Alleine sein – wie geht das?
Auf der Insel Memmert in Ostfriesland ist Enno Janßen acht Monate lang der einzige Mensch
Mit Isolation müsste sich Inselvogt Enno Janßen bestens auskennen. Tipps für corona-gebeutelte Festländer hat er aber nicht – oder doch?
MEMMERT – Statt ins Büro geht’s an den heimischen Schreibtisch. Kinos, Restaurants und Kneipen sind geschlossen. Selbst die Familie sehen viele Menschen nur während des Video-Telefonats auf dem Handy-Display. Das Corona-Virus hat uns einen nicht alltäglichen Alltag beschert, den wir irgendwie meistern müssen. Und obgleich wir uns in den vergangenen Wochen mehr oder weniger mit der Situation abgefunden haben, bleibt ein Gefühl der Isolation. Klar. Wir sind ja in vielen Belangen abgeschnitten von der Außenwelt.
Abgeschnitten von der Außenwelt? Gibt es da nicht jemanden ganz in der Nähe, der diese Situation kennen und mit ihr umgehen können müsste? Einen Experten im Alleinsein sozusagen? Doch, den gibt es. Er heißt Enno Janßen und ist Inselvogt von Memmert. Und der lebt schließlich qua Amt viele Monate im Jahr auf einer, nun ja, einsamen Insel.
In Ruhe lassen
Im März hat Janßen wie üblich
nach Memmert übergesetzt, wo er nun – acht Monate lang – der einzige Mensch ist. Doch wer glaubt, dass er sich da manchmal einsam fühlen dürfte, der täuscht sich. „Nein, ich fühle mich nicht einsam, ich habe einen sehr vielfältigen Arbeitsalltag zu bewältigen“, sagt Janßen im Interview per E-Mail.
Die Telefonnummer des
Inselvogts rückt der NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz), bei dem Janßen angestellt ist, nicht heraus. Bitte nicht stören – das gilt offenbar nicht nur für die Vögel auf Memmert, sondern auch für den Inselvogt. Er soll seine Ruhe haben. Wer ihm eine Frage stellen möchte, muss sich an die Pressestelle des NLWKN in Norden wenden, die dann mit Janßen telefoniert, die Antwort aufschreibt und per EMail übermittelt.
Und was macht Janßen den ganzen Tag so alleine auf der Insel? Memmert ist bekanntlich ein kleines Naturparadies und einer der wenigen Orte, an denen auch sehr scheue Vögel von Menschen ungestört brüten und rasten können. Der Inselvogt erfasst, wie viele Brut- und Rastvögel auf der Insel sind, kontrolliert die Uferbereiche (Spülsaum) und protokolliert und dokumentiert, was er beobachtet. Ach ja, und die Technik muss er am Laufen halten.
Aus dem Alltag gerissen
Auch von Mai bis Juni, wenn auf Memmert ein striktes Betretungsverbot herrscht, macht Janßen die Isolation offensichtlich nichts aus. Sagt er zumindest. „Einen Lagerkoller habe ich noch nie bekommen, was sicherlich an den beschriebenen vielfältigen Aufgaben liegt, die keine Langeweile aufkommen lassen.“Keine Langeweile aufkommen lassen - das klingt simpel. Andererseits: Gerade das fällt ja gerade so schwer, angesichts der corona-bedingten Einschränkungen.
Besucherfahrten
Vielleicht sollte man der Vollständigkeit halber erwähnen, dass der Inselvogt gelegentlich mit dem Boot nach Juist oder aufs Festland fährt, um sich mit Lebensmitteln einzudecken. Er bekommt also trotz seines abgelegenen Arbeitsplatzes immer mal wieder menschliche Gesichter zu sehen. Im Spätsommer kommen sie sogar zu ihm. Denn von August bis September finden Besucherfahrten von Juist nach Memmert statt.
Gleichwohl: Ein bisschen Zerstreuung braucht auch der Inselvogt. Im Internet surfen kann Janßen zwar nicht, weil der Anschluss fehlt, aber: „Ich habe einen PC und einen Fernseher, die für Abwechslung sorgen. Darüber hinaus gibt es Phasen, in denen ich sehr viel lese. Und abendliche Spaziergänge über die Insel sorgen nach getaner Arbeit ebenfalls für Abwechslung“, sagt der Inselvogt. Er findet, seine Situation könne man nicht mit den Leuten vom Festland vergleichen, die wegen Corona in ihren Wohnungen festsitzen. „Zum einen bin ich nicht aus meiner beruflichen Routine herausgerissen und zum anderen kann ich mich auf der Insel – wenn man so will in meiner gewohnten Umgebung – weiterhin frei bewegen.
Dementsprechend wird enttäuscht, wer nach einem Patentrezept gegen das betrübliche Alleinsein fragt. „Einen allgemeingültigen Tipp für Menschen, die durch Corona alleine sind, kann ich nicht geben“, sagt der Inselvogt. Jeder müsse seine eigene Strategie entwickeln. Schade.