Virus bringt mehr häusliche Gewalt in Familien
Mitarbeiter am Opfer-Telefonen erleben ähnliche Situation wie zu Weihnachten
Fachleute hatten wegen der Corona-Krise eigentlich mit einem viel höheren Gewalt- und Missbrauchsrisiko gerechnet. Wie erklären Sie sich den Widerspruch?
Klein: Das verwundert nicht, denn die Opfer haben durch die Ausgangsbeschränkungen viel weniger Chancen, auf sich aufmerksam zu machen. Die Täter kontrollieren ihre Handlungen. Insofern kommt es dann auch nicht zu vermehrten Anzeigen, sie werden eher weniger. Das erklärt dann die Zahlen der Polizei.
Die besondere Situation durch die Corona-Einschränkungen begünstigt häusliche Gewalt? Klein: Eindeutig ja! In den Familien baut sich mit der Zeit immer mehr Stress auf. Vieles läuft nicht wie bisher, man weiß nicht, wie es weitergeht, die Menschen kommen an Grenzen. Die damit einhergeausübung. henden Spannungen bauen manche durch Aggression ab. Und bei einigen entlädt sich das durch Gewalt. Das entsteht nicht plötzlich, sondern es kommt mit der Zeit zu einer Gewaltspirale. Unser Kollegen am Opfer-Telefon kennen das von ähnlichen Situationen etwa zu Weihnachten.
Wen trifft die Gewalt am meisten?
Klein: Sowohl Frauen als auch Kinder. In mehr als 80 Prozent der bekannten Fälle sind Männer
die Täter. Besonders besorgt bin ich auch über den Missbrauch an Kindern, der mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls durch Corona zugenommen hat – schon allein deshalb, weil Täter und Opfer viel öfter zusammen sind.
Unabhängig von Corona ist Gewalt in Familien in der Gesellschaft ein bekanntes Dauerproblem. Warum?
Klein: Das Phänomen ist gekennzeichnet durch MachtDie geschieht im Alltag, manchmal ganz unbemerkt. Es gibt kaum Beziehungen, die wirklich hierarchiefrei sind. In manchen ist Gewalt ein ganz normaler Bestandteil, was sie nicht akzeptabler macht. Durch die Corona-Krise kommen noch Spannungen von außen hinzu, die Gewaltspirale dreht sich schneller.
Die Polizeistatistik weist ja nun nicht auf besondere Auffälligkeiten durch Corona hin. Wie lässt sich mehr Licht ins Dunkel bringen?
Klein: Zunächst mal sollten wie uns nicht der Logik entziehen, warum keine höheren Fallzahlen bekannt werden. Und dann liegt es an jedem Einzelnen, aufmerksamer zu sein und versteckte Hilferufe zu erkennen, sei es in der eigenen Familie, sei es in der Nachbarschaft. Man muss hinsehen statt wegzusehen. Deutschlandweit sind im vergangenen Jahr rund 140 000
Fälle aktenkundig geworden. Die wahre Zahl lässt sich potenzieren. Es melden sich bei uns sehr viele, die die Tat bei der Polizei gar nicht angezeigt haben. Die Dunkelziffer ist riesig. Wir werden nie alle Taten aufdecken können, aber wenn wir genauer hinschauen, werden wir damit vielen Opfern helfen.
Der Weiße Ring ist immer Ansprechpartner für die Opfer. An wen können sie sich wenden? Klein: Unter der Telefonnummer 0441/3 61 64 272, in allen anderen Außenstellen oder auch auf der Webseite des Weißen Rings findet man sofort Hilfe. Und ganz besonders möchte ich auf die Webseite www.infovictims.de hinweisen. Dort können Betroffene nachschauen, wie und was sie am besten tun können, ohne dass man hinterher feststellen kann, auf welcher Seite sie gewesen sind.
→@ Info unter www.weisser-ring.de