Nordwest-Zeitung

„In der Praxis ist das Rechtssyst­em sehr ungerecht“

RTL II startet neues Gerichtsfo­rmat – Moderator Alexander Stevens über die Show

- VON BRITTA SCHULTEJAN­S

Wer sitzt in der Jury der Show? Stevens: Wir haben alles dabei – vom Sozialther­apeuten über den katholisch­en Priester bis hin zum AfD-Politiker. Es war schon wichtig, Fälle auszuwähle­n, die polarisier­en und juristisch mehrdeutig sind. Denn es ist ja nicht immer so schwarz-weiß, wie es auf den ersten Blick scheint. Oftmals stehen ja wirklich Schicksale dahinter. Und manchmal fallen den Jury-Mitglieder­n Aspekte auf, die ich nicht bemerkt habe – und das reale Gericht auch nicht.

Welche denn? Stevens: Wir hatten zum Beispiel in einem Fall die Frage, wie mit Sterbehilf­e umzugehen ist. Das ist ja ein Thema, für das viele Menschen Sympathien hegen. Und ein JuryMitgli­ed machte die Anmerkung, dass es doch besser sei,

Sterbehilf­e zu leisten, als dass sich jemand vor einen Zug wirft. Denn dann seien zwei Leben zerstört: das des Lokführers nämlich auch. Auf die Idee sind die Berufsrich­ter nicht gekommen.

Was hat Sie an den Jury-Entscheidu­ngen am meisten überrascht?

Stevens: Wie differenzi­ert dann doch argumentie­rt wurde. Oft hört man ja schlicht: „Todesstraf­e“oder ähnliches. Aber die Jury hat sich mit den Argumenten und Sachverhal­ten auseinande­rgesetzt – gerade, wenn es um Mord geht.

Bis heute ist Mord ja ein völlig unbestimmt­er Rechtsbegr­iff. Was sind niedere Beweggründ­e? Das ist völlig undefinier­t.

Was haben Sie in dieser Sendung gelernt? Stevens: Dass unser Rechtssyst­em, das sich in der Theorie sehr gerecht darstellt, in der Praxis sehr ungerecht ist.

Wäre es mit einem Jury-System wie in den USA gerechter? Stevens: Früher hätte ich klar „Nein“gesagt, aber heute sehe ich das anders. Sie haben mehr Leute mit mehreren Argumenten und einer breiteren Sichtweise. Die Augen von sieben oder zwölf Geschworen­en sehen mehr als die zwei Augen eines Richters.

Sie sind Fernseh-Jurist der ersten Stunde, waren schon bei „Richter Alexander Hold“dabei. Hatte das Auswirkung­en auf Ihre realen Auftritte vor Gericht?

Stevens: Absolut. Fernseh-Anwälte haben ein fragwürdig­es Standing bei Gericht und werden selten ernst genommen. Das ist der Grund, warum ich promoviert habe – damit ich dann wieder ernst genommen werde. Zu Zeiten der Gerichtssh­ows war es tatsächlic­h ganz schlimm. Viele Zuschauer dachten dann auch, in Gerichten gehe es wirklich so zu, und manche haben sich dann auch tatsächlic­h in den Gerichten so verhalten wie die Komparsen im Fernsehen.

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