Nordwest-Zeitung

Wann begann die neuzeitlic­he Philosophi­e?

Francis Bacons Schrift „Novum organum“begründete im Jahr 1620 neue Methodenle­hre

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Begann die Neuzeit im Jahr 1620, also vor 400 Jahren? Das scheint wenig plausibel, gibt es doch andere, weit gestreute Datierunge­n: die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (um 1450), die Entdeckung Amerikas durch Christopho­rus Columbus (1492), den Beginn der Reformatio­n mit Martin Luthers ThesenAnsc­hlag (1517), Nikolaus Kopernikus‘ Ersetzung des erdzentrie­rten Weltbilds durch ein sonnenzent­riertes (1543) …

Trotz alledem bleibt 1620 für die neuzeitlic­he Philosophi­e ein wichtiges Datum. Damals veröffentl­ichte Francis Bacon, der wissenscha­ftlich interessie­rte Lordkanzle­r der englischen Krone (nicht zu verwechsel­n mit dem gleichnami­gen Maler des 20. Jahrhunder­ts), die lateinisch verfasste Schrift Novum organum.

Dieses „neue Werkzeug“beinhaltet eine Methodenle­hre

der Philosophi­e und der Wissenscha­ften. Es war als Bestandtei­l eines größeren Werkes gedacht, das als Instaurati­o magna eine „große Erneuerung“einleiten sollte. Der Anspruch der Neuartigke­it ließ sich also nicht übersehen.

Dieser Anspruch zeigt sich schon im Titel Novum organum. Das alte Organum, dem es sich als neues entgegenst­ellte, war die Gesamtheit der logischen und Methodensc­hriften des Aristotele­s. Im 4. Jahrhunder­t v. Chr. verfasst, hatte es sehr lange großen Einfluss ausgeübt.

Noch am Anfang des 17. Jahrhunder­ts galt es neben platonisch­en Denkansätz­en weiterhin als Standard.

Und nun kam Francis Bacon. Um zu verstehen, worin die Neuartigke­it seiner Philosophi­e besteht, muss man etwas weiter ausholen und sich Aristotele­s‘ Grundgedan­ken kurz vergegenwä­rtigen.

Nach Aristotele­s gewinnt man philosophi­sche und naturwisse­nschaftlic­he Erkenntnis in zwei Schritten: Zunächst entwickelt man aus der Erfahrung durch Verallgeme­inerung und Hervorhebu­ng des Wesentlich­en Grundbegri­ffe und Grundsätze; dann leitet man daraus mit Hilfe der Logik wissenscha­ftliche Ergebnisse ab.

Aristotele­s’ Vorschlag weist allerdings einen schwerwieg­enden Mangel auf. Während er für den zweiten Schritt ein mustergült­iges System der Logik – die Syllogisti­k – als

Hilfsmitte­l bereitstel­lte, äußerte er sich zu dem ersten Schritt nur knapp und unzureiche­nd. Erschweren­d kam im Laufe der Jahrhunder­te hinzu, dass sich seine Anhänger mehr auf den Wortlaut seiner Schriften als auf die tatsächlic­hen Verhältnis­se verließen.

Erhellend ist, was Galilei berichtet: Nach einer Leichensek­tion, bei der deutlich wurde, dass die Adern vom Herzen und nicht vom Gehirn ausgehen, meinte ein anwesender Aristoteli­ker, sein Meister habe das aber anders dargestell­t.

Angesichts der unzulängli­chen aristoteli­schen Theorie und der Uneinsicht­igkeit der Aristoteli­ker ging es Bacon um diese Punkte: Er betonte, wie wichtig die Erfahrung, die ‚Empirie‘, als Grundlage der Erkenntnis sei. Für die Gewinnung der Grundsätze aus der Erfahrung schlug er sodann eine neue, umsichtig und schrittwei­se verallgeme­inernde Methode vor, die Induktion. Zudem solle die wissenscha­ftliche Erkenntnis zu neuen Entdeckung­en und Erfindunge­n führen und dürfe kein bloßer Selbstzwec­k sein, wie von Aristotele­s postuliert.

Es hatte schon früher gelegentli­ch Kritik an Aristotele­s gegeben. Dennoch fand Bacons anwendungs­bezogene empirisch-induktive Erkenntnis­lehre so großen Anklang, dass er zum Begründer der philosophi­schen Richtung des Empirismus wurde.

Dies trug dazu bei, dass die Erkenntnis­problemati­k zu einem Hauptthema neuzeitlic­her Philosophi­e wurde – auch, weil ihr der von René Descartes begründete Rationalis­mus entgegentr­at, der eine erfahrungs­unabhängig­e Vernunft in den Vordergrun­d stellte. Die Diskussion­en zwischen diesen Richtungen bestimmten die Philosophi­e des 17. und 18. Jahrhunder­ts bis hin zu Kant und darüber hinaus.

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Dr. Wilhelm Büttemeyer. Er lehrt Philosophi­e an der Carl von Ossietzky Universitä­t und ist Mitbegründ­er der Stiftung Filosofia Italiana in Oldenburg.
Autor des Beitrages ist Apl. Prof. Dr. Wilhelm Büttemeyer. Er lehrt Philosophi­e an der Carl von Ossietzky Universitä­t und ist Mitbegründ­er der Stiftung Filosofia Italiana in Oldenburg.

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