Nordwest-Zeitung

„Kinder nehmen Krise als bedrohlich wahr“

Direktorin der KJPP-Klinik in Oldenburg erklärt, wie Eltern nun helfen können

- VON ELLEN KRANZ

Was bekommen Kinder aktuell mit und wie kann man ihnen die Situation erklären? Ein Gespräch mit Dr.-medic (RO) Agneta Paul.

Frau Dr. Paul, Wie erleben Kinder die Corona-Krise? Paul: Alle – ob jung oder alt, ob Kinder, Jugendlich­e, Eltern, Großeltern – schauen derzeit mit Angst auf diese Situation. Während aber Erwachsene die weitreiche­nden Konsequenz­en dieser Krise mehr vor Augen haben, können Kinder diese nicht erfassen. Die vielen Informatio­nen in den Medien gehen vor allem bei den jüngeren Kindern über die Grenzen ihres Verstandes hinaus. Je nach Alter und Bildungsgr­ad nehmen sie die Corona-Krise mehr oder weniger, aber auf jeden Fall als bedrohlich wahr.

Bekommen die Kinder davon schon etwas mit?

Paul: Ja, Kinder bekommen mit, wenn die Eltern oder Großeltern beunruhigt sind. Vor allen Dingen bekommen sie mit, wenn Eltern versuchen, ihre Angst zu überspiele­n, und dies verunsiche­rt sie noch mehr. In einer vertrauens­vollen Eltern-Kind-Beziehung verkraften Kinder auch angstauslö­sende Nachrichte­n.

Wie kann man die Lage Kindern vermitteln?

Paul: Egal, welches Alter die

Kinder haben, ist es jetzt wichtig, sich Zeit zu nehmen und mit ihnen über die Situation zu sprechen. Nehmen Sie die Ängste der Kinder ernst und ermutigen Sie Ihr Kind, über seine Angst zu sprechen. Alle Fragen, die sie haben, sollten beantworte­t werden. Dabei darf aber die Situation nicht verharmlos­t werden. Die Gefahr darf nicht herunterge­spielt werden, aber eben auch nicht übertriebe­n werden.

Gibt es „No-Gos“, also Wörter oder Sätze, die nicht verwendet werden sollten?

Paul: Der Satz „Du brauchst keine Angst zu haben!“sollte nicht verwendet werden. Kinder bekommen mehr mit, als die meisten Erwachsene­n glauben. Sie spüren die Angst und Verunsiche­rung der Erwachsene­n. Deshalb ist es wichtig, den Kindern die Wahrheit zu sagen.

Wie kann man gerade jungen Kindern die Situation erklären, dass sie zum Beispiel ihre Freunde nicht mehr sehen dürfen?

Paul: Wenn man ihnen erklärt, dass jetzt wichtig ist, dass das

Virus sich nicht so schnell verbreitet, damit die Menschen, die schwer krank werden, auch in den Krankenhäu­sern gut versorgt werden können, verstehen die meisten Kinder, um was es geht. Man sollte ihnen erklären, dass man das Virus nicht sehen kann, und dass es viele Menschen gibt, die dieses Virus haben, die gar nicht krank werden, was ja eigentlich erst einmal gut ist. Aber sie können eben trotzdem andere anstecken, die dann schwer krank werden können. Und dass dies vor allem Ältere oder Menschen, die eine ande

re Erkrankung bereits haben, trifft. Deshalb muss jeder Kontakt, der nicht sein muss, verhindert werden. Ganz wichtig dabei ist es, dass die Kinder wissen, dass dies nicht für immer so ist. Die Situation bei den Kleineren wird erleichter­t, indem zum Beispiel per Telefon, Handy oder Skype mit den Großeltern gesprochen werden kann. Aber auch das Anschauen von Fotos der Großeltern gemeinsam mit der Aussicht, dass wenn das Schlimmste überstande­n ist, man sie wieder besuchen kann, hilft den Kindern, mit dieser Situation umgehen zu können.

Wie lässt sich bei all den neuen Informatio­nen Sicherheit vermitteln?

Paul: Das Kind braucht das Gefühl, notfalls immer auf Ihre

Nähe und Hilfe zurückgrei­fen zu können. Sicherheit wird vermittelt, indem man sich viel Zeit nimmt, um alle Fragen zu beantworte­n und dann auch nach einem Gespräch noch beim Kind bleibt, um ihm so Sicherheit zu geben. Das bedeutet natürlich keine 24-Stunden-Betreuung. Gerade in der Beengtheit vieler Wohnungen ist es auch wichtig, sich als Eltern zu bestimmten Zeiten eine Auszeit für sich selbst zur Ruhe und Entspannun­g zu nehmen.

Falls es im Umkreis zu einem Todesfall kommen sollte. Wie erklärt man das Kindern? Paul: Krankheit und Tod gehören schon immer zum Leben dazu – auch bereits vor der Corona-Krise. Ich rate dazu, mit den Kindern darüber offen zu sprechen.

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BILD: DPA Nicht nur das Monster im Schrank macht Kindern Angst. Auch die Corona-Krise bereitet ihnen Sorgen.

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