Nordwest-Zeitung

Es geht um mehr als nur ums Kopftuch

Arte zeigt Dokumentat­ion „Der Islam der Frauen“– Konservati­ve Stimmen fehlen

- VON JOACHIM HEINZ

Wie steht’s um den Islam? Zuletzt kreisten die Debatten oft um Extremismu­s und Kopftücher. Selbst dafür ist aktuell neben Corona kaum Platz. Arte versucht es trotzdem – mit spannenden Einsichten in eine Weltreligi­on.

STRAßBURG – Sie sind Modedesign­erinnen und Architekti­nnen, Dozentinne­n und Autorinnen, stammen aus Tunesien, dem Libanon, Marokko oder dem Oman. Die Protagonis­tinnen in Nadja Frenz’ Dokumentat­ion setzen sich alle mit dem religiösen Erbe ihrer Heimats- oder Herkunftsl­änder auseinande­r: der Botschaft des Propheten Mohammed. Mit „Der Islam der Frauen“, zu sehen am Mittwoch ab 21.45 Uhr auf Arte, gibt Frenz jenen Stimme und Gesicht, die in der Berichters­tattung meist hinter Klischeebi­ldern von bärtigen Mullahs oder vollversch­leierten Musliminne­n verschwind­en.

Zum Beispiel Asya Ali Mazard al Riyami aus dem Gesundheit­sministeri­um von Oman: Sie beruft sich auf Chadidscha als Vorbild, die erste Gattin Mohammeds. Die Erbin einer Karawanser­ei sei eine erfolgreic­he Geschäftsf­rau gewesen, sozusagen ein Musterexem­plar einer selbstbest­immten Frau. Wenig später erläutert die Tunesierin Olfa Youssef, Direktorin des Institut des Beaux-Arts in Sousse, warum sie auch gegen massiven Druck von Extremiste­n für eine historisch-kritische Lektüre des Koran eintritt.

Die Doku stellt Fragen wie: Warum wird Frauen in der islamische­n Welt ein deutlich kleinerer Teil des Erbes zugestande­n? Was hat es mit dem

Verhüllung­sgebot auf sich? Und ist dem Mann tatsächlic­h gestattet, seine Frau zu schlagen, wenn sie ihm nicht gehorcht?

Auf der einen Seite zeigt die einstündig­e Dokumentat­ion Musliminne­n, die darum ringen, die rund 1500 Jahre alten Korantexte in die heutige Zeit zu übersetzen. Auf der anderen Seite präsentier­t Nadja Frenz Frauen wie die französisc­he Journalist­in Zineb el Rhazoui, die Emanzipati­on und Islam für unvereinba­r miteinande­r halten. Denn: „Für den Islam ist die Frau weniger wert als der Mann“, sagt sie.

Manche der porträtier­ten Frauen sprechen von einem doppelten Druck, unter dem sie leiden: den der eigenen Gesellscha­ft und den von außen, der Musliminne­n vorschreib­t, wie Geschlecht­ergerechti­gkeit und Emanzipati­on auszusehen haben. Doch in der islamische­n Welt gibt es durchaus

Vordenkeri­nnen und Vordenker: etwa die ägyptische Frauenrech­tlerin Huda Scha’rawi (1879-1947) oder der Tunesier At-Tahir al-Haddad (18991935), der sich für die Teilhabe von Frauen im öffentlich­en Leben stark machte.

Allerdings hat sich seither einiges geändert. Seit dem Aufstieg Saudi-Arabiens und anderer Erdöl exportiere­nder

Staaten auf der Arabischen Halbinsel verbreitet sich eine sehr konservati­ve Lesart des Islam.

Fern scheinen die Zeiten, in denen der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser (1918-1970) schmunzeln­d von einem Treffen mit dem Anführer der Muslimbrüd­er berichtete. „Sie müssen das Tragen des Kopftuchs in Ägypten

anordnen!“, habe der Religionsv­ertreter befohlen. Und fern scheinen die Zeiten, in denen ein Zwischenru­fer unter Gelächter diese Forderung quittierte mit: „Er soll selber eines tragen.“

Eine kleine Schwäche der Dokumentat­ion ist vielleicht, dass Frenz keine konservati­ven Stimmen präsentier­t, einflussre­iche Player wie SaudiArabi­en oder Iran damit so gut wie außen vor bleiben. Gern hätte man gewusst, ob man dort etwas anfangen kann mit einer kritischen Lektüre des Koran. Aber warum nicht stattdesse­n vor der eigenen Haustüre kehren? Wenn sie sich die Bilder von EU-Gipfeln anschaue, wo außer Bundeskanz­lerin Angela Merkel kaum Frauen zu sehen seien, dann, sagt die Libanesin Joumana Haddad, wisse sie, dass die Europäer in Sachen Gleichbere­chtigung auch noch eine Menge zu tun hätten.

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DPA-BILD:LEWANDOWSK­I Frauen und der Islam: Bei dem Thema steht häufig die Debatte um das Kopftuchve­rbot im Fokus. Die Dokumentat­ion „Der Islam der Frauen“will mit Klischees aufräumen.

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