„Schulden innerhalb von 20 Jahren abstottern“
Finanzminister Olaf Scholz über Kreditaufnahmen, Lockerungen und die Schlüsselbranche Automobilbau
Unternehmen sollen möglichst heil durch die Krise kommen. Dazu hat der Finanzminister Olaf Scholz die „Bazooka“hervorgeholt.
Herr Scholz, Deutschland steht vor der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Davon wird sich die Wirtschaft lange Zeit nicht wieder erholen, oder?
Scholz: Wir erleben gerade den heftigsten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit aller Kraft arbeiten wir daran, dass sich die deutsche Wirtschaft wieder erholen wird, wenn wir das Pandemie-Geschehen unter Kontrolle haben. Dazu gehört, dass wir die Schuldenregel des Grundgesetzes nutzen und deutlich mehr Kredite aufnehmen, als es die Begrenzungen in normalen Zeiten eigentlich vorsehen. Wir haben Stabilisierungsmaßnahmen, Kreditprogramme und Zuschüsse in einer historisch einmaligen Größenordnung beschlossen. Ich habe ganz bewusst die Bazooka herausgeholt. Unser Ziel ist es, dass Unternehmen und Arbeitsplätze einigermaßen heil durch diese Zeit kommen.
Der Ruf nach Lockerungen der Corona-Beschränkungen wird lauter. Ist es an der Zeit, die Beschränkungen weiter aufzuheben?
Scholz: Wir brauchen jetzt einen kühlen Kopf. Zunächst geht es darum, die Gesundheit und das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dafür haben wir massive Einschränkungen beschlossen, um die Infektionszahlen zu senken. Ich weiß, wie belastend diese Beschränkungen für uns alle sind. Sie hatten aber Erfolg – diesen Erfolg sollten wir jetzt nicht leichtfertig verspielen. Wir gehen jetzt Schritt für Schritt daran, das soziale und das wirtschaftliche Leben wieder stärker zu öffnen. All diese Entscheidungen sollten wir mit Augenmaß treffen, bei aller verständlichen Ungeduld. Ich finde es gut, dass über das Für und Wider
weiterer Lockerungen diskutiert wird – das ist angemessen, denn niemand kann die Wahrheit für sich pachten. Bislang haben wir mit unseren Entscheidungen ganz gut gelegen, finde ich.
Einige Ministerpräsidenten drängen auf schnellere Öffnungen und regional unterschiedliches Vorgehen… Scholz: Wir diskutieren gründlich das Für und Wider von Lockerungen. Und wir verständigen uns auf bundesweite Grundlinien, von denen regional dann auch leicht abgewichen werden kann – das ist kein Problem. Denn das Infektionsgeschehen in Bayern ist beispielsweise anders als an der Nordseeküste. Anders als in einem Zentralstaat schützt uns der Föderalismus davor,
Beschlüsse zu treffen, die alles nur von der Hauptstadt aus denken. Deshalb sind wir bisher insgesamt ganz gut damit gefahren. Diese Diskussionen belegen die Kraft, die im deutschen Föderalismus liegt.
Es gibt immer neue Hilfspakete in Milliardenhöhe. Wie sollen die Schulden jemals wieder getilgt werden?
Scholz: Der Deutsche Bundestag hat im Nachtragshaushalt nicht nur eine zusätzliche Kreditermächtigung beschlossen, sondern auch festgelegt, dass wir die neuen Schulden von 2023 an in 20 Jahren abstottern. Das halte ich für machbar.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier fordert, wieder zügig zu einer sparsamen Haushaltspolitik und dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zurückkehren. Lässt sich das in naher Zukunft überhaupt noch erreichen?
Scholz: Der Wert einer klugen Haushaltspolitik zeigt sich in diesen Tagen sehr genau. Nach der Finanzkrise haben wir das Schuldenniveau von 80 Prozent auf zuletzt 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückgeführt – und gleichzeitig Rekord-Investitionen im Haushalt durchgesetzt. Das versetzt uns in die Lage, jetzt kraftvoll handeln zu können. Das relative Schuldenniveau steigt durch die Pandemie wieder auf 75 Prozent oder mehr. Nach der Krise werden wir das Niveau wieder senken.
Wo bleibt das Konjunkturprogramm, um den Konsum wieder anzukurbeln und die Wirtschaft zu stützen? Scholz: Konjunkturprogramme müssen zielgerichtet sein, zeitlich befristet sein und zum richtigen Zeitpunkt kommen. Wenn es optimal läuft, sind sie so gestaltet, dass sie unsere Wirtschaft und Gesellschaft einen Modernisierungsschub geben. Es kommt also darauf an, den richtigen Zeitpunkt dafür zu wählen. Noch sind wir mitten im Lockdown, da hat ein solches Programm wenig Sinn. Wenn wir aber wieder auf Volllast gehen können, werden wir die Wirtschaft mit konjunkturellen Hilfen stützen. Gerade in diesen Tagen merken wir, wie global verflochten unsere Wirtschaft ist. Deshalb hängt unser Aufschwung auch damit zusammen, dass es andernorts gelingt, aus der Krise zu kommen.
Sollten Unternehmen, die auch in der Krise noch Boni an ihre Manager und Dividenden an die Aktionäre zahlen, unter den Schutzschirm des Staates kommen und Wirtschaftshilfen erhalten?
Scholz: Jedes Unternehmen sollte genau überlegen, welchen Weg es gehen will. Denn die Vorgaben sind klar: Wer einen Kredit bekommen will aus den KfW-Hilfsprogrammen, darf keine Gewinne oder Dividenden ausschütten. Und bei hohen Boni-Zahlungen sehen wir ebenfalls strikte Regeln vor.
Die deutsche Autoindustrie ruft nach Hilfen wie Kaufprämien für die Anschaffung von Neuwagen. Wird die Bundesregierung die Branche stützen? Scholz: Die Autoindustrie ist eine Schlüsselbranche für unser Land und sie steht unabhängig von der Pandemie vor einer großen technologischen Erneuerung, denn der Schutz des Klimas bleibt zentrales Ziel. Wir sind aber gut beraten, über Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft nicht Branche für Branche zu sprechen, sondern im Zusammenhang zu entscheiden.