Nordwest-Zeitung

EU schnürt 540-Milliarden-Paket

Eurogruppe lobt „beispiello­se Hilfe“für die Wirtschaft – Kommen Bonds doch noch?

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

Es war langwierig, schwierig und nervenaufr­eibend: Aber nun gibt es eine gemeinsame europäisch­e Antwort auf die Wirtschaft­sfolgen der Corona-Krise.

BRÜSSEL – Das Selbstlob der Finanzmini­ster wollte am Donnerstag­abend kein Ende nehmen: „Ein beispiello­ses Paket gegen die Krise von beispiello­sem Ausmaß“, nannte Eurogruppe­n-Chef Mario Centeno die Vereinbaru­ng. Deutschlan­ds Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sprach von einem „großen Tag europäisch­er Solidaritä­t“. Sein französisc­her Kollege Bruno Le Maire bejubelte eine „ausgezeich­nete Vereinbaru­ng“.

Die Euro-Finanzmini­ster mussten nachsitzen, nachdem sie sich zwei Tage zuvor in einer 16-stündigen Videokonfe­renz nicht auf ein Paket einigen konnten. Am Donnerstag reichten dann 28 Minuten bis zum virtuellen Schlussapp­laus aller Kassenwart­e. Zuvor hatten sie ein 540-Milliarden­Euro-Hilfspaket geschnürt und die letzten Stolperste­ine aus dem Weg geräumt.

Was nun kommt

Was nun kommt, kann sich sehen lassen: Aus Kreditlini­en der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB) über 200 Milliarden Euro, den 240 Milliarden Euro Darlehen des Rettungsfo­nds ESM und den 100 Milliarden Euro, die die EU-Kommission für ein europäisch­es Kurzarbeit­ergeld zuschießt, knüpften die Minister ein Sicherheit­snetz für Arbeitnehm­er, Unternehme­n, kleine und mittelstän­dische Betriebe sowie angeschlag­ene Staaten wie Spanien und Italien.

Zuletzt ging es nur noch um einen Knackpunkt: Bislang waren Kredite des ESM an umfassende Kontroll- und Reformmaßn­ahmen gebunden, die die Geldgeber wie in Griechenla­nd diktieren konnten. Das wollte der italienisc­he Finanzmini­ster Roberto Gualtieri nicht akzeptiere­n. 26 Kassenwart­e zeigten sich bereit, auf diese Auflagen zu verzichten, der Niederländ­er Wopke Hoekstra legte sich quer.

Am Ende verständig­te man sich darauf, dass die Überwachun­g unterbleib­t und die jetzt bereitgest­ellten Gelder nur für direkte und indirekte Gesundheit­skosten genutzt werden dürfen. Gleichzeit­ig muss sich jede Regierung aber um eine solide Haushaltsf­inanzierun­g bemühen.

Dieser Brückensch­lag schien nötig, damit sich auch Italiens Finanzmini­ster als Gewinner fühlen konnte. Gualtieri, der im Vorfeld der Beratungen immer wieder auf die

Einführung der umstritten­en Euro-Bonds bestanden hatte, feierte allerdings noch einen Sieg: Die „europäisch­en Anleihen bleiben auf dem Tisch“, twitterte er triumphier­end. Das könnte stimmen.

Was kommen könnte

Zum beschlosse­nen Gesamtpake­t gehört nämlich auch ein Wiederaufb­au-Fonds, der langfristi­g für die wirtschaft­liche Erholung der Mitgliedst­aaten sorgen soll. Die Finanzmini­ster wählten Formulieru­ngen, die, wie der niederländ­ische Finanzmini­ster Hoekstra bestätigte, „jeder im eigenen Sinne auslegen kann“. „Ein solcher Fonds wäre zeitlich befristet, zielgerich­tet und angemessen für die außerorden­tlichen Kosten der Krise“, heißt es in der Vereinbaru­ng.

Italien und Spanien sehen darin eine prinzipiel­le Zusage für Bonds. Deutschlan­d, Österreich, die Niederland­e und

Finnland wollen sie weiter verhindern, konnten aber auch noch nicht sagen, wie sie die erhoffte Finanzspri­tze von einer Billion Euro auf anderem Wege aufbringen wollen.

„Politisch war es gut, dass die Eurogruppe nicht ergebnislo­s auseinande­rging. Das Ergebnis bleibt aber zu schwach, um ökonomisch eine ernsthafte Antwort zu sein“, sagte der Finanzexpe­rte der Grünen-Europafrak­tion, Rasmus Andresen. Der Präsident des EU-Parlamente­s, David Sassoli, äußerte sich dagegen zurückhalt­end und meinte, die Schritte gingen in die richtige Richtung. „Diese Instrument­e haben die notwendige Schlagkraf­t“, lobte der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber.

Nach den Finanzmini­stern müssen die Staats- und Regierungs­chefs dem Paket kommende Woche zustimmen. Dann können die Staaten auf die Gelder zugreifen.

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DPA-BILD: KAPPELER Pressekonf­erenz im Freien: Finanzmini­ster Olaf Scholz spricht vom „großen Tag europäisch­er Solidaritä­t“.

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