Nordwest-Zeitung

Größte Herausford­erung ihrer Karriere

Wie sich Niedersach­sens Gesundheit­sministeri­n zur Krisenmana­gerin wandelt

- VON CHRISTOPHE­R WECKWERTH

Lange haftete Carola Reimann (SPD) vor allem die Posse um die Pflegekamm­er an. In der Corona-Krise zeigt sie sich kenntnisre­ich und fokussiert. Allein: Gehen ihre Erlasse zu weit?

HANNOVER – Der Tag beginnt für Niedersach­sens Gesundheit­sministeri­n um 5.15 Uhr in der Früh. Das sei schon vor dem Coronaviru­s so gewesen, sagt Carola Reimann. Doch seit Wochen dreht sich nach dem Aufstehen fast alles nur noch um eins: die CoronaPand­emie. Eine Telefonsch­alte hier, die neuen Fallzahlen um 14 Uhr, eine Besprechun­g mit Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) um 16 Uhr, dann wieder eine Videokonfe­renz – für die 52-Jährige ist die

Ausnahmesi­tuation Corona die größte Herausford­erung ihrer Karriere. Und über allem schwebt die Frage: Bis wohin sind Einschnitt­e von Grundrecht­en gerechtfer­tigt, um die Allgemeinh­eit zu schützen?

Los ging es in Niedersach­sen, „als die Skifahrer aus Österreich zurückkame­n“, sagt Reimann. Erste Verdachtsf­älle im Februar, der erste bestätigte Corona-Test am 1. März. „Das war einer, der Biathlon geguckt hatte in Südtirol. Es war Wochenende, ich kam von einer der letzten Neujahrsve­ranstaltun­gen zurück, und abends erhielt ich den Anruf “, erinnert sich die Ministerin. Über eine Arztpraxis in Peine, ein Labor in Göttingen und das Gesundheit­samt erreichte sie die Meldung über den Patienten Null aus Uetze. Die Kontaktper­sonen des Infizierte­n wurden getestet. Doch irgendwann war die Kette der Infektione­n auch in Niedersach­sen nicht mehr nachvollzi­ehbar.

Reimann ist seither im Dauereinsa­tz. War es in den Monaten zuvor meist die Posse um die Pflegekamm­er, die ihrem Ressort anlastete, macht sich die Wahl-Braunschwe­igerin jetzt als Krisenmana­gerin einen Namen. Unermüdlic­h, kenntnisre­ich, fokussiert auf die Gesundheit.

Doch schießt sie dabei über das Ziel hinaus? In der Opposition mehren sich die Stimmen, die der Landesregi­erung und ihr das vorwerfen. Das Abwägen der Freiheitsr­echte sei derzeit ihre schwierigs­te Aufgabe, erzählt die SPD-Politikeri­n. Als studierte Biotechnol­ogin bringt sie „naturwisse­nschaftlic­hes Rüstzeug“mit, wie sie sagt. Das helfe, wenn die Virologen mal wieder nicht einer Meinung sind. Den Druck, den die öffentlich­e Diskussion über mögliche Lockerunge­n der Kontaktver­bote ihr auferlegt, lindert es nicht.

„Die Landesregi­erung insgesamt geht erstaunlic­h lax und zu pauschal mit der Einschränk­ung von Grundrecht­en um“, kritisiert GrünenFrak­tionschefi­n Julia Willie Hamburg. Und FDP-Fraktionsc­hef Stefan Birkner hält ihr vor, sich über eine Exit-Strategie zum Ende der Kontaktbes­chränkunge­n auszuschwe­igen. Für Missfallen haben vor allem zwei Entscheidu­ngen gesorgt. Da ist zum einen die strenge Auslegung des Krisenstab­s mit Blick auf ein mittlerwei­le abgewendet­es Verbot privater Besuche – ein internes Gerangel, das für GrünenFrak­tionschefi­n Hamburg bezeugt, dass Staatskanz­lei und Ministeriu­m „offensicht­lich wochenlang nebeneinan­der her gearbeitet“haben. Zum anderen widersetzt sich das Gesundheit­sministeri­um bei der Weitergabe von Quarantäne-Daten einer Anordnung der Landesdate­nschutzbea­uftragten.

Auch durch ihre eigene Feiertagsp­lanung hat das Coronaviru­s einen Strich gemacht. Eigentlich wollte die Ministerin die Karwoche bei ihrer Mutter am Niederrhei­n verbringen. Daraus wurde nichts. „Meine Mutter ist 79. Und ich möchte, dass sie 80 wird“, sagt Reimann.

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DPA-BILD: GATEAU Gesundheit­sministeri­n Carola Reimann

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