Größte Herausforderung ihrer Karriere
Wie sich Niedersachsens Gesundheitsministerin zur Krisenmanagerin wandelt
Lange haftete Carola Reimann (SPD) vor allem die Posse um die Pflegekammer an. In der Corona-Krise zeigt sie sich kenntnisreich und fokussiert. Allein: Gehen ihre Erlasse zu weit?
HANNOVER – Der Tag beginnt für Niedersachsens Gesundheitsministerin um 5.15 Uhr in der Früh. Das sei schon vor dem Coronavirus so gewesen, sagt Carola Reimann. Doch seit Wochen dreht sich nach dem Aufstehen fast alles nur noch um eins: die CoronaPandemie. Eine Telefonschalte hier, die neuen Fallzahlen um 14 Uhr, eine Besprechung mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) um 16 Uhr, dann wieder eine Videokonferenz – für die 52-Jährige ist die
Ausnahmesituation Corona die größte Herausforderung ihrer Karriere. Und über allem schwebt die Frage: Bis wohin sind Einschnitte von Grundrechten gerechtfertigt, um die Allgemeinheit zu schützen?
Los ging es in Niedersachsen, „als die Skifahrer aus Österreich zurückkamen“, sagt Reimann. Erste Verdachtsfälle im Februar, der erste bestätigte Corona-Test am 1. März. „Das war einer, der Biathlon geguckt hatte in Südtirol. Es war Wochenende, ich kam von einer der letzten Neujahrsveranstaltungen zurück, und abends erhielt ich den Anruf “, erinnert sich die Ministerin. Über eine Arztpraxis in Peine, ein Labor in Göttingen und das Gesundheitsamt erreichte sie die Meldung über den Patienten Null aus Uetze. Die Kontaktpersonen des Infizierten wurden getestet. Doch irgendwann war die Kette der Infektionen auch in Niedersachsen nicht mehr nachvollziehbar.
Reimann ist seither im Dauereinsatz. War es in den Monaten zuvor meist die Posse um die Pflegekammer, die ihrem Ressort anlastete, macht sich die Wahl-Braunschweigerin jetzt als Krisenmanagerin einen Namen. Unermüdlich, kenntnisreich, fokussiert auf die Gesundheit.
Doch schießt sie dabei über das Ziel hinaus? In der Opposition mehren sich die Stimmen, die der Landesregierung und ihr das vorwerfen. Das Abwägen der Freiheitsrechte sei derzeit ihre schwierigste Aufgabe, erzählt die SPD-Politikerin. Als studierte Biotechnologin bringt sie „naturwissenschaftliches Rüstzeug“mit, wie sie sagt. Das helfe, wenn die Virologen mal wieder nicht einer Meinung sind. Den Druck, den die öffentliche Diskussion über mögliche Lockerungen der Kontaktverbote ihr auferlegt, lindert es nicht.
„Die Landesregierung insgesamt geht erstaunlich lax und zu pauschal mit der Einschränkung von Grundrechten um“, kritisiert GrünenFraktionschefin Julia Willie Hamburg. Und FDP-Fraktionschef Stefan Birkner hält ihr vor, sich über eine Exit-Strategie zum Ende der Kontaktbeschränkungen auszuschweigen. Für Missfallen haben vor allem zwei Entscheidungen gesorgt. Da ist zum einen die strenge Auslegung des Krisenstabs mit Blick auf ein mittlerweile abgewendetes Verbot privater Besuche – ein internes Gerangel, das für GrünenFraktionschefin Hamburg bezeugt, dass Staatskanzlei und Ministerium „offensichtlich wochenlang nebeneinander her gearbeitet“haben. Zum anderen widersetzt sich das Gesundheitsministerium bei der Weitergabe von Quarantäne-Daten einer Anordnung der Landesdatenschutzbeauftragten.
Auch durch ihre eigene Feiertagsplanung hat das Coronavirus einen Strich gemacht. Eigentlich wollte die Ministerin die Karwoche bei ihrer Mutter am Niederrhein verbringen. Daraus wurde nichts. „Meine Mutter ist 79. Und ich möchte, dass sie 80 wird“, sagt Reimann.