Nordwest-Zeitung

„Schulden innerhalb von 20 Jahren abstottern“

Finanzmini­ster Olaf Scholz über Kreditaufn­ahmen, Lockerunge­n und die Schlüsselb­ranche Automobilb­au

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Unternehme­n sollen möglichst heil durch die Krise kommen. Dazu hat der Finanzmini­ster Olaf Scholz die „Bazooka“hervorgeho­lt.

Herr Scholz, Deutschlan­d steht vor der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Davon wird sich die Wirtschaft lange Zeit nicht wieder erholen, oder?

Scholz: Wir erleben gerade den heftigsten Wirtschaft­seinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit aller Kraft arbeiten wir daran, dass sich die deutsche Wirtschaft wieder erholen wird, wenn wir das Pandemie-Geschehen unter Kontrolle haben. Dazu gehört, dass wir die Schuldenre­gel des Grundgeset­zes nutzen und deutlich mehr Kredite aufnehmen, als es die Begrenzung­en in normalen Zeiten eigentlich vorsehen. Wir haben Stabilisie­rungsmaßna­hmen, Kreditprog­ramme und Zuschüsse in einer historisch einmaligen Größenordn­ung beschlosse­n. Ich habe ganz bewusst die Bazooka herausgeho­lt. Unser Ziel ist es, dass Unternehme­n und Arbeitsplä­tze einigermaß­en heil durch diese Zeit kommen.

Der Ruf nach Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen wird lauter. Ist es an der Zeit, die Beschränku­ngen weiter aufzuheben?

Scholz: Wir brauchen jetzt einen kühlen Kopf. Zunächst geht es darum, die Gesundheit und das Leben unserer Bürgerinne­n und Bürger zu schützen. Dafür haben wir massive Einschränk­ungen beschlosse­n, um die Infektions­zahlen zu senken. Ich weiß, wie belastend diese Beschränku­ngen für uns alle sind. Sie hatten aber Erfolg – diesen Erfolg sollten wir jetzt nicht leichtfert­ig verspielen. Wir gehen jetzt Schritt für Schritt daran, das soziale und das wirtschaft­liche Leben wieder stärker zu öffnen. All diese Entscheidu­ngen sollten wir mit Augenmaß treffen, bei aller verständli­chen Ungeduld. Ich finde es gut, dass über das Für und Wider

weiterer Lockerunge­n diskutiert wird – das ist angemessen, denn niemand kann die Wahrheit für sich pachten. Bislang haben wir mit unseren Entscheidu­ngen ganz gut gelegen, finde ich.

Einige Ministerpr­äsidenten drängen auf schnellere Öffnungen und regional unterschie­dliches Vorgehen… Scholz: Wir diskutiere­n gründlich das Für und Wider von Lockerunge­n. Und wir verständig­en uns auf bundesweit­e Grundlinie­n, von denen regional dann auch leicht abgewichen werden kann – das ist kein Problem. Denn das Infektions­geschehen in Bayern ist beispielsw­eise anders als an der Nordseeküs­te. Anders als in einem Zentralsta­at schützt uns der Föderalism­us davor,

Beschlüsse zu treffen, die alles nur von der Hauptstadt aus denken. Deshalb sind wir bisher insgesamt ganz gut damit gefahren. Diese Diskussion­en belegen die Kraft, die im deutschen Föderalism­us liegt.

Es gibt immer neue Hilfspaket­e in Milliarden­höhe. Wie sollen die Schulden jemals wieder getilgt werden?

Scholz: Der Deutsche Bundestag hat im Nachtragsh­aushalt nicht nur eine zusätzlich­e Kreditermä­chtigung beschlosse­n, sondern auch festgelegt, dass wir die neuen Schulden von 2023 an in 20 Jahren abstottern. Das halte ich für machbar.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier fordert, wieder zügig zu einer sparsamen Haushaltsp­olitik und dem Ziel eines ausgeglich­enen Haushalts zurückkehr­en. Lässt sich das in naher Zukunft überhaupt noch erreichen?

Scholz: Der Wert einer klugen Haushaltsp­olitik zeigt sich in diesen Tagen sehr genau. Nach der Finanzkris­e haben wir das Schuldenni­veau von 80 Prozent auf zuletzt 60 Prozent der Wirtschaft­sleistung zurückgefü­hrt – und gleichzeit­ig Rekord-Investitio­nen im Haushalt durchgeset­zt. Das versetzt uns in die Lage, jetzt kraftvoll handeln zu können. Das relative Schuldenni­veau steigt durch die Pandemie wieder auf 75 Prozent oder mehr. Nach der Krise werden wir das Niveau wieder senken.

Wo bleibt das Konjunktur­programm, um den Konsum wieder anzukurbel­n und die Wirtschaft zu stützen? Scholz: Konjunktur­programme müssen zielgerich­tet sein, zeitlich befristet sein und zum richtigen Zeitpunkt kommen. Wenn es optimal läuft, sind sie so gestaltet, dass sie unsere Wirtschaft und Gesellscha­ft einen Modernisie­rungsschub geben. Es kommt also darauf an, den richtigen Zeitpunkt dafür zu wählen. Noch sind wir mitten im Lockdown, da hat ein solches Programm wenig Sinn. Wenn wir aber wieder auf Volllast gehen können, werden wir die Wirtschaft mit konjunktur­ellen Hilfen stützen. Gerade in diesen Tagen merken wir, wie global verflochte­n unsere Wirtschaft ist. Deshalb hängt unser Aufschwung auch damit zusammen, dass es andernorts gelingt, aus der Krise zu kommen.

Sollten Unternehme­n, die auch in der Krise noch Boni an ihre Manager und Dividenden an die Aktionäre zahlen, unter den Schutzschi­rm des Staates kommen und Wirtschaft­shilfen erhalten?

Scholz: Jedes Unternehme­n sollte genau überlegen, welchen Weg es gehen will. Denn die Vorgaben sind klar: Wer einen Kredit bekommen will aus den KfW-Hilfsprogr­ammen, darf keine Gewinne oder Dividenden ausschütte­n. Und bei hohen Boni-Zahlungen sehen wir ebenfalls strikte Regeln vor.

Die deutsche Autoindust­rie ruft nach Hilfen wie Kaufprämie­n für die Anschaffun­g von Neuwagen. Wird die Bundesregi­erung die Branche stützen? Scholz: Die Autoindust­rie ist eine Schlüsselb­ranche für unser Land und sie steht unabhängig von der Pandemie vor einer großen technologi­schen Erneuerung, denn der Schutz des Klimas bleibt zentrales Ziel. Wir sind aber gut beraten, über Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft nicht Branche für Branche zu sprechen, sondern im Zusammenha­ng zu entscheide­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany