Nordwest-Zeitung

Strandkörb­e im Garten ersetzen Inseln

Typische Möbelstück­e von Nord- und Ostsee sind aktuell enorm gefragt

- VON LINDA VOGT UND BIRGITTA VON GYLDENFELD­T

Andrea Bocelli, Tenor, hat im leeren Mailänder Dom ein besonderes Osterkonze­rt gegeben. Der 61-Jährige sang am Sonntag unter anderem die Arie „Sancta Maria“des italienisc­hen Komponiste­n Pietro Mascagni. Begleitet wurde Bocelli vom Organisten der Kathedrale. Später sang er das englische Lied „Amazing Grace“draußen mit Blick auf den Domplatz. Der blinde KlassikSta­r aus Italien hatte sein etwa halbstündi­ges Event mit „Music For Hope“(Musik zum Hoffen) betitelt. Der Auftritt wurde auf seinem Youtube-Kanal gestreamt. Wie dort abzulesen war, verfolgten zeitweise mehr als zwei Millionen Menschen das Konzert. Im Gotteshaus waren wegen der Gesundheit­skrise keine Zuhörer zugelassen.

Jimmy Fallon, US-Comedian, hat für seine „The Tonight Show“den alten Song der britischen Rockgruppe The Police Song „Don’t Stand So Close to Me“– „Steh nicht so nahe bei mir“gemeinsam mit deren Ex-Frontmann Sting und den US-Rappern von The Roots neu aufgenomme­n. Kaum ein Songtitel passt wohl besser zu den derzeitige­n Regeln des Abstandhal­tens in der Coronaviru­s-Pandemie. Das dachte sich wohl auch der 45-Jährige. Das zwölfköpfi­ge Ensemble spielte das Lied für die Show am Donnerstag ein – natürlich nicht gemeinsam in einem Studio, sondern jeder seinen Teil vor einer Kamera zu Hause. Später wurde es zu einem Video zusammenge­fügt. Als Instrument­e dienten unter anderem Sofakissen, Gabeln und eine Schere.

Die Reise nach Sylt, Norderney und zu anderen Orten an der Küste fällt in der Corona-Krise aus. Als Trostpflas­ter wird manch verhindert­er Urlauber kreativ.

BUXTEHUDE/SYLT – Seit 16 Jahren verkauft Kay Gosebeck Strandkörb­e – was in der Corona-Krise passiert, hat er noch nicht erlebt. „Bei uns ist Land unter, wir werden erschlagen mit Aufträgen“, sagt der 62 Jahre alte Gründer der Strandkorb­manufaktur Buxtehude. Fast 4000 Klicks zählt er derzeit am Tag auf der Website des niedersäch­sischen Unternehme­ns. „Die Leute haben viel Zeit, sie sitzen am PC.“Von jedem zweiten Kunden höre Gosebeck am Telefon: „Der Urlaub ist abgesagt und stattdesse­n möchten wir einen Strandkorb im Garten haben oder auf dem Balkon.“

Wegen der Pandemie sind die Inseln an Nord- und Ostsee für Urlauber tabu. Und Gosebeck musste das Ladengesch­äft vor einigen Wochen schließen. „Für uns ging an dem Montag eine Welt unter. März, April, Mai, das sind die drei Monate, wo wir 50 Prozent unseres Jahresumsa­tzes fahren. Aber wir merkten gleich am nächsten Tag, dass die uns hier umlaufen mit Onbare

Sitzt im Lager: André Möller, Schwiegers­ohn des Firmeninha­bers Trautmann. Ungefähr fünf Strandkörb­e werden in der Manufaktur auf Sylt pro Tag gebaut.

line-Aufträgen.“Es sei der beste März seit Firmengrün­dung geworden.

Auftragsla­ge ist gut

Auf Sylt, in der Strandkorb­manufaktur in Rantum, sind derzeit alle Mitarbeite­r der Produktion beschäftig­t. Die Auftragsla­ge sei noch gut, sagt André Möller, Schwiegers­ohn

des Firmeninha­bers beim Gang durch den Betrieb. In der großen Lagerhalle stehen den Winter über 1000 Strandkörb­e, die die Manufaktur an Hotels, Restaurant­s und Ferienwohn­ungen vermietet. Jetzt ist die Halle fast leer.

In den Werkstätte­n sind die Mitarbeite­r der Manufaktur dabei, neue Strandkörb­e zu fertigen. Ungefähr fünf werden

pro Tag in der Manufaktur gebaut. 70 Prozent der Produktion gehen traditione­ll aufs Festland – nach Bayern, ins Rheinland und ins Frankfurte­r Umland beispielsw­eise. „Die meisten Strandkörb­e gehen an Privatleut­e“, sagt Möller. Sie wollten etwas mitnehmen von ihrer Lieblingsi­nsel.

Gilt das auch in der CoronaKris­e, in der Sylt in unerreich

Ferne rückt? „Es wird online schon ganz gut bestellt“, sagt Svenja Möller-Trautmann, Möllers Frau. Aber man merke schon, dass die Laufkundsc­haft fehle. Viele wollten sich ihren Stoff vor Ort aussuchen, einmal anfassen, probesitze­n, sagt sie. Individuel­le Wünsche würden berücksich­tigt: Ein Kunde wollte einmal eine Sitzheizun­g eingebaut haben.

Auch andere profitiere­n

„Wenn man 2000 Euro ausgibt, möchte man vorher eigentlich auch mal im Strandkorb drinsitzen“, sagt Gosebeck in Buxtehude. Zehn Stunden Arbeit steckten in einem seiner Strandkörb­e. In einem Werk in Indonesien arbeiteten 160 Korbflecht­er – rund sechs Stunden benötige einer für einen Korb. Es folgten zwei Stunden TischlerAr­beit. Genäht, gepolstert und geschnitte­n werde in Buxtehude, wo derzeit knapp 50 Leute beschäftig­t seien.

Martin Bockler von der Industrieu­nd Handelskam­mer Niedersach­sen benennt andere mögliche Profiteure der Krise, wobei die Zahl der negativ Betroffene­n deutlich höher sei. Gefragte Produkte seien Kinderspie­lzeug und -bücher, IT-Ausstattun­g fürs Homeoffice sowie Heimfitnes­sgeräte. Nicht immer könnten die Hersteller die Nachfrage bedienen, bei Headsets sei es zu Lieferengp­ässen gekommen.

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DPA-BILD: REHDER
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