Nordwest-Zeitung

Populisten sind plötzlich sprachlos

- VON ULRICH SCHÖNBORN

Das Oster-Wochenende wird entscheide­nd sein für die Frage, wie es mit den Beschränku­ngen in der Corona-Krise weitergeht. Die meisten Menschen haben begriffen, dass die Gefahr zwar nicht unmittelba­r sichtbar, aber real ist. Sie informiere­n sich aufmerksam, sie achten auf Hygiene, sie vermeiden Ansteckung­sgefahren, sie schränken ihre Bewegungsf­reiheit und körperlich­en Kontakte massiv ein, um zu verhindern, dass Menschen sterben und dass noch schärfere staatliche Eingriffe in ihr Leben erfolgen, als es sie ohnehin schon gibt.

Dieses Verantwort­ungsbewuss­tsein ist eindrucksv­oll – und sollte nun die weitere Corona-Politik prägen. Auf die Bürger ist Verlass. Es ist verständli­ch und richtig, dass jetzt zum Oster-Wochenende noch einmal eindringli­che Appelle des Bundes und der Länder erfolgten, nicht nachlässig zu werden. Nach Ostern haben die Bürger aber das Recht und den Anspruch, konkreter als bisher informiert zu werden, was weiter geschehen soll. Und wie der Konflikt zwischen der Angst vor Ansteckung und der Angst vor wirtschaft­lichem Zusammenbr­uch und gesellscha­ftlicher Isolation gelöst werden kann.

Je länger das öffentlich­e Leben still steht, Existenzen vernichtet werden, Angehörige nicht besucht werden dürfen, Bürgerrech­te beschnitte­n werden, desto schwerwieg­ender wird dieser Konflikt. Und desto wichtiger wird es, die Bürger mitzunehme­n und einzubinde­n bei weiteren Entscheidu­ngen. Dazu gehört, Grundlagen für diese Entscheidu­ngen transparen­t zu machen, Strategien immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, Alternativ­en in Betracht zu ziehen und Exit-Perspektiv­en aufzuzeige­n. Je länger die Einschränk­ungen dauern, desto mehr drängende Fragen wird es zu den Folgen geben. Da ist es wichtig, Antworten zu haben.

Unstrittig ist: Bei allen Überlegung­en und politische­n Entscheidu­ngen müssen der Schutz von Menschenle­ben und damit die Stabilisie­rung unseres Gesundheit­ssystems an erster Stelle stehen. Daraus folgt eine Lehre, die schon jetzt für die Zeit nach der Pandemie zu ziehen ist: Ein Gesundheit­ssystem, das allein auf rein betriebswi­rtschaftli­che Effizienz getrimmt wurde, erweist sich als im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefä­hrlich. Die finanziell­en und gesellscha­ftlichen Kosten, die wir tragen müssen, um dieses System in der CoronaKris­e nicht zu überlasten, übersteige­n die Kosten für eine mehr am Patienten und nicht an Fallpausch­alen orientiert­e Medizin bei Weitem.

Und was bleibt hoffentlic­h noch nach der Krise? Die Erkenntnis, wie wertvoll Freiheit ist und wie schnell sie uns genommen werden kann. Das Gefühl, wie kostbar Kontakte zur Familie, zu Freunden, zu anderen Menschen sind und wie schmerzhaf­t es ist, wenn diese Kontakte gestört sind. Und nicht zuletzt die Erfahrung, dass in Zeiten einer solchen Krise Streiterei­en verblassen, dass Solidaritä­t wächst und dass Populisten und Ideologen plötzlich sprachlos sind, weil sie keine vermeintli­ch einfachen Antworten auf diese immensen Herausford­erungen haben, vor denen wir derzeit stehen.

@ Den Autor erreichen Sie unter Schoenborn@infoautor.de

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