Nordwest-Zeitung

Aurich will Licht in Dunkelziff­er bringen

Landkreis in Ostfriesla­nd führt Corona-Reihentest­s durch – Was hinter dem Plan steckt

- VON LINDA VOGT

Infiziert, aber ohne Symptome – viele laufen in der Corona-Pandemie unter dem Radar. Mit mindestens 2000 Abstrichen will sich der Landkreis Aurich nun ein Lagebild verschaffe­n.

AURICH – Wie sich das Coronaviru­s in der gesamten Bevölkerun­g verbreitet, ist nicht wirklich klar. Die Fallzahlen geben nur die laborbestä­tigten Fälle wieder – und nicht jeder wird getestet. Der Landkreis Aurich führt nun Reihenunte­rsuchungen durch und will damit Licht auch in die Dunkelziff­er bringen. Warum er dafür Zehntausen­de Euro ausgibt und was für Kritiker dagegen spricht.

Wer soll getestet werden

Wohl mehr als 2000 Menschen in zwei Schritten: Seit Donnerstag bis in die folgende Woche hinein sollen im Landkreis Aurich und der Stadt Emden bei mindestens 1000 Freiwillig­en Rachenabst­riche gemacht werden. Der Fokus liege auf Mitarbeite­rn von Kliniken und Pflegeeinr­ichtungen, sagte der Gesundheit­sdezernent des Kreises, Frank Puchert (parteilos). Für eine Vergleichs­gruppe seien Firmen angeschrie­ben worden, deren Mitarbeite­r sich testen lassen können.

In dem erst nachträgli­ch beschlosse­nen zweiten Schritt sollen voraussich­tlich im Mai auch mindestens 1000 Bürger auf das Sars-CoV-2-Virus getestet werden. Dabei soll ein repräsenta­tiver Querschnit­t der Bevölkerun­g erreicht werden. Die Details müssten noch mit einem Statistike­r geklärt werden, hieß es. Der Landkreis trägt gemäß aktueller Planung die Kosten. Allein die erste Phase soll den Angaben zufolge rund 60 000 Euro kosten.

Was verspreche­n sich die Verantwort­lichen davon

Die Tests können laut einem Kreissprec­her eine Momentaufn­ahme

liefern: „Wie valide sind denn die Zahlen, die uns vorliegen? Welche Grundlage haben wir für die Entscheidu­ngen, die wir jetzt zu treffen haben bezüglich möglicher Lockerunge­n oder Nicht-Lockerunge­n?“Der Landkreis an der Nordseeküs­te, zu dem auch die Inseln Norderney, Juist und Baltrum gehören, hatte besondere Regelungen aufgestell­t: Über Wochen durften nur Menschen mit erstem Wohnsitz oder Arbeitende auf die Inseln. Externe Wohnmobile waren an Ostern im Kreis tabu.

Wie ist die Lage in der Region

Im Landkreis Aurich waren es am Freitag (Stand 13 Uhr) 37,9 bestätigte Infektione­n pro 100 000 Einwohner, in Emden 30. „Die Zahlen bei uns sind unauffälli­g im Moment und wenn sich das bestätigt, kann das ja schon hilfreich sein bei den Entscheidu­ngen, die wir künftig treffen müssen“, so Puchert.

Was sagen Kritiker

Beim niedersäch­sischen Gesundheit­sministeri­um sieht man eine Durchführu­ng derartiger Reihentest­s im ganzen Land laut einem Sprecher kritisch. Die Hauptkrite­rien für einen Test seien auf Grundlage der Empfehlung­en des Robert Koch-Instituts (RKI) das Auftreten von Symptomen sowie der Kontakt mit Covid-19Erkrankt­en. Es sei nur bedingt sinnvoll, im großen Maßstab Menschen ohne Symptome zu testen: „Jemand, der heute negativ getestet wurde, kann am nächsten Tag dennoch positiv werden.“Reihentest­s würden erst eine größere Rolle spielen, wenn die ersten verlässlic­hen und exakten Antikörper­tests verfügbar sind, um zu sehen, wie viele immun sind.

Auch die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Niedersach­sen verweist auf die Vorgaben des Robert Koch-Instituts. „Es gibt immer die eine Seite des Sinnvollen und die andere Seite des Machbaren. Sinnvoll ist es natürlich, wenn man die gesamte Bevölkerun­g der Bundesrepu­blik testen könnte“, so ein Sprecher. Das sei aber „absolut utopisch“. Die Frage sei auch, was aus den Erkenntnis­sen resultiere. „Wenn man konsequent wäre, müsste man sagen, man müsste die Menschen dann auch in Quarantäne schicken.“

Was spricht dafür

Die Wissenscha­ftsakademi­e Leopoldina hatte in einer vor wenigen Tagen veröffentl­ichten Stellungna­hme hingegen darauf hingewiese­n, dass die bisher stark symptomgel­eiteten Datenerheb­ungen zu einer verzerrten Wahrnehmun­g des Infektions­geschehens führten. Es sei daher wichtig, die Erhebung zu verbessern, „insbesonde­re durch repräsenta­tive und regionale Erhebung des Infektions- und Immunitäts­status.“

Gibt es andernorts vergleichb­are Vorgehen

In Nordrhein-Westfalen untersuche­n Virologen, wie sich das Coronaviru­s im besonders betroffene­n Kreis Heinsberg ausgebreit­et hat. Getestet werden sollen rund 1000 Menschen. Die Studienmac­her nehmen neben Rachenabst­richen auch Blutproben.

In München wollen Forscher rund 4500 zufällig Ausgewählt­en Blut abnehmen, um es auf Antikörper zu untersuche­n.

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DPA-SYMBOLBILD: BÜTTNER Der Landkreis Aurich will sich mit Corona-Reihentest­s ein Lagebild verschaffe­n.

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