Merkel sieht Land noch lange nicht über den Berg
Kanzlerin fürchtet um bisherige Erfolge des Umgangs mit der Infektion
BERLIN – „Wir dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen. Wir müssen wachsam und diszipliniert sein“, warnt die Kanzlerin am Montag eindringlich und reagiert auf die immer lauter werdenden Forderungen nach weiteren Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Angela Merkel wird deutlich, schlägt Alarm und mahnt zur Vorsicht, sonst drohe „sehenden Auges“der Rückfall.
Nach der Wiedereröffnung erster Geschäfte des Einzelhandels bremst die Regierungschefin und dämpft die Erwartungen. Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Epidemie für „beherrschbar“
hält, weitere Lockerungen in Aussicht stellt und auch einzelne Länder vorpreschen und Verbote zurücknehmen wollen, hält Merkel die aktuelle Entwicklung für trügerisch. Man sei „noch lange nicht über den Berg“, erklärte sie nach der Sitzung des Corona-Krisen-Kabinetts. In zwei Wochen werde sich zeigen, welche Folgen die ersten
Lockerungen haben würden. Die Regierungschefin sieht die bisherigen Erfolge des CoronaKrisenmanagements in Gefahr, will unbedingt einen erneuten Shutdown vermeiden. „Es wäre jammerjammerschade, wenn wir sehenden Auges in einen Rückfall gehen“, sagte Merkel. Dann wäre ein neuer „Shutdown“unvermeidlich, wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen würden.
Durchhalten, lautet ihr Appell, den sie indirekt als Drohung ausspricht. Am Morgen hatte die Kanzlerin in einer Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums ungewöhnlich scharf die aktuelle Debatte über die Lockerungen kritisiert und vor einer „Öffnungsdiskussionsorgie“gewarnt, wie Teilnehmer berichteten. Merkel sei verärgert gewesen und habe deutlich gemacht, dass sie von weiteren vorschnellen Schritten nichts halte. Sie setze darauf, dass die bestehenden Kontaktsperren auch weiter eingehalten würden, sei allerdings skeptisch.
Nach den ersten Lockerungen der Corona-Beschränkungen wird bereits der Ruf nach weiteren Öffnungen etwa in der Gastronomie laut. Sie habe sich „in der Tat mahnend eingelassen“, bestätigt Merkel ihre Wortwahl. Man habe viel erreicht, dürfe dies jetzt nicht aufs Spiel setzen. Was die Öffnung bedeute, werde man in 14 Tagen sehen und nicht vorher. Noch bewege man sich weiter „auf dünnem Eis“.
Merkels Warnung und ihre
Wortwahl stoßen auf Kritik und Widerspruch: Die Kanzlerin maße sich in der CoronaKrise Kompetenzen an, die sie nicht habe, klagte FPD-Vizechef Wolfgang Kubicki. Für die Gefahrenabwehr sind laut Grundgesetz die Länder zuständig. Am 30. April wollen Bund und Länder wieder über das weitere Vorgehen beraten und über weitere mögliche Lockerungen entscheiden. Doch unter den Ministerpräsidenten gehen die Meinungen auseinander. Merkels Empfehlung an die Länder: Den Spielraum für Lockerungen eng auslegen und nicht leichtfertig.
Eine bundesweite Maskenpflicht wie sie Bayern und Sachsen eingeführt haben, lehnt die Kanzlerin ab.