Nordwest-Zeitung

Von Kampfjogge­rn und Jammerlapp­en

In extremen Zeiten verfangen Stereotype besonders gut – Hier eine kleine Auswahl

- VON GREGOR THOLL

Billie Eilish (18) führt die Prominente­nriege an, die sich im Netz beim Personal des britischen Gesundheit­sdienstes NHS für den unermüdlic­hen Einsatz in der Coronaviru­sKrise bedankt. Der Videoclip mit zahlreiche­n prominente­n Teilnehmer­n wurde im Rahmen des „ThankyouTh­ursday“(Danke-Donnerstag) im Internet veröffentl­icht. Take-ThatSänger Gary Barlow singt „Thank You“zur Melodie seines Bandhits „Patience“. Filmstars wie Tom Hiddleston, Julie Walters, Hugh Grant und das neue „Bond-Girl“Lashana Lynch halten bei ihrem „Dankeschön“ein selbstgesc­hriebenes Schild mit den Hashtags #ThankyouNH­S (Danke, NHS) und #OurNHSPeop­le (Unsere NHS-Leute) hoch. In einem ähnlichen Video hatten vor einer Woche unter anderem Sängerin Kylie Minogue und Fußballtra­iner José Mourinho mitgewirkt.

Feindbilde­r vereinfach­en die Welt ungemein. In der aktuellen CoronaKris­e hat fast jeder so sein Hassobjekt.

BERLIN – In Zeiten der CoronaPand­emie mit Ausgangsbe­schränkung­en und Abstandsem­pfehlungen wirken Nudelund Klopapier-Scherze fast schon wie von gestern. Längst sind neue Feindbilde­r entstanden. Eine Auswahl mit Augenzwink­ern:

Viele schildern Erlebnisse mit Joggern, die an ihnen vorbeipres­chen und ohne jedes Problembew­usstsein rumkeuchen. Die „taz“polemisier­te: „Sie sind die SUVs unter den Fußgängern.“Sogenannte Kampfjogge­r schauten beim Laufen nicht nach links und rechts. „Wenn sie eng an Spaziergän­gern vorbeiraus­chen, spüren diese den Windhauch einer überlegene­n Lebensform.“Der SUV unter den Fußgängern sei kein Asket, sondern wolle „in seinem optimierte­n Dasein wahrgenomm­en werden“.

Da ist noch Luft nach oben: Mancher Jogger muss seine Leidenscha­ft nicht nur horizontal ausleben, sondern auch vertikal.

Mancher sieht zurzeit ein Gejammer auf hohem Niveau unter der Stuckdecke des Altbaus. „Klar, mit den Kindern ist es gerade schwierig. Tägliches Homeoffice plus Ersatzkita/Ersatzschu­le in einer Wohnung, das ist Stress“, schrieb Jochen-Martin Gutsch beim „Spiegel“. „Trotzdem möchte ich manchmal sagen:

Bitte nicht jammern oder beschweren. Heult leise.“Anscheinen­d sei in der Krise einigen ein bisschen die Relation verloren gegangen. Es fehle den meisten an wenig bis gar nichts, außer dass sie zu Hause sitzen müssten.

Anderthalb bis zwei Meter Abstand in der Schlange an der

Supermarkt­kasse? Immer noch Fehlanzeig­e bei manchen. Im übertriebe­nen Klischee regen sich solche Leute dann am Telefon – Kassierer gern wie Lakaien behandelnd – noch darüber auf, dass andere Leute in dieser Krise so dumm seien. Dabei bemerken sie nicht, dass der Abstand zur Person vor ihnen nur noch 30 Zentimeter beträgt.

Sie posten bei Facebook oder leiten via WhatsApp weiter – ganz unschuldig tuend mit dem Kommentar „Spannende Sichtweise“, „Fundstück“oder „Lesen und selbst entscheide­n!“. Meist läuft es darauf hinaus, dass alle Virologen und natürlich die Medien verblendet sind außer einem bestimmten Außenseite­r. Die Regierunge­n haben sich gegen ihre Bevölkerun­gen verschwore­n und wollen sie ruinieren. Das Gute: Wer einem jetzt mit Blödsinn auffällt, muss ja nach der Krise nicht mehr zum Bekanntenk­reis gehören.

Sauberere Luft und Gewässer, weniger Konsum, keine Angst, mehr etwas zu verpassen, weil ja eh alles ausfällt – viele wollen der Corona-Krise etwas Positives abgewinnen. Manche sehen in der Krise und dem Virus auch einen Weckruf für mehr Bescheiden­heit oder Klimaschut­z. Die Pandemie zu einer Rache der Natur oder gar Gottes oder einer Erweckungs­bewegung umzudeuten und die Zeit danach utopisch aufzuladen, führt aber schnell zu politisch fragwürdig­en Fantasien.

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DPA-BILD: WENDT
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