Ostern am besten zu Hause
Ministerpräsident Weil rät von Ausflügen und Besuchen ab
Auch der Gesundheitsminister stimmt die Bürger auf ein „AusnahmeOstern“ein. Die Wirtschaft pocht auf Lockerungen nach den Ferien.
BERLIN/HANNOVER – Wegen der weiter steigenden Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus ruft Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dazu auf, auch an Ostern auf Ausflüge und Besuche zu verzichten. „Jetzt kommt es darauf an, dass wir gerade in den nächsten Tagen den eingeschlagenen Kurs fortsetzen und weiter äußerst zurückhaltend sind“, sagte Weil.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnte,
dass das Verhalten der Bürger über Ostern entscheidend dafür sei, ob es Lockerungen der Maßnahmen geben könne: „Bleiben wir auch übers Wochenende konsequent, wird die schrittweise Rückkehr zur Normalität wahrscheinlicher.“
Die Debatte über mögliche Lockerungen von Anti-Corona-Maßnahmen
gewinnt weiter an Fahrt. In Industrie, Mittelstand und Handel wächst die Sorge vor massenhaften Pleiten – und damit der Druck auf die Politik, die Wirtschaft so rasch wie möglich wieder hochzufahren.
Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten wollen am Mittwoch nach Ostern die Pandemie-Lage bewerten und am 19. April über Lockerungen entscheiden.
In Niedersachsen stieg die Zahl der Infektionen am Freitag um 307 auf 7411. Geschätzte 2920 Menschen – fast 40 Prozent – sind inzwischen genesen. Allerdings sind auch 171 Infizierte gestorben. Die Zahl der Erkrankten, die in einer Klinik behandelt werden, stieg am Freitag auf 913. 230 davon liegen auf Intensivstationen.
Wir sollen Angst haben. Viel davon. Und drastisch. Das steht in einem internen Strategiepapier des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Corona-Krise, das die Internetplattform „Frage den Staat“aus dem Dunkel der Beamtenbüros ans Licht gebracht hat. Eine fachübergreifende Expertengruppe hat das Papier erarbeitet. Wer wissen möchte, wo wir heute stehen, was wir möglicherweise zu erwarten haben und wie die Politik mutmaßlich weiter handeln wird, ist hier bestens bedient.
Die Angst geht von einem „Schlimmsten-Fall“-Szenario der Experten für das Gesundheitssystem aus: 70 Prozent Durchseuchung. Überlastung des Gesundheitswesens, 80 Prozent der Patienten, die eine Intensivbetreuung benötigen, müssen mangels Ressourcen von den Kliniken abgewiesen werden. In zwei Monaten eine Million Tote. In der Öffentlichkeitsarbeit, einer „umfassenden Mobilisierungskampagne“, gelte es daher, „gewünschte Schockwirkung“zu erzielen. Unter anderem mit dem Hinweis auf Schwerkranke, die „qualvoll um Luft ringend“sterben. Das sei ja eine „Urangst“des Menschen.
Noch größere Angst macht aber ein ökonomischer Albtraum, der in dem Papier drastisch skizziert wird. Sollten die Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche nämlich nicht greifen, dann „könne im Sinn einer ,Kernschmelze‘ das gesamte System infrage gestellt werden“. Und weiter: „Es droht, dass dies die Gemeinschaft in einen völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie verändert.“Ein Maß, ab wann das eintreten könnte, nennen die Experten auch: Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um einen Wert „jenseits der 20 Prozent“.
Damit skizziert das Papier ein doppelte Gefahr und gleichzeitig ein Dilemma: Massive Anti-Seuchen-Maßnahmen würgen die Wirtschaft ab. Laissez-faire gefährdet das Gesundheitssystem. Aber dort steht letztlich: „Eine längere Periode der Ausgangsbeschränkungen ist weder wirtschaftlich noch sozial aufrechtzuerhalten.“Vor diesem Hintergrund entwickeln die BMI-Experten vier mögliche Szenarien:
■ SCHNELLE KONTROLLE
Nach sechs Wochen Ausgangssperre könne danach die Verbreitung der Seuche deutlich verlangsamt werden. Dies entspräche „einem Zeitraum bis zum Ende der Osterferien“. Folgen: Die Wirtschaft würde um etwa vier Prozent einbrechen. Damit wäre der Rückgang etwas geringer als in der Weltwirtschaftskrise 2009 (neun Prozent).
■ RÜCKKEHR DES VIRUS
Nach zwei Monaten gelingt es, die Verbreitung unter Kontrolle zu bekommen. Die Wirtschaft springt wieder an, doch in der zweiten Jahreshälfte folgt eine zweite PandemieWelle. Folgen: Rückgang der Wirtschaftsleistung um elf Prozent. Der Aufschwung würde länger auf sich warten lassen. Auch für 2021 wäre mit Infektionswellen zu rechnen.
■ LANGES LEIDEN
Die Seuche kann nicht schnell eingedämmt werden. Ausgangssperren bis Mitte Juli. Folgen: Wirtschaftseinbruch um neun Prozent. Das sei jedoch eine „optimistische Annahme“. Weitere negative Effekte seien zu erwarten.
■ ABGRUND
Die Seuche ist nicht unter Kontrolle zu bringen. Ausgangssperren bis Jahresende. Folgen: Wirtschaftseinbruch um 32 Prozent. Bewertung: „Dieses Szenario kommt einem wirtschaftlichen Zusammenbruch gleich, dessen gesellschaftliche und politische Konsequenzen kaum vorstellbar sind.“
Als Konsequenz schlagen die Experten eine Kombination von gesundheitspolitischen und ökonomischen Maßnahmen vor, als deren grundsätzlicher Kern folgender Satz zu sehen ist: „Nur mit einem absehbaren Ende der Ausgangsbeschränkungen kann eine Rückkehr zum bisherigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben gewährleistet werden.“Daraus ergibt sich letztlich ein System von massiver Ausweitung der Tests – die Rede ist da von Selbstbedienungsteststellen wie in Südkorea und mobilen Teststationen –, Ausbau der Intensivkapazitäten, Überwachung der Bewegungen von Menschen, Isolierung von Erkrankten und Risikopersonen sowie ausgewählte Zugangsbeschränkungen und Veranstaltungsverbote. Fazit: „Sobald diese Maßnahmen eingespielt sind, können sie relativ kostengünstig über mehrere Jahre hinaus die wahrscheinlich immer wieder aufflackernden kleineren Ausbrüche sofort eindämmen.“
Ökonomisch empfiehlt das Papier neben einem ganzen Strauß staatsinterventionistischer Maßnahmen unter anderem per Eurobonds mit einem Federstrich ein Grundprinzip der europäischen Währungsunion zu beseitigen – dass kein Staat für die Schulden anderer aufkommt.
Bemerkenswert ist zudem, was man in dem Papier nicht zu lesen bekommt. Zum einen spielt in keinem Szenario die Möglichkeit einer Therapie oder einer Impfung eine Rolle. Ist das bereits abgeschrieben?
Zum anderen wird die politische und gesellschaftliche Gefahr durch die massive Missachtung der freiheitlichen Grundrechte im Zuge der Maßnahmen gegen die Corona-Krise nicht thematisiert. Es werden da ja systematisch die Grundlagen einer freien Gesellschaft außer Kraft gesetzt. Je länger das dauert, umso mehr Menschen dürften sich fragen a) wann das alles denn endet und b) ob es jemals wieder anders wird.
Wenn man aber die Grundlagen freiheitlicher Ordnungen und die Gültigkeit von Verträgen zur Disposition stellt, gerät das gesellschaftliche und politische System der Demokratie und das Projekt „Europa“nicht zu Unrecht in den Geruch, nur für Schönwetterperioden geeignet zu sein.
Genau das könnte nun ein weiteres Resultat der Krise werden: die nachhaltige Diskreditierung freiheitlicher Gesellschaftsentwürfe, flankiert von einer Renaissance totalitärer Lösungsansätze. Um das zu verhindern, muss es politische Grundsätze geben, die nicht verhandelbar sind. Auch in Virus-Zeiten nicht.
Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Der 49-Jährige schreibt für unsere Zeitung über deutsche und internationale Politik. @Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de