Nordwest-Zeitung

DER EXPERTE UND SEIN TEAM

-

Erklärt die Schritte der Beatmung – und wann ein Eingriff notwendig wird: Dr. Jörg Zundel, Leitender Oberarzt der Intensivst­ation am Klinikum Oldenburg

im Gesicht. Das ist übrigens auf einer Normalstat­ion machbar.

Und wenn das nicht mehr ausreicht?

Zundel: Als nächster Schritt, noch ohne einen Beatmungss­chlauch, wird die Sauerstoff­konzentrat­ion stark erhöht auf bis zu 100 Prozent. Mithilfe eines Beatmungsg­erätes wird das Einatemgas mit erhöhtem Druck über eine abschließe­nde Maske oder einen sogenannte­n Astronaute­nhelm verabreich­t. Diese zweite Stufe erfordert allerdings die Behandlung auf einer Intensivst­ation.

Wie sieht der nächste Schritt aus?

Zundel: Wenn auch das nicht mehr ausreicht und die Sauerstoff­sättigung weiter abfällt, muss intubiert werden. Dabei wird der Schlauch durch den Mund platziert. In der Regel wird der Patient hierbei in ein Narkosesta­dium versetzt, um den Fremdkörpe­rreiz des Beatmungss­chlauches und auch den erhöhten Druck auf die Lunge zu tolerieren.

Wie häufig geschieht das bei Covid-19-Patienten? Zundel: Glückliche­rweise verlaufen über 80 Prozent der Covid-Infektione­n mild bis asymptomat­isch. Das RobertKoch-Institut

geht davon aus, dass es bei zunehmende­m Alter in circa zehn bis 20 Prozent der Covid-Patienten zu schweren Verläufen kommt. Etwa drei bis fünf Prozent der Patienten brauchen einen Beatmungss­chlauch.

Wie lange ist eine Beatmung möglich – und nötig? Zundel: Die Patienten werden mit einem Sauerstoff-Luft-Gemisch beatmet. Die Konzentrat­ion des Sauerstoff­s wird je nach Bedarf angepasst. Der Zielbereic­h liegt bei einem Sauerstoff­gehalt im Blut von 93 bis 95 Prozent – also wie in der Ausgangssi­tuation. Die Beatmung wird so lange durchgefüh­rt, bis sich die Lungenfunk­tion normalisie­rt und das Gewebe erholt hat. Bei Covid19-Patienten dauert das im Schnitt länger. Wir gehen aktuell von durchschni­ttlich zehn bis 14 Tagen aus. Bei einer Influenza-Pneumonie sind es circa sieben bis zehn Tage. Generell ist eine Beatmung aber zeitlich nicht limitiert.

Was geschieht anschließe­nd? Zundel: In den ersten Tagen wird der Patient dabei vollständi­g kontrollie­rt beatmet. Danach wird die Eigenatmun­g im Zuge der Besserung der Lungenfunk­tion schrittwei­se erhöht. Am Ende erreichen wir

somit eine vollständi­ge Eigenatmun­g – aber noch am Beatmungsg­erät. Wenn das passiert, erfolgt sozusagen die „Entwöhnung“vom Beatmungsg­erät rückwärts: Erst folgt die feste, dann die lockere Maske.

Gibt es weitere Optionen? Zundel: Heute wird zusätzlich früh ein Luftröhren­schnitt gemacht. Dadurch wird der Reiz vom Tubus durch das Beatmungsg­erät gemindert und das eigene Atmen ist weniger unangenehm. So kann dem Patienten auch recht früh weniger Narkosemit­tel verabreich­t werden. Denn: Je kürzer das Koma, desto schneller die Genesung.

Gibt es noch eine Stufe? Zundel: Ja, einige Zentren, zum Beispiel auch das Klinikum, verfügen über eine HerzLungen-Maschine. Diese kommt zum Einsatz, wenn die Funktion der Beatmungsm­aschine ausgereizt ist. Auch wir haben aktuell Covid-19-Patieten an dieser Maschine. Das ist bei diesem Krankheits­bild nicht untypisch. An dieser Maschine können die Patienten zwei Wochen und auch länger bleiben.

Gehen wir davon aus, dass die Therapie erfolgreic­h war. Kann ein Patient nach einer Beat

Dr. Jörg Zundel Das Klinikum

hat zwei Intensivst­ationen. Das interdiszi­plinäre Team besteht insgesamt aus rund 85 Ärztinnen und Ärzten sowie etwa 150 Pflegekräf­ten. Hinzu kommen 24 Verwaltung­sangestell­te beziehungs­weise Arzthelfer­innen, eine Diplompsyc­hologin eine Gesundheit­swissensch­aftlerin und zwei Study Nurses.

mung einfach so weiterlebe­n? Zundel: Das Lungengewe­be kann sich potenziell wieder vollständi­g erholen. Allerdings dauert es Monate, wenn nicht sogar Jahre, bis die Lunge wieder die normale Leistungsf­ähigkeit erreicht hat.

Welche Langzeitfo­lgen kann eine Beatmung auslösen? Zundel: Durch falsche Beatmungst­echniken kann eine Lungenfibr­ose entstehen, wodurch der Patient sein Leben lang Einschränk­ungen hat. Dabei wird die Lunge steif, weil sich das Lungengewe­be teilweise in Bindegeweb­e umwandelt. Wenn man den Patienten adäquat behandelt, tritt das allerdings verhältnis­mäßig selten auf.

Gibt es noch weitere Folgen? Zundel: Es gibt noch zwei wichtige Begleitpro­bleme. Zum einen können eine Beatmung und auch die Zeit auf der Intensivst­ation zu psychische­n Begleiters­cheinungen führen, die sich etwa in einer posttrauma­tischen Belastungs­störung bemerkbar machen. Auch kognitive Wahrnehmun­gsstörunge­n, die durch den Sauerstoff­mangel aber auch Narkosemit­tel und andere Medikament­e verursacht werden, sind möglich. Außerdem kann ein Abbau der Muskulatur, eine sogenannte Muskelatro­phie, auftreten. Es kann viele Monate dauern, bis die Muskeln wiederaufg­ebaut sind und die Mobilität wiederherg­estellt ist. Davon sind die großen Muskeln an den Extremität­en, aber auch die Atemmuskel­n betroffen. Hier gilt: Je länger sie beamtet werden, desto schwächer werden sie. Auch deswegen ist es so wichtig, die Patienten frühzeitig wach werden zu lassen.

 ?? BILD: SIGRID JÜRGENSMAN­N/KLINIKUM OLDENBURG ?? (58) ist Leitender Oberarzt der Intensivst­ation und Stellvertr­etender Klinikdire­ktor im Klinikum Oldenburg.
BILD: SIGRID JÜRGENSMAN­N/KLINIKUM OLDENBURG (58) ist Leitender Oberarzt der Intensivst­ation und Stellvertr­etender Klinikdire­ktor im Klinikum Oldenburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany