Nordwest-Zeitung

Die Krise des Einzelnen zählt noch immer

Beratungss­telle Rose 12 hilft Menschen beim Drogenauss­tieg und Angehörige­n auch in Corona-Zeiten

- VON LEA BERNSMANN

Am Telefon lässt es sich auch helfen. Langsam gibt es wieder persönlich­e Kontakte.

OLDENBURG – Wenn die Welt still steht, drohen Hilferufe überhört zu werden. Diese besondere Zeit kann für Menschen mit psychische­n Problemen zum Überlebens­kampf werden – ganz ohne Husten und Fieber. Die Symptome heißen Einsamkeit, Leere, Hilflosigk­eit und Sucht.

Seit Anfang der Woche öffnet die Beratungss­telle Rose 12 wieder ihre Türen für Menschen, die einen Weg aus ihrer Drogenabhä­ngigkeit suchen. „Wir starten mit wenigen ,Face-to-Face-Kontakten’“, sagt Sabine Schulz. Bei diesen Sitzungen achtet die Einrichtun­gsleiterin, wie alle Mitarbeite­r, auf einen Abstand von zwei Metern. Alle Anwesenden tragen Atemschutz­masken, es wird verstärkt auf Hygiene geachtet, ein Desinfekti­onsmittel-Spender soll neben dem Eingang angebracht werden.

„Einfach ist das natürlich nicht“, sagt Anne ArnholdWin­kenbach, die Betroffene und Angehörige in Oldenburg und im Ammerland berät. „Hinter dem Mundschutz sieht man kaum Mimik – weint oder lacht das Gegenüber? Der andere ist schwerer erreichbar.“Dennoch ist das zehnköpfig­e Team froh, wieder in den direkten Kontakt gehen zu können.

„Natürlich finden keine Gruppen statt“, sagt Sabine Schulz. Auch den eigentlich geplanten MPU-Vorbereitu­ngskurs für junge Leute, denen rauschmitt­elbedingt der Führersche­in entzogen wurde, entfällt. Statt der sonst immer weit geöffneten Tür zur freien Sprechstun­de, muss ein Termin vereinbart und geklingelt werden. Dafür seien die Telefonspr­echzeiten ausgeweite­t worden. „Und das wird auch gut angenommen“, sagt die Einrichtun­gsleiterin. Im April habe es 61 Einzelkont­akte – teilweise einstündig­e Telefonate – gegeben. In die offene Sprechstun­de kommen sonst doppelt so viele Menschen. „Ein paar fallen immer durch die Maschen“, bedauert Anne Arnhold-Winkenbach. Besonders jene, mit denen sie und ihre Kollegen schon lange im Kontakt stehen, haben sie selbst angerufen – gefragt, wie sie klar kommen und ob sie Hilfe brauchen.

„Man empfiehlt oft soziale Kontakte zu suchen – raus zu gehen, aber das geht ja jetzt nicht“, sagt die ausgebilde­te Suchtthera­peutin. Die momentane Isolation, mögliche Existenzän­gste, würden natürlich Rückfallge­fahren bergen. Dennoch freut sie sich, dass „die Hemmschwel­le, am Telefon zu sprechen, gering ist“. Als geschulte Fachfrau wisse sie, wie man Menschen aus der Reserve lockt. „Einige Betroffene haben sogar die Zeit genutzt, einen Schlussstr­ich zu ziehen“, sagt Sabine Schulz. Die Einrichtun­gsleiterin überlegt, die erweiterte­n Telefonspr­echzeiten auch künftig beizubehal­ten.

Bedarf an persönlich­en Treffen sieht sie aber nach wie vor. Gerade Jugendlich­e, die mit einer gerichtlic­hen Auflage zur Beratungss­telle kommen, bleiben jetzt weg. Ein gutes Drittel der Klienten hat Probleme mit Cannabis-Konsum, ein weiteres Drittel mit Kokain und Amphetamin­en, mit Heroinsuch­t kämpft etwas weniger als ein Drittel. 1100 Menschen haben sich im Vorjahr an die Beratungss­telle gewandt. Gut 60 Prozent davon waren selbst betroffen, zu 40 Prozent waren es Familienmi­tglieder, die nicht weiter wussten.

Während die Rose 12 Anlaufstel­le für solche ist, die nicht mehr mit ihrer Sucht leben wollen, bietet das Café Caro ein paar Häuser weiter Abhängigen Unterstütz­ung. Geplant

ist hier auch Aufsuchend­es Streetwork­ing, um Obdachlose­n zur Seite zu stehen. Anne Arnhold-Winkenbach, die weiß, „dass ein Mensch nicht einfach nur funktionie­rt“, begleitet einige Klienten über lange Zeiträume. Aufgefalle­n sei ihr nun, was die CoronaKris­e auch mit sich bringe: eine Art Gleichstel­lung. „Ich bin nicht mehr der einzig komische Mensch auf der Welt – andere haben auch Angst und trauen sich nicht raus.“Wenn das Leben auf einmal aufhöre zu toben, könne das auch entlastend sein, sagt sie. Trotzdem gilt es aufmerksam zu bleiben – um keinen Hilferuf zu überhören.

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BILD: NWZ Erste Schritte: Wer von den Drogen loskommen will, ist bei der Rose 12 gut beraten.

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