Mit Maske in die Läden
Empfehlung, aber keine Pflicht – Erste Maßnahmen werden gelockert
Viele kleinere Geschäfte dürfen nächste Woche öffnen. Auch der Schulbetrieb beginnt bald.
HANNOVER/BERLIN – Im Kampf gegen das Coronavirus wollen Bund und Länder das Tragen von Alltagsmasken im öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel „dringend“empfehlen. Eine bundesweite Maskenpflicht soll es aber nicht geben. Die weiteren Entscheidungen aus der Konferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten vom Mittwoch:
■ Kontaktsperre: Die in Deutschland verhängten Kontaktbeschränkungen sollen grundsätzlich bis mindestens
3. Mai verlängert werden. Die Bürger sollen weiterhin auf
private Reisen und Besuche auch von Verwandten verzichten – sowie auf überregionale tagestouristische Ausflüge. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, man gehe derzeit „über dünnes Eis“. Die Lockerungen dürften nicht dazu führen, dass die Infektionszahlen wieder deutlich steigen.
■ Handel: Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern sollen wieder öffnen dürfen. Dies gilt unabhängig von der Verkaufsfläche auch für Kfz-Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen. Baumärkte bleiben geöffnet. Die Verordnung soll Montag in Kraft treten.
■ Schulen: Die Abschlussklassen starten wieder am 27. April. Der Unterricht, beginnend mit den höheren Jahrgängen, soll am 4. Mai aufgenommen werden. Vor allem die „Notbetreuung“in Kitas und Horten solle ausgeweitet werden, wie Weil betonte.
■ Großveranstaltungen: Diese sollen bis zum 31. August grundsätzlich untersagt werden. Betroffen sind davon auch Fußballspiele. Das Versammlungsverbot in Gotteshäusern bleibt in Kraft.
■ Gastronomie: Gastronomiebetriebe bleiben vorerst weiter geschlossen. Davon ausgenommen ist die Lieferung und Abholung von Speisen für den Verzehr zu Hause. Bei Hotels, Bars, Theatern und Konzerthäusern gibt es keine Lockerungen. Auf die Frage, wann die Betriebe wieder öffnen werden, sagte Weil, das sei „reine Spökenkiekerei“.
Herr Kliche, es heißt, viele Menschen werden in der Krise zu Denunzianten. Stimmt das? Kliche: Das sind doch bislang wenige, schon weil die meisten Menschen sich an die Regeln halten, und weil die Ämter einer Flut von Meldungen gar nicht nachgehen könnten. Aber auch der Ausdruck ist irreführend. Bei Einschränkungen wird Menschen Fairness noch wichtiger als sonst, damit die Last einigermaßen gleichmäßig verteilt und das Wohl der Gruppe gewahrt wird. Wer also für die Einhaltung der Regeln eintritt, tut das oft aus Gerechtigkeitsgründen.
Sollten die Bürger denn Corona-Regelbrecher melden oder nicht?
Kliche: Sie sollten abwägen. Wenn jemand andere Menschen gefährdet, etwa als Pulk im Seniorenpflegeheim aufkreuzt, dann müssen wir eingreifen. Wenn jemand mit seiner Familie ein wenig Auslauf im Park sucht, sind Zurechtweisungen doch menschlich ärmlich und medizinisch ungerechtfertigt. Also mitdenin
ken und Leben schützen! Das ist der Kern der Sache, nicht kleinliche, wichtigtuerische Kontrolle.
Also gibt es eine Grenze zwischen Zivilcourage und Denunziantentum?
Kliche: Es gibt gute und schlechte Gründe für vernünftiges Verhalten, aber auch für unvernünftiges. Faustregel: Was man engstirnig und dogmatisch macht, richtet Schaden an. Wer sich zum Hobby macht, andere zu maßregeln, wird langfristig zumeist auch die Sache schädigen. Wer freundlich und engagiert lebt, kann sich mit anderen ja in der Regel verständigen.
Gibt es spezielle Charaktere, die besonders mit Argusaugen auf andere achten? Kliche: Gewiss. Wer zwanghaft an Regeln hängt, weil jede Neuheit oder Individualität Angst auslöst, oder wer unter dem Vorwand von Regeln gerne andere herumkommandiert, der wird Widerstand auslösen. Wir sollten aber alle etwas Nachsicht haben. Denn Krisen neigen die meisten Menschen zur sogenannten autoritären Reaktion: Sie wünschen sich klare Regeln, eine einige und starke Gruppe, eine durchsetzungsfähige Führung und ein überschaubares Weltbild mit einfachen Entscheidungen und rasch machbaren Lösungen.
Welche Rolle spielt, dass bei vielen Menschen daheim die Nerven inzwischen blank liegen?
Kliche: Wir merken unser „Unbehagen in der Kultur“, wie Sigmund Freud das nennt, wenn wir unsere Triebregungen zugunsten des Zusammenlebens zurückhalten müssen. Je enger wir aufeinander angewiesen sind, je dichter die Normen gestrickt sind und je weniger wir mit ihnen vertraut sind, desto anstrengender wird Zusammenleben. Und das macht einfach gereizt, gerade in kleinen Wohnungen mit pubertierenden Kindern und geringer langjähriger Übung in Selbstreflexion und Selbststeuerung. Aber Menschen sind auch schlau und flexibel, das gelingt mit etwas Übung überwiegend einigermaßen gut.