agiert? Witthaut: Prävention­sangebote müssen sich einerseits an den Bedürfniss­en der Zielgruppe orientiere­n und anderersei­ts die aktuelle Entwicklun­g in den Szenen abbilden. Daher werden Angebote auch online zur Verfügung gestellt und Soziale Medien in der Prävention genutzt. Ziel ist es dabei unter anderem, aufzuzeige­n, wie sich Rechtsextr­emisten des Internets bedienen, um Themen zu setzen und sich untereinan­der zu vernetzen.

Social Media bietet eine gute Möglichkei­t, um mit der Bevölkerun­g in Kontakt zu treten und über extremisti­sche Inhalte und Propaganda aufzukläre­n. Bereits seit 2011 betreibt Aktion Neustart eigene Seiten und Kanäle auf Facebook, YouTube und Instagram. Um Soziale Medien nicht rechtsextr­emistische­n Akteuren zu überlassen, bewegt sich auch Aktion Neustart im virtuellen Raum, formuliert Gegendarst­ellungen und bringt diese in rechtsextr­emistische Filterblas­en und Echokammer­n ein. Außerdem gibt es eine Onlinebera­tung.

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DPA-BILD: STRATENSCH­ULTE Bernhard Witthaut (Präsident Niedersäch­sischer Verfassung­sschutz)

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