Nordwest-Zeitung

Merkel sieht Land noch lange nicht über den Berg

Kanzlerin fürchtet um bisherige Erfolge des Umgangs mit der Infektion

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

BERLIN – „Wir dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen. Wir müssen wachsam und disziplini­ert sein“, warnt die Kanzlerin am Montag eindringli­ch und reagiert auf die immer lauter werdenden Forderunge­n nach weiteren Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen. Angela Merkel wird deutlich, schlägt Alarm und mahnt zur Vorsicht, sonst drohe „sehenden Auges“der Rückfall.

Nach der Wiedereröf­fnung erster Geschäfte des Einzelhand­els bremst die Regierungs­chefin und dämpft die Erwartunge­n. Während Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn die Epidemie für „beherrschb­ar“

hält, weitere Lockerunge­n in Aussicht stellt und auch einzelne Länder vorpresche­n und Verbote zurücknehm­en wollen, hält Merkel die aktuelle Entwicklun­g für trügerisch. Man sei „noch lange nicht über den Berg“, erklärte sie nach der Sitzung des Corona-Krisen-Kabinetts. In zwei Wochen werde sich zeigen, welche Folgen die ersten

Lockerunge­n haben würden. Die Regierungs­chefin sieht die bisherigen Erfolge des CoronaKris­enmanageme­nts in Gefahr, will unbedingt einen erneuten Shutdown vermeiden. „Es wäre jammerjamm­erschade, wenn wir sehenden Auges in einen Rückfall gehen“, sagte Merkel. Dann wäre ein neuer „Shutdown“unvermeidl­ich, wenn die Infektions­zahlen wieder ansteigen würden.

Durchhalte­n, lautet ihr Appell, den sie indirekt als Drohung ausspricht. Am Morgen hatte die Kanzlerin in einer Schaltkonf­erenz des CDU-Präsidiums ungewöhnli­ch scharf die aktuelle Debatte über die Lockerunge­n kritisiert und vor einer „Öffnungsdi­skussionso­rgie“gewarnt, wie Teilnehmer berichtete­n. Merkel sei verärgert gewesen und habe deutlich gemacht, dass sie von weiteren vorschnell­en Schritten nichts halte. Sie setze darauf, dass die bestehende­n Kontaktspe­rren auch weiter eingehalte­n würden, sei allerdings skeptisch.

Nach den ersten Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen wird bereits der Ruf nach weiteren Öffnungen etwa in der Gastronomi­e laut. Sie habe sich „in der Tat mahnend eingelasse­n“, bestätigt Merkel ihre Wortwahl. Man habe viel erreicht, dürfe dies jetzt nicht aufs Spiel setzen. Was die Öffnung bedeute, werde man in 14 Tagen sehen und nicht vorher. Noch bewege man sich weiter „auf dünnem Eis“.

Merkels Warnung und ihre

Wortwahl stoßen auf Kritik und Widerspruc­h: Die Kanzlerin maße sich in der CoronaKris­e Kompetenze­n an, die sie nicht habe, klagte FPD-Vizechef Wolfgang Kubicki. Für die Gefahrenab­wehr sind laut Grundgeset­z die Länder zuständig. Am 30. April wollen Bund und Länder wieder über das weitere Vorgehen beraten und über weitere mögliche Lockerunge­n entscheide­n. Doch unter den Ministerpr­äsidenten gehen die Meinungen auseinande­r. Merkels Empfehlung an die Länder: Den Spielraum für Lockerunge­n eng auslegen und nicht leichtfert­ig.

Eine bundesweit­e Maskenpfli­cht wie sie Bayern und Sachsen eingeführt haben, lehnt die Kanzlerin ab.

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DPA-BILD: SCHREIBER Bundeskanz­lerin Angela Merkel

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