Am Ende wird Karlsruhe entscheiden
Professor Battis, der Ruf nach Lockerungen der Corona-Beschränkungen wird lauter. Wie lange können die Grundrechte noch außer Kraft gesetzt werden?
Battis: Es ist vollkommen unverständlich, dass sich der Bundesgesundheitsminister zu einer solchen Bemerkung hat hinreißen lassen. Wir erleben jeden Tag, dass sich medizinischen Experten mit unterschiedlichen Äußerungen widersprechen. Es gibt eine große Unsicherheit. Das ursprüngliche Konzept mit den radikalen Einschnitten in die Grundrechte war gerechtfertigt. Inzwischen scheint sich diese Strategie bewährt zu haben. Die befürchteten Katastrophenszenarien sind bisher ausgeblieben. Jetzt gibt es erste Lockerungen. Die Vorsichtsmaßnahmen müssen angemessen und wirksam sein, wie es das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat. Jetzt pauschal zu erklären, dass dies noch monatelang so bleiben wird, wie es der Gesundheitsminister getan hat, ist völlig unverhältnismäßig und aus der Luft gegriffen. Natürlich kann niemand voraussagen, ob es eine zweite oder dritte Welle gibt, solange kein Impfstoff vorhanden ist. Dennoch: Solch eine pauschale und völlig undifferenzierte Aussage wie die des Ministers zum jetzigen Zeitpunkt ist einfach rechtswidrig.
Staatsrechtler
Professor Ulrich Battis (75) ist Rechtswissenschaftler. Er lehrte an der Fern-Uni Hagen und zuletzt, bis zu seiner Emeritierung 2009, an der Humboldt-Universität Berlin Staatsrecht.
Grundrechtseinschränkungen über Monate hinweg – würden Bund und Länder damit am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern? Battis: Es hängt alles davon ab, wie die Krise weiter verläuft. Wenn Deutschland die Pandemie wie Südkorea oder Taiwan schnell in den Griff bekommt, dann muss es weitere Lockerungen geben. Die Versammlungsfreiheit ist laut Bundesverfassungsgericht das elementarste demokratische Recht, das Bürger haben. Solche Grundrechte können nicht auf Dauer abgeschafft werden. Es ist vollkommen abwegig zu sagen, wir leben in grundrechtsfreien Zeiten. Die Grundrechte können nur auf eng begrenzte Zeit eingeschränkt werden. Am Ende wird Karlsruhe über die Aufhebung entscheiden.