Es geht um mehr als nur ums Kopftuch
Arte zeigt Dokumentation „Der Islam der Frauen“– Konservative Stimmen fehlen
Wie steht’s um den Islam? Zuletzt kreisten die Debatten oft um Extremismus und Kopftücher. Selbst dafür ist aktuell neben Corona kaum Platz. Arte versucht es trotzdem – mit spannenden Einsichten in eine Weltreligion.
STRAßBURG – Sie sind Modedesignerinnen und Architektinnen, Dozentinnen und Autorinnen, stammen aus Tunesien, dem Libanon, Marokko oder dem Oman. Die Protagonistinnen in Nadja Frenz’ Dokumentation setzen sich alle mit dem religiösen Erbe ihrer Heimats- oder Herkunftsländer auseinander: der Botschaft des Propheten Mohammed. Mit „Der Islam der Frauen“, zu sehen am Mittwoch ab 21.45 Uhr auf Arte, gibt Frenz jenen Stimme und Gesicht, die in der Berichterstattung meist hinter Klischeebildern von bärtigen Mullahs oder vollverschleierten Musliminnen verschwinden.
Zum Beispiel Asya Ali Mazard al Riyami aus dem Gesundheitsministerium von Oman: Sie beruft sich auf Chadidscha als Vorbild, die erste Gattin Mohammeds. Die Erbin einer Karawanserei sei eine erfolgreiche Geschäftsfrau gewesen, sozusagen ein Musterexemplar einer selbstbestimmten Frau. Wenig später erläutert die Tunesierin Olfa Youssef, Direktorin des Institut des Beaux-Arts in Sousse, warum sie auch gegen massiven Druck von Extremisten für eine historisch-kritische Lektüre des Koran eintritt.
Die Doku stellt Fragen wie: Warum wird Frauen in der islamischen Welt ein deutlich kleinerer Teil des Erbes zugestanden? Was hat es mit dem
Verhüllungsgebot auf sich? Und ist dem Mann tatsächlich gestattet, seine Frau zu schlagen, wenn sie ihm nicht gehorcht?
Auf der einen Seite zeigt die einstündige Dokumentation Musliminnen, die darum ringen, die rund 1500 Jahre alten Korantexte in die heutige Zeit zu übersetzen. Auf der anderen Seite präsentiert Nadja Frenz Frauen wie die französische Journalistin Zineb el Rhazoui, die Emanzipation und Islam für unvereinbar miteinander halten. Denn: „Für den Islam ist die Frau weniger wert als der Mann“, sagt sie.
Manche der porträtierten Frauen sprechen von einem doppelten Druck, unter dem sie leiden: den der eigenen Gesellschaft und den von außen, der Musliminnen vorschreibt, wie Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation auszusehen haben. Doch in der islamischen Welt gibt es durchaus
Vordenkerinnen und Vordenker: etwa die ägyptische Frauenrechtlerin Huda Scha’rawi (1879-1947) oder der Tunesier At-Tahir al-Haddad (18991935), der sich für die Teilhabe von Frauen im öffentlichen Leben stark machte.
Allerdings hat sich seither einiges geändert. Seit dem Aufstieg Saudi-Arabiens und anderer Erdöl exportierender
Staaten auf der Arabischen Halbinsel verbreitet sich eine sehr konservative Lesart des Islam.
Fern scheinen die Zeiten, in denen der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser (1918-1970) schmunzelnd von einem Treffen mit dem Anführer der Muslimbrüder berichtete. „Sie müssen das Tragen des Kopftuchs in Ägypten
anordnen!“, habe der Religionsvertreter befohlen. Und fern scheinen die Zeiten, in denen ein Zwischenrufer unter Gelächter diese Forderung quittierte mit: „Er soll selber eines tragen.“
Eine kleine Schwäche der Dokumentation ist vielleicht, dass Frenz keine konservativen Stimmen präsentiert, einflussreiche Player wie SaudiArabien oder Iran damit so gut wie außen vor bleiben. Gern hätte man gewusst, ob man dort etwas anfangen kann mit einer kritischen Lektüre des Koran. Aber warum nicht stattdessen vor der eigenen Haustüre kehren? Wenn sie sich die Bilder von EU-Gipfeln anschaue, wo außer Bundeskanzlerin Angela Merkel kaum Frauen zu sehen seien, dann, sagt die Libanesin Joumana Haddad, wisse sie, dass die Europäer in Sachen Gleichberechtigung auch noch eine Menge zu tun hätten.