Die Krise des Einzelnen zählt noch immer
Beratungsstelle Rose 12 hilft Menschen beim Drogenausstieg und Angehörigen auch in Corona-Zeiten
Am Telefon lässt es sich auch helfen. Langsam gibt es wieder persönliche Kontakte.
OLDENBURG – Wenn die Welt still steht, drohen Hilferufe überhört zu werden. Diese besondere Zeit kann für Menschen mit psychischen Problemen zum Überlebenskampf werden – ganz ohne Husten und Fieber. Die Symptome heißen Einsamkeit, Leere, Hilflosigkeit und Sucht.
Seit Anfang der Woche öffnet die Beratungsstelle Rose 12 wieder ihre Türen für Menschen, die einen Weg aus ihrer Drogenabhängigkeit suchen. „Wir starten mit wenigen ,Face-to-Face-Kontakten’“, sagt Sabine Schulz. Bei diesen Sitzungen achtet die Einrichtungsleiterin, wie alle Mitarbeiter, auf einen Abstand von zwei Metern. Alle Anwesenden tragen Atemschutzmasken, es wird verstärkt auf Hygiene geachtet, ein Desinfektionsmittel-Spender soll neben dem Eingang angebracht werden.
„Einfach ist das natürlich nicht“, sagt Anne ArnholdWinkenbach, die Betroffene und Angehörige in Oldenburg und im Ammerland berät. „Hinter dem Mundschutz sieht man kaum Mimik – weint oder lacht das Gegenüber? Der andere ist schwerer erreichbar.“Dennoch ist das zehnköpfige Team froh, wieder in den direkten Kontakt gehen zu können.
„Natürlich finden keine Gruppen statt“, sagt Sabine Schulz. Auch den eigentlich geplanten MPU-Vorbereitungskurs für junge Leute, denen rauschmittelbedingt der Führerschein entzogen wurde, entfällt. Statt der sonst immer weit geöffneten Tür zur freien Sprechstunde, muss ein Termin vereinbart und geklingelt werden. Dafür seien die Telefonsprechzeiten ausgeweitet worden. „Und das wird auch gut angenommen“, sagt die Einrichtungsleiterin. Im April habe es 61 Einzelkontakte – teilweise einstündige Telefonate – gegeben. In die offene Sprechstunde kommen sonst doppelt so viele Menschen. „Ein paar fallen immer durch die Maschen“, bedauert Anne Arnhold-Winkenbach. Besonders jene, mit denen sie und ihre Kollegen schon lange im Kontakt stehen, haben sie selbst angerufen – gefragt, wie sie klar kommen und ob sie Hilfe brauchen.
„Man empfiehlt oft soziale Kontakte zu suchen – raus zu gehen, aber das geht ja jetzt nicht“, sagt die ausgebildete Suchttherapeutin. Die momentane Isolation, mögliche Existenzängste, würden natürlich Rückfallgefahren bergen. Dennoch freut sie sich, dass „die Hemmschwelle, am Telefon zu sprechen, gering ist“. Als geschulte Fachfrau wisse sie, wie man Menschen aus der Reserve lockt. „Einige Betroffene haben sogar die Zeit genutzt, einen Schlussstrich zu ziehen“, sagt Sabine Schulz. Die Einrichtungsleiterin überlegt, die erweiterten Telefonsprechzeiten auch künftig beizubehalten.
Bedarf an persönlichen Treffen sieht sie aber nach wie vor. Gerade Jugendliche, die mit einer gerichtlichen Auflage zur Beratungsstelle kommen, bleiben jetzt weg. Ein gutes Drittel der Klienten hat Probleme mit Cannabis-Konsum, ein weiteres Drittel mit Kokain und Amphetaminen, mit Heroinsucht kämpft etwas weniger als ein Drittel. 1100 Menschen haben sich im Vorjahr an die Beratungsstelle gewandt. Gut 60 Prozent davon waren selbst betroffen, zu 40 Prozent waren es Familienmitglieder, die nicht weiter wussten.
Während die Rose 12 Anlaufstelle für solche ist, die nicht mehr mit ihrer Sucht leben wollen, bietet das Café Caro ein paar Häuser weiter Abhängigen Unterstützung. Geplant
ist hier auch Aufsuchendes Streetworking, um Obdachlosen zur Seite zu stehen. Anne Arnhold-Winkenbach, die weiß, „dass ein Mensch nicht einfach nur funktioniert“, begleitet einige Klienten über lange Zeiträume. Aufgefallen sei ihr nun, was die CoronaKrise auch mit sich bringe: eine Art Gleichstellung. „Ich bin nicht mehr der einzig komische Mensch auf der Welt – andere haben auch Angst und trauen sich nicht raus.“Wenn das Leben auf einmal aufhöre zu toben, könne das auch entlastend sein, sagt sie. Trotzdem gilt es aufmerksam zu bleiben – um keinen Hilferuf zu überhören.