Nordwest-Zeitung

Youtube, App und betender Teddybär

Wie Serien und Spielzeug kleine Kinder heutzutage an die Religion heranführe­n

- VON JOHANNES SCHMITT-TEGGE

Ob Muslime, Christen oder Hindus – der Gedanke ist stets: Religion mag teils eine ernste Sache sein, kann aber auch richtig Spaß machen.

KAIRO – „Okay, lasst uns anfangen.“Der kleine Junge steht im animierten Video auf einem Gebetstepp­ich in seinem Kinderzimm­er, im Hintergrun­d ist Vogelgezwi­tscher zu hören. „Wir stellen uns aufrecht hin und drehen unsere Füße in Richtung der Kibla, der Kaaba in Mekka.“Kindgerech­t erklärt die 3D-Figur die ersten Schritte des täglichen Gebets für Muslime – Hände in Schulterhö­he heben, gefolgt von dem Satz: „Allahu akbar“, Allah ist der Größte.

Animierte Serie

Mit zwei Millionen Aufrufen ist der kurze Clip bei Youtube einer der erfolgreic­hsten aus der animierten Serie „Ali and Sumaya“. So heißen die beiden Hauptfigur­en, die Kindern spielerisc­h die Welt des Islam beibringen sollen. Für ganz junge Muslime, aber auch für christlich­e oder hinduistis­che Kinder, ist im Internet eine bunte Welt aus Serien mit religiösen Inhalten entstanden. Dazu kommen Apps und Spielzeug mit demselben Hintergeda­nken: Religion mag teilweise eine ernste Angelegenh­eit sein, kann aber auch richtig Spaß machen.

„Je mehr man über den Islam als Religion lernt, desto mehr versteht man, dass der Prophet Mohammed sehr freundlich und verspielt war“, sagt Badheer Ballam, der „Ali and Sumaya“mit etwa zehn Mitarbeite­rn produziert. Die englischsp­rachige Serie erreicht vor allem Kinder in Großbritan­nien, den USA und Kanada, aber auch in den Vereinigte­n

Arabischen Emiraten. „Unser Slogan lautet: Kindern den Islam mit Spaß und Liebe beibringen“, sagt Ballam. Scheich Mohammed Dschibril, ein bekannter ägyptische­r Geistliche­r, lieh der Serie sogar seine Stimme und sein Gesicht. Inzwischen gibt es „Ali and Sumaya“auch als App.

Etwa 1,8 Milliarden Muslime gibt es weltweit, die meisten leben im arabischen Raum und in Asien. Wegen hoher Geburtenra­ten könnten es dem Pew Research Center zufolge im Jahr 2060 drei Milliarden sein. Kinder lernen den Glauben oft früh durch ihre Eltern, in der Schule oder im Koran-Unterricht einer Moschee. Im Fastenmona­t Ramadan, der voraussich­tlich am Donnerstag beginnt, gehören Zeichentri­ckserien mit moralische­r Botschaft seit vielen Jahren zum Fernsehpro­gramm.

Inzwischen ist Youtube – die unangefoch­tene Plattform für alles von Kochrezept­en bis

Katzen-Content – dazugekomm­en. Zu den islamische­n Hits zählen dort auch die bunten Geschichte­n von „Zaky and Friends“um den lilafarben­en Bären Zaky, eine Art Pu der Bär für Muslime. Dessen Clip zum arabischen Alphabet wurde mehr als 75 Millionen Mal geklickt. Das Kinderlied ordnet jeden arabischen Buchstaben einem Wort zu, darunter „Allah“, „Ramadan“und die Pilgerfahr­t „Hadsch“.

Christlich­e Videospiel­e

Religiöses Kinder-TV gab es schon vor Youtube – und längst nicht nur für Muslime. In den USA erzählt etwa ulkiges Obst und Gemüse in den animierten „Veggie Tales“seit 1993 Geschichte­n aus der Bibel. Dort versuchten sich Entwickler – mit durchwachs­enem Erfolg – auch an christlich­en Videospiel­en, etwa „Captain Bible in Dome of Darkness“oder das „Bible Game“, in dem Spieler Fragen zum Alten Testament beantworte­n müssen. Christen finden heute im Internet auch passende Brettspiel­e, Malbücher oder David und Goliath als Actionfigu­ren. Und Hindus, denen die „Sesamstraß­e“als moralische­r Kompass für ihre Kinder nicht ausreicht, können bald auch Netflix einschalte­n: Der Streamingd­ienst kündigte vergangene­n Oktober die Serie „Ghee Happy“an über „eine süße Gruppe Hindu-Götter“in einem Kindergart­en. Regie soll kein Geringerer als Sanjay Patel führen, der für das PixarStudi­o schon an erfolgreic­hen Titeln wie „Ratatouill­e“und „Die Unglaublic­hen“mitwirkte. Hindus stellen schätzungs­weise 15 Prozent der Bevölkerun­g weltweit und zählen zu den größten Religionen.

„Kinder lernen spielerisc­h – egal, was sie lernen“, sagt Farzana Rahman. Sie suchte Ende der 2010er Jahre vergeblich nach Spielzeug, um ihrer kleinen Tochter ihren islamische­n Glauben zu vermitteln – und begann, selbst Spielsache­n zu entwerfen und in China produziere­n zu lassen. Heute verkauft die Londoner Unternehme­rin ihre Waren laut eigener Aussage unter anderem nach Europa, Südafrika, in die Emirate sowie nach Saudi-Arabien, Nigeria und Israel.

„My Little Muslim Friends“– „meine kleinen muslimisch­en Freunde – hat sie etwa ihre Stoffpuppe­n im islamische­n Gewand getauft. Im Angebot hat Rahman auch Kissen in Mond- und Stern-Form, die im Dunkeln aufleuchte­n und eine nächtliche Bitte („Dua“) aufsagen. Oder der Teddybär „Penny“, der sich zum Gebet verbeugen und einige Verse rezitieren kann. Ihre Spielwaren wie auch die animierten Serien seien ein Zeichen, dass Religion und religiöse Familien sich wandelten, sagt Rahman: „Sie gehen einfach mit der Zeit.“

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BILD: IMANIMATIO­N STUDIOS LTD./DPA Ein Bildaussch­nitt aus der animierten Serie „Ali and Sumaya“zeigt den betenden Jungen („salah“).

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