Warnung vor neuem Rechtsextremismus
Niedersächsischer Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut schätzt Lage als gefährlich ein
Die Vernetzung über das Internet macht die Szene unberechenbarer. Was setzt der Verfassungsschutz entgegen?
Kürzlich ließ die Bundesanwaltschaft einen mutmaßlichen Rechtsextremisten in der Lüneburger Heide festnehmen, der zu einer Terrorzelle mit bewaffneten Anschlagsplänen gehören soll. Ist dies ein Anzeichen für eine neue Gewaltbereitschaft der Szene? Bernhard Witthaut: Der Rechtsextremismus ist heterogener und damit unberechenbarer geworden. Gefördert durch die virtuelle Vernetzung via Internet haben neue Akteure die Szene betreten, die durch eine Verrohung der Sprache dazu beitragen, dass Hemmschwellen abgebaut werden und die zum Teil selbst einen ausgeprägten Handlungswillen aufweisen. Militanz und Gewaltanwendung durchziehen die Geschichte des Rechtsextremismus in Deutschland wie ein Roter Faden. Die aktuelle Entwicklung ist deshalb nichts grundsätzlich Neues.
Zwei Aspekte aber verschärfen die Lage: die Resonanz, die fremdenfeindliche Tabu-Brüche in Teilen der Bevölkerung auslösen, und die kaum zu kontrollierenden, über die Ländergrenzen hinausreichenden Kommunikationswege, über die Rechtsextremisten mittlerweile verfügen und die ihnen die Vorbereitung von Anschlägen, etwa durch die Beschaffung von Waffen, erleichtern.
Wie erfolgreich sind die Präventionsund Aussteigerprogramme, mit denen Niedersachsen bislang der rechten Szene begegnet ist?
Witthaut: Seit November 2010 wurde über 40 Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten erfolgreich beim Ausstieg aus der Szene und Ideologie geholfen, darunter auch führenden Kadern. Aktuell werden über 20 Aussteigerinnen und Aussteiger betreut. Der Erfolg der Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes ist kaum zu messen. Vortragsveranstaltungen von Experten des Verfassungsschutzes erreichten jedoch allein 2019 rund 3000 Menschen. Gibt es neue Ansätze der Prävention,
da die Szene zunehmend dezentral und über das Internet agiert? Witthaut: Präventionsangebote müssen sich einerseits an den Bedürfnissen der Zielgruppe orientieren und andererseits die aktuelle Entwicklung in den Szenen abbilden. Daher werden Angebote auch online zur Verfügung gestellt und Soziale Medien in der Prävention genutzt. Ziel ist es dabei unter anderem, aufzuzeigen, wie sich Rechtsextremisten des Internets bedienen, um Themen zu setzen und sich untereinander zu vernetzen.
Social Media bietet eine gute Möglichkeit, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten und über extremistische Inhalte und Propaganda aufzuklären. Bereits seit 2011 betreibt Aktion Neustart eigene Seiten und Kanäle auf Facebook, YouTube und Instagram. Um Soziale Medien nicht rechtsextremistischen Akteuren zu überlassen, bewegt sich auch Aktion Neustart im virtuellen Raum, formuliert Gegendarstellungen und bringt diese in rechtsextremistische Filterblasen und Echokammern ein. Außerdem gibt es eine Onlineberatung.