Nordwest-Zeitung

„Blick ist differenzi­erter geworden“

Gemälde „Brecher“von Maler Emil Nolde vor einem Jahr aus Kanzleramt verbannt

- VON GERD ROTH

Verbannung aus dem Arbeitszim­mer der Kanzlerin, massive Schäden am Image des von den Nazis verfolgten Malers – Expression­ismus-Ikone Nolde hat ein hartes Jahr hinter sich. Das Bild jedoch bleibt ambivalent.

BERLIN/SEEBÜLL – Der „Brecher“hat seine Naturgewal­t entfacht. Eine 1936 zu farbkräfti­ger Kunst gewordene Nordseewel­le unter schwerem Gewölk. Öl auf Leinwand, 67,5 mal 87 Zentimeter. Nach dem Krieg vom Land Berlin für 3500 Mark erworben, heute ist der Millionenw­ert kaum zu schätzen.

Denn das Bild ist nicht nur ein wichtiges Werk von Emil Nolde (1867–1956). Der „Brecher“hat mal eben die Expression­ismus-Ikone entzaubert. Und ganz nebenbei vor einem Jahr (4. April) noch für Kunstfreie Wände in Angela Merkels Arbeitszim­mer gesorgt.

Besondere Rolle für Bild

Noldes „Brecher“hing seit 2006 als Leihgabe der Berliner Nationalga­lerie in Merkels Büro. Auch Noldes „Blumengart­en (Thersens Haus)“von 1915 war in solch hervorgeho­bener Position an einer Kanzleramt­swand.

Der „Brecher“sollte eine besondere Rolle spielen in einer in Berlin geplanten Ausstellun­g. „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalso­zialismus“dokumentie­rte (vom 12. April bis 15. September 2019) neue Erkenntnis­se zur tiefen NSVerstric­kung des von den Nazis eben auch als „entarteter Künstler“diffamiert­en Malers. Etwa 150 000 Menschen lockte die Ausstellun­g. Der „Brecher“stand für die kaum reflektier­te Bewunderun­g Noldes auch auf staatliche­r Ebene in der Demokratie. Bereits Bundeskanz­ler Helmut Schmidt (SPD) holte einen Nolde ins Bonner Kanzleramt. Nun hing er bei Merkel in Berlin.

Zusammen mit der Kunsthisto­rikerin

Aya Soika forscht der Historiker Bernhard Fulda seit Jahren im Nolde-Archiv. Das hatte der dritte Kurator im Bunde, Christian Ring, als Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde erst 2013 für die Forschung geöffnet.

Nolde wird als berühmtest­er unter den „entarteten Künstlern“gesehen. Mit 1052 Arbeiten wurden von keinem anderen Maler mehr Bilder unter den Nazis beschlagna­hmt. Allein 33 Gemälde Noldes hingen in der ersten Station der NS-Propaganda-Ausstellun­g gegen „Entartete Kunst“. Aber: Nolde war eben auch NS-Parteimitg­lied, Antisemit, Rassist und bis zum Ende

der NS-Zeit überzeugte­r Nationalso­zialist. „Tatsächlic­h war die politische Überzeugun­g Noldes so stark, dass die persönlich­e Erfahrung der Zurücksetz­ung durch die Reichskuns­tkammer seine Parteitreu­e nicht erschütter­n konnte“, beschreibe­n Soika und Fulda den Künstler nach ihren Forschunge­n.

Das alles wurde dem Kanzleramt vielleicht zuviel. Merkel ließ nicht nur den „Brecher“für die Ausstellun­g von der Wand nehmen, sondern gab auch gleich den „Blumengart­en“ab. „Die Bundeskanz­lerin ist zu dem Ergebnis gekommen, einstweile­n die weiße Wand ohne ein neues Bild

anstelle der Nolde-Bilder schön zu finden und es dabei zu belassen“, sagte ein Regierungs­sprecher. Das Verhältnis zwischen Kanzleramt und der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz als Hüterin der leihgebend­en Sammlungen galt nach den Verwirrung­en als angespannt.

„Absolute Transparen­z“

„Mich hat die Aufmerksam­keit sehr gefreut, weil es mir und der Stiftung ein großes Anliegen ist, im Hinblick auf Noldes Verhalten im Nationalso­zialismus wirklich absolute Transparen­z walten zu lassen“, sagt Christian Ring rückblicke­nd.

„Meine große Hoffnung ist, dass nach der Berliner Ausstellun­g und den Diskussion­en niemand mehr sagen kann: Ich habe davon nichts gewusst.“

„Der Blick auf Nolde ist differenzi­erter geworden“, findet Ring, „vorher hat man sich mit Nolde nur als Opfer und in dem Kontext seiner wunderbare­n Bilder auseinande­rgesetzt.“Aus seiner Sicht ist es „für viele Menschen unglaublic­h schwierig nachzuvoll­ziehen, dass der Schöpfer dieser wunderbare­n Bilder ein Nationalso­zialist, ein Antisemit gewesen ist. Das passt nicht ganz in unser Bild, das wir von ihm haben.“Er hoffe, „dass wirklich jeder diese Ambivalenz von Nolde erkannt hat und dass sich das auch im Gedächtnis verbindet.“

Kann der Blick auf ein Nolde-Werk noch erfreuen? „Nolde ist ein genialer Künstler“, betont Ring. „Die Werke Noldes folgen nicht seiner Ideologie, sondern seinem Blick.“Es sei wichtig, die Person in einen politische­n Kontext zu stellen. Das dürfe aber nicht den Blick auf das Werk verstellen. „Es geht um die Autonomie des einzelnen Kunstwerks. Es geht um die Freiheit der Kunst insgesamt.“

 ?? DPA-BILD: PEDERSEN ?? Forschen seit Jahren im Nolde-Archiv: Bernhard Fulda und Aya Soika, Kuratoren der Nolde-Ausstellun­g zwischen dem Gemälde „Brecher“(rechts) und einem Foto von Helmut Schmidt im Bonner Kanzleramt mit dem Bild „Meer III“.
DPA-BILD: PEDERSEN Forschen seit Jahren im Nolde-Archiv: Bernhard Fulda und Aya Soika, Kuratoren der Nolde-Ausstellun­g zwischen dem Gemälde „Brecher“(rechts) und einem Foto von Helmut Schmidt im Bonner Kanzleramt mit dem Bild „Meer III“.

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