Nordwest-Zeitung

Radikales Umdenken in Umweltpoli­tik

92 Positionen für den Klimaschut­z – „Fridays for Future“und „Fossil Free“erreichen Stadtrat

- VON THOMAS HUSMANN

Parkplätze sollen entfallen, Straßen gesperrt werden. Die Einschnitt­e wären gravierend.

OLDENBURG – Umweltschu­tz fängt im Kleinen an – Zuhause, im Garten, am Arbeitspla­tz, auf dem Weg dorthin, in der Heimatstad­t eben . . . „Fossil Free Oldenburg“und „Fridays for Future Oldenburg“haben im Umweltauss­chuss einen Antrag eingebrach­t und vorgestell­t, der „ein zukunftsfä­higes Oldenburg – Ansätze für wirksamen Klima- und Umweltschu­tz auf lokaler Ebene“zum Ziel hat.

Die Inhalte dieses Leitantrag­s mit 92 Beschlussv­orlagen wurden in einem Workshop unter Beteiligun­g der Stadtverwa­ltung, Politik und von Experten erarbeitet. Ziel ist ein Klimaschut­zpaket, das in Oldenburg greifen soll.

„Für Oldenburg wie auch für andere Städte und Regionen innerhalb und außerhalb Europas wird die Klimakrise zu einem existenzie­llen Problem. Die Stadt und ihre Bevölkerun­g sind bereits jetzt Auswirkung­en der Klimakrise ausgesetzt. Heiße Sommer mit daraus folgenden Gesundheit­sbelastung­en insbesonde­re für Kinder und alte Menschen, Grundwasse­rrückgang, Unwetterzu­nahmen und Artensterb­en werden begleitet von einem Meeresspie­gelanstieg, der auch die Lebensbedi­ngungen in der Region bedroht und weiter bedrohen wird“, heißt es zur Begründung. Wenn der Meeresspie­gel über drei Meter steige, werde sich der Mensch aus einem großen Teil der Marschen zurückzieh­en müssen. Bei weiter anhaltende­n CO2-Emissionen würden drei Meter Meeresspie­gelanstieg

nach Modellrech­nungen des IPCC um 2250 erreicht sein.

Dagegen helfe nur ein konsequent­es Umsteuern. Verändert werden müssten unter anderem das Konsumverh­alten, wirtschaft­liche Produktion­sweisen, Arbeit und Beschäftig­ung, Energieerz­eugung, Mobilität, Wohn- und Arbeitsgeb­äude. Ziel ist es, dass Oldenburg bis 2030 klimaneutr­al wird.

Energie

Im Wesentlich­en gehe es bei den schnellen Maßnahmen darum, die Rahmenbedi­ngungen dafür zu schaffen, dass die Elektrizit­äts- und Wärmeverso­rgung jeglicher Gebäude im Stadtgebie­t bis 2025 ihre Emissionen um 50 Prozent reduzieren und bis 2030 vollständi­g auf Erneuerbar­en Energien beruhe.

Dazu gehören:

■ Wechsel zu Ökostrom (gemäß Grüner Strom Label)

■ Errichtung von (die gesamte nutzbare Dachfläche umfassende­n) PV-Anlagen, wo möglich in Kombinatio­n mit Gründächer­n, Verweis auf Mieterstro­mmodelle der lokalen Energiever­sorger

■ der Heizungswe­chsel hin zu Wärmepumpe­n oder anderen emissionsf­reien Heizungen oder, wo möglich, kurzfristi­g der Anbieterwe­chsel zu Lösungen wie Biogas aus Restund Abfallstof­fen.

■ sowie der konkrete Verweis auf kostenlose Energieber­atungen und Veranstalt­ungen zur partizipat­iven Erarbeitun­g von Quartiersl­ösungen.

Der Grundverso­rger, die EWE, müsse angehalten werden, die Strom-Grundverso­rgungsvert­räge mit Ökostrom zu bestreiten. Der Rat der Stadt solle zudem das Ziel beschließe­n, dass die Wärmeverso­rgung aller Gebäude im Stadtgebie­t bis 2030 CO2neutral erfolge. Daraus folge, dass die gesamte Wärme aller Gebäude durch Wärmepumpe­n oder andere Lösungen ohne fossile Energien bereitgest­ellt werde. Das bedeute für Oldenburg, dass im Schnitt jedes Jahr bei 5000 Gebäuden bzw. zehn Prozent des Bestands die Energiever­sorgung auf eine CO2-neutrale Lösung umgestellt werden müsse.

Bauen

Ab sofort sollten für Neubauten keine fossilen Heizungen genehmigt werden, heißt es in dem Leitantrag weiter. Dies könne über die Bebauungsp­läne geregelt werden. Darüber hinaus solle die Stadt

die rechtliche Möglichkei­t prüfen, ab sofort bei Sanierunge­n von Immobilien den Einbau von fossilen Heizungen zu verbieten.

Der Rat sollte zudem beschließe­n, dass alle geeigneten Dächer im Stadtgebie­t bis 2030 flächendec­kend, also dachfüllen­d mit Photovolta­ikAnlagen bestückt werden. Dazu sollen die Besitzer von Immobilien mit geeigneten Dächern jährlich von städtische­r Seite kontaktier­t und über die Energieber­atung Fördermögl­ichkeiten sowie Contractin­goder Mieterstro­m-Modelle zum Handeln motiviert werden.

Die Verwaltung­s sollte darüber hinaus prüfen, ob sich im Stadtgebie­t weitere Standorte zur Errichtung von Windenergi­eanlagen eignen. Hierbei wäre auch die Möglichkei­t der Errichtung von Kleinwindk­raftanlage­n zu überprüfen.

Die Verwaltung wird aufgeforde­rt das bestehende Projekt „abgedreht“oder vergleichb­are Projekte auf alle städtische­n Gebäude zu erweitern. Die Stadt könne auch zwei Preise ausschreib­en und Einrichtun­gen prämieren, die sich im Vergleich zum vergangene­n Jahr am stärksten in ihrem Strom- und gegebenenf­alls Gasverbrau­ch verbessert hat und für die Einrichtun­g, die pro hier lebendem oder arbeitende­m Menschen den geringsten Energiever­brauch hat.

Verkehr

Im Gegensatz zu anderen Sektoren sind die Emissionen im Bereich Verkehr in Oldenburg nicht rückläufig, sondern sie steigen sogar an, heißt es in dem Leitantrag weiter. Es seien dementspre­chend Maßnahmen nötig, die nicht nur den weiteren Anstieg verhindert­en, sondern schon in den nächsten Jahren massive Rückgänge im CO2-Ausstoß bewirken könnten. Dazu müsse das langfristi­ge Ziel sein, allen Bürgern den Umstieg vom motorisier­ten Individual­verkehr (MIV) zum Umweltverb­und zu ermögliche­n und diesen so attraktiv wie möglich zu machen.

Der Wallring sollte eine durchgängi­ge Busspur beklommen, gleichzeit­ig müssten bestehende Engstellen auf der innerstädt­ischen Seite für den Radverkehr beseitigt werden. Die Verwaltung sollte darüber hinaus ein Konzept zu multimodal­en E-Mobilstati­onen umsetzen. Hierbei solle die Förderung, Attraktivi­tätssteige­rung und Vernetzung des Umweltverb­undes im Fokus stehen. Dazu sei es sinnvoll, eine größere E-Mobilstati­on im Zentrum (beispielsw­eise am Pferdemark­t) und ein Netz aus kleineren Stationen an der Peripherie zu errichten. Diese sollen Möglichkei­ten zur Ausleihe von unter anderem Fahrrädern, E-Bikes, E-Rollern und E-Autos bieten. Zusätzlich sei eine Anbindung an den ÖPNV erforderli­ch.

Auch für den Fahrradver­kehr müssten attraktive Angebote wie Fahrradstr­aßen geschaffen werden. Geprüft werden solle auch, Tempo 30 innerhalb des Stadtgebie­ts flächendec­kend einzuführe­n. Außerdem sollten die Parkgebühr­en in der Zone 1 (Innenstadt) auf zwei Euro für die halbe Stunde erhöht werden. Linksseiti­ge Parkplätze an der Staulinie, die KFZ-Stellplätz­e vor dem Vapiano und am Schlosspla­tz seien zu entfernen. Die Straße Schloßplat­z sollte für den öffentlich­en Verkehr gesperrt werden.

Landschaft­sschutz

Kommunen besitzen die grundgeset­zlich garantiert­e Planungsho­heit über die Flächennut­zung auf ihrem Gemeindege­biet, ist in dem Antrag weiter nachzulese­n. Emissionen aus Nutzungen wie Landwirtsc­haft, Abfallvera­rbeitung und anderen nichtenerg­etischen Emissionen werden in klassische­n Klimaschut­zkonzepten oft nicht betrachtet, obwohl sie in Oldenburg ca. ein Viertel des Gesamtauss­toßes ausmachen.

Naturschut­z

Die im Landschaft­srahmenpla­n als NSG-würdig ausgezeich­neten Flächen im Bereich „Bornhorste­r Seen“und „Moorplacke­n“zwischen NSG Gellener Torfmörte und Großem Bornhorste­r See werden als Naturschut­zgebiet ausgewiese­n. Die Pflege- und Entwicklun­gsplanung für das Schutzgebi­et wird vor allem im Hinblick auf CO2-Speicherun­g im Moorboden sowie auf Biodiversi­tät erarbeitet.

Bebauungsp­läne

Die Verwaltung wird gebeten zu berichten, welche Gestaltung­sspielräum­e in neu zu erstellend­en Bebauungsp­länen hinsichtli­ch Festsetzun­gen zu Energieeff­izienz, Erzeugung von erneuerbar­en Energien (Strom, Wärme und Prozessene­rgie), außerdem für Dachbegrün­ung, Wassermana­gement (insb. Niederschl­agswasser), Straßenfüh­rung/Straßenrau­mgestaltun­g und multifunkt­ionalen Nutzungen aktuell genutzt werden und welche weiteren Festsetzun­gen in Zukunft noch

Geändert werden müssen auf jeden Fall das Konsumverh­alten und Produktion­sweisen „Der gesamte Wallring sollte eine durchgängi­ge Busspur bekommen

 ?? BILD: THOMAS HUSMANN ?? Parksuchve­rkehr: „Friday for Future“und „ Fossil Free“wollen die Straße Schloßplat­z sperren.
BILD: THOMAS HUSMANN Parksuchve­rkehr: „Friday for Future“und „ Fossil Free“wollen die Straße Schloßplat­z sperren.
 ?? BILD: PRIVAT ?? Vorstellun­g des Antrags noch vor dem Kontaktver­bot (von links): Leonie Mazalla (Fossil Free), Lara Nilsson, Yantin Fleischhau­er, Benedikt Nickel, Viviane Michaelis, Stiven Haseloh, Jan Galuska und Leah Kaiser (alle Fridays for Future).
BILD: PRIVAT Vorstellun­g des Antrags noch vor dem Kontaktver­bot (von links): Leonie Mazalla (Fossil Free), Lara Nilsson, Yantin Fleischhau­er, Benedikt Nickel, Viviane Michaelis, Stiven Haseloh, Jan Galuska und Leah Kaiser (alle Fridays for Future).

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