Von Dehumanisierung zur Rehumanisierung
Neuestes Buch des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo erscheint am Freitag
Das neueste Buch des auch in Deutschland sehr bekannten israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo, das ab Freitag, 24. April, in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Wahrheit ist“im Buchhandel erscheint, trägt in der hebräischen Ausgabe den Titel „Das letzte Interview“. Dieses Buch ist voller innerer Spannungen und hat eine übersichtliche Gliederung durch Leserfragen und die Antworten darauf. Ein Online-Redakteur leitet dem Schriftsteller Leserfragen weiter, die dieser beantwortet. Mal sind es kurze Antworten, aber häufig geht es um grundsätzliche, politische und sehr persönliche Fragen, deren Antworten aus erlebten und erdachten Geschichten bestehen. Immer mehr geht es um die Wahrheit des Dargestellten und die Wahrheitsbegriffe der handelnden Personen. Im Zeitalter der Fake-News, der Aggressionen und der Verunglimpfungen im Internet und in der Politik versucht der Schriftsteller wahrhaftig und nicht bloßstellend zu agieren. Dies gelingt ihm in diesem Roman mit Empathie und melancholischem Humor. Auch einzelne Fragen und Antworten eignen sich zum Vorlesen oder als Diskussionsgrundlage.
Kurz nach Erscheinen der hebräischen Ausgabe fand im Herbst 2018 in Jerusalem eine Podiumsdiskussion zwischen Nevo und der Schriftstellerin
Sara Blau statt. Sie wurde in Deutschland bekannt mit ihrem Beitrag in dem Sammelband „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen: Israelische und deutsche Autoren schreiben über das andere Land“.
Der Charakter und die Facetten der Wahrheit standen im Mittelpunkt. Die beiden Diskutierenden sind fast gleich alt (Anfang der 70iger Jahre geboren), beide praktizierten als
Psychologen, aber in ihren Ansichten zu Religion, Politik und Gesellschaft divergieren sie stark. Auf die Leserfrage, ob er auch jenseits der grünen Linie – in Siedlungen in den besetzten Gebieten – auftreten würde, antwortet der Autor mit einem bewegenden Erlebnis. In der Diskussion spricht er von den Feindseligkeiten, die zu einer „Dehumanisierung“führten, und setzt dagegen seine Geschichte als Ansatz der „Rehumanisierung“. Auf die Leserfrage, warum er nicht über den Holocaust schreibe, antwortet er mit einem Erlebnis auf einer Lesereise in Deutschland. Diesen Abschnitt des Buches bezeichnet Sarah Blau, die aus einer Familie von Holocaustüberlebenden stammt und viel zum Thema „Erinnerungskultur“gearbeitet hat, als den für sie wichtigsten Teil des Buches und findet dabei die Zustimmung vieler Zuschauer.
Mit Markus Lemke gelang es dem Verlag, einen hervorragenden Übersetzer zu gewinnen, dessen Genauigkeit und mit der Vorlage kongenialer Sprachgebrauch der deutschen Ausgabe sehr zugutekommt.
Eshkol Nevo, „Die Wahrheit ist“, Roman, dtv München, 430 Seiten gebunden mit Lesebändchen, 22
Autor dieses Beitrages ist Roland
Neidhardt. Geboren 1941 in Dresden, lebte der Theologe Anfang bis Mitte der 60er Jahre und Ende der 70er Jahre in Israel. In den 80er und 90er Jahren war er Mitglied des Präsidiums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.