Von sauberer Luft und brütenden Vögeln
So wirkt die Corona-Krise positiv auf die Umwelt – Experte erklärt, wie Effekte nachhaltig bleiben
Prof. Ingo Mose von der Uni Oldenburg spricht über Sorgen und Hoffnungen. Dabei hat er einen dringenden Wunsch an die Politik.
Herr Prof. Mose, seit gut vier Wochen arbeiten viele Menschen von zu Hause aus, Reisen sind weitgehend verboten – gibt es schon Auswirkungen auf die Umwelt?
Mose: Es gibt hierzu keine pauschale Aussage. Aber es gibt interessante, unmissverständliche und positive Wirkungen. Auf Luftbildern der Nasa, der amerikanischen Behörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft, ist zu sehen, dass die Emissionen von Stickstoffdioxid etwa über China, Südkorea und Norditalien um bis zu 30 Prozent zurückgegangen sind. Das ist vor allem mit dem Herunterfahren der Wirtschaft und der Reduzierung des Verkehrs in diesen Regionen zu erklären.
Gibt es noch andere Beispiele? Mose: Ja, durchaus. Wir können aktuell davon ausgehen, dass sich die Menschen wegen der Ausgangsbeschränkungen weniger im Raum bewegen. Dadurch gehen vermutlich auch die von Menschen verursachten Störungen in der Tierwelt zurück. Das betrifft brütende Vögel, die weniger aufgescheucht werden, oder auch Amphibien, die so besser zu ihren Laichplätzen gelangen. Allerdings gibt es hierzu keine belastbaren Daten.
Sind die positiven Auswirkungen auch für die Menschen bereits spürbar?
Mose: In Gebieten, in denen es normalerweise eine hohe Konzentration von Schadstoffen gibt, ist die Wirkung teilweise sicherlich schon spürbar. In welcher Weise sich das konkret bemerkbar macht, vermag ich nicht zu sagen. Das kommt jeweils auf den Einzelfall an. Grundsätzlich ist eine Minderung von Schadstoffeinträgen ganz sicher immer als ein Gewinn für die Gesundheit, zum Beispiel für die Entlastung der Atemwege, anzusehen.
Können die positiven Effekte auf die Umwelt auch nachhaltig erhalten bleiben? Mose: Das kann man nicht genau sagen. Einige befürchten, dass die Situation wieder genauso wird wie vorher, andere hoffen, dass es anders werden könnte. Darüber kann man allenfalls spekulieren. Niemand hat sich eine solche Krise gewünscht – auch wenn sie unerwartet positive Nebeneffekte mit sich bringt. Die aktuellen Umstellungen und damit Verbesserungen für Natur und Umwelt könnten sehr schnell verpuffen. Umso mehr Anstrengungen sollten dahingehend unternommen werden, Bedingungen zu schaffen, die eine dauerhafte Reduzierung der Belastungen aus Wirtschaft, Energieerzeugung und Verkehr fördern. Das Virus könnte somit quasi als Signal wirken, aus dem wir unsere Lehren ziehen. Für die Gestaltung der Zukunft sind wir aber selbst verantwortlich.
Was können wir als Gesellschaft daraus also lernen? Mose: Wir sehen gerade, dass die Gesellschaft in der Lage ist, sich an Beschränkungen zu halten. Das könnten wir als Vorbild nehmen im Umgang mit anderen Krisen – der Klimakrise zum Beispiel. Die Frage ist, ob wir damit rechnen können, dass Menschen dazu bereit sind, auch andere Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Aktuell gibt es Einschnitdiese te in unser gewohntes Leben, die uns dazu veranlassen, über diese Fragen grundsätzlich nachzudenken.
Sind Sie in Sorge, dass Themen wie Umweltschutz oder Klimawandel durch die Corona-Krise zu sehr in den Hintergrund rücken?
Mose: De facto überlagert die Corona-Krise bereits alle anderen Themen und hat eine sehr starke Präsenz. Andere Themen wie der Klimawandel oder der Umweltschutz kommen da nicht gegen an. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, dass die Probleme nicht geringer werden, die Klimakrise besteht weiter. Es ist sicher, dass es auch in diesem Jahr in den Urwäldern im Amazonasgebiet weiter brennen, dass es Dürreperioden oder Überschwemmungen geben
wird, nicht zuletzt auch in Europa. Wenn die Corona-Krise hoffentlich bald überstanden sein wird, wäre es schön, wenn die Klimathematik wieder an den Platz rückte, der ihr gebührt – nämlich an erste Stelle.
Aber ist nicht jetzt schon einiges passiert?
Mose: Ja, aber das darf nicht davon ablenken, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Ich denke, es wird aber schwierig sein, von der Bewältigung einer Krise direkt in die Bewältigung der nächsten zu wechseln
Welche Hoffnungen haben Sie? Mose: Wenn die Corona-Krise vorbei ist und wir in einen „Normalzustand“zurückkehren, wäre es wünschenswert, Wirtschaft und Verkehr mit Blick darauf hochzufahren,
nachhaltiger zu gestalten. Ich wünsche mir, dass man anders mit all diesen Themen umgehen wird. Natürlich soll ein normales Leben wieder möglich werden – aber in einem Modus, der zukunftsfähig ist.
Wie könnte dieser aussehen? Mose: Anstatt jeden Tag ins Büro zu fahren, könnten Pendler teilweise weiterhin im Homeoffice arbeiten. Ich selbst würde zukünftig nicht mehr für eine einstündige Besprechung mal eben nach Hannover oder Osnabrück fahren – die Vorbehalte gegen diverse Tools im Internet haben sich aufgelöst. Hier sind eine Menge klimafreundlicher Lösungen vorstellbar, die leicht umzusetzen sind. Trotzdem: Am Ende werden dies immer individuelle Entscheidungen bleiben.
Und der Staat?
Mose: In der aktuellen Corona-Krise hat die Politik bewiesen, dass sie im weitgehenden Konsens einheitliche, kluge Entscheidungen treffen kann. Die Politiker sind deutlich mutiger als sonst – und die Menschen tragen die starken Einschränkungen mit, weil sie ihnen gut erklärt werden. Es wäre wünschenswert, wenn so konsequent auch mit dem Klimaschutz umgegangen würde.
Bessere Luft: Satellitenbilder der europäischen Raumfahrtagentur ESA zeigen die Luftverschmutzung in Italien im März 2019 (links) sowie vom 14. bis 25. März 2020.