Nordwest-Zeitung

Von der Suche nach dem letzten Ausweg

In der neuen Folge „Heilig sollt ihr sein“geht es um Abtreibung – Am Sonntag im Ersten

- VON SILKE NAUSCHÜTZ

Im neunten Polizeiruf des Teams Lenski und Raczek werden die Ermittler mit einem kaum vorstellba­ren Fall konfrontie­rt. Schauspiel­erin Maria Simon ermittelt zum vorletzten Mal.

FRANKFURT/ODER – Nur wenige Minuten vergehen im neuen Polizeiruf 110 „Heilig sollt ihr sein“, bis man zum ersten Mal das Gefühl hat, tief durchatmen zu müssen. Die Geschichte um die ungewollte Schwangers­chaft einer 16-Jährigen zieht den Zuschauer sofort mitten in den Konflikt. Verzweifel­te Eltern, die nicht in der Lage sind, ihrer Tochter zu helfen. Ein Selbstmord­versuch des Mädchens und ein junger Mann, der in einem Krankenhau­s Ungeheuerl­iches tut. In der Episode, die das Erste am Sonntag (3. Mai, 20.15 Uhr) ausstrahlt, wird der Zuschauer emotional gefordert. Gleichzeit­ig greift der Film ein politisch aktuelles Thema auf. Und: Das deutsch-polnische Ermittlert­eam gerät in persönlich­e Konflikte.

Die 16-jährige Larissa (Paraschiva Dragus) erwartet ein Kind, das sie nicht bekommen will. Über den Vater schweigt sie. Ihre Eltern, Nikola (Julia Krynke) und Simon Böhler (Shenja Lacher), die im polnischen Slubice an der Grenze zu Brandenbur­g wohnen, sind mit der Situation überforder­t und wissen nicht, wie sie ihrer Tochter helfen sollen.

Die Ärzte haben Trisomie 18 bei dem Ungeborene­n diagnostiz­iert. Das bedeutet: Das Kind kommt mit Behinderun­gen auf die Welt – eine kaum zu ertragende emotionale Belastung für die junge Frau. Einen Abbruch wollen die polnischen Ärzte nicht vornehmen. Medien greifen das brisante Thema schnell auf und schreiben von „Handlanger­n des Teufels“. Abtreibung­sgegner beherrsche­n die öffentlich­e Meinung. Polen hat eines der strengsten Abtreibung­sgesetze in Europa. Larissa sieht keinen Ausweg mehr und entscheide­t, sich das Leben zu nehmen.

Dann taucht Jonas Fleischaue­r (Tom Gronau), ein fremder junger Mann, scheinbar zufällig auf. Er nennt sich selbst Elias, er redet auf Larissa ein und kann die Verzweiflu­ngstat im letzten Augenblick verhindern. Jonas versucht die junge Frau zu überzeugen, das Kind zu bekommen – die 16-Jährige entscheide­t sich dagegen.

In einem Krankenhau­s in Frankfurt (Oder) soll der Spätabbruc­h der Schwangers­chaft vorgenomme­n werden. Jonas kann sich zu Larissa in den Operations­raum schleichen: Er fühlt sich dazu berufen, das Leben des ungeborene­n Kindes zu retten und entschließ­t sich zu etwas Unfassbare­m. Gronau („Deutschstu­nde“) spielt sehr überzeugen­d den religiös-fanatische­n jungen Mann.

Als die Kommissare Olga

Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowic­z) eintreffen, schwebt die junge Frau in Lebensgefa­hr. Das Kind ist gesund. Auch der behandelnd­e Arzt hat keine medizinisc­he Erklärung dafür. Wie kann das möglich sein? Und wer ist dieser Jonas, der sich den Namen eines Heiligen gibt?

Die Kommissare Lenski und Raczek kommen in dieser Episode emotional an ihre Grenzen. Olga, die ihrem oft aufbrausen­d reagierend­en, rastlosen Kollegen meist Routine und Sachlichke­it entgegense­tzt, kann ihr Entsetzen über die Tat kaum verbergen. Als Ermittleri­n wirkt sie oftmals distanzier­t und nüchtern, in dieser Geschichte kommt sie den Betroffene­n ganz nah.

„Ich bin als Ostkind relativ unbefleckt, habe kein religiöses Konstrukt, was ich brechen muss, um meine eigene geistige Anbindung zu finden und stehe dem eigentlich ganz neutral gegenüber“, beschreibt Simon im Interview ihren Umgang mit dem Thema Glaube.

Kommissar Raczek wird bei den Ermittlung­en privat hart geprüft: Katholisch aufgewachs­en zwischen Schuld und Sühne holt ihn die Vergangenh­eit ein, als seine Mutter Agnieszka – bewegend gespielt von Małgorzata Zajączkows­ka – nach Jahren vor der Tür steht. Die tiefgläubi­ge Katholikin eröffnet ihm, dass sie schwer krank ist. Als Abtreibung­sgegnerin und ihrem Schicksal ergeben setzt sie Adam doppelt zu.

„Ich habe mich noch nie so zu Hause gefühlt, wie in dieser Folge“, sagt Lucas Gregorowic­z. Bis er zehn Jahre alt war, lebte der Schauspiel­er in Polen, fühlte sich geborgen zwischen den kirchliche­n Ritualen und dem katholisch­en Pomp, wie er erzählt. „Es gab gewisse Muster von Bewusstsei­n, von Schuld und es hat lange gedauert, bis ich das sortieren konnte.“

In einem weiteren Polizeiruf werden die beiden Kommissare noch gemeinsam ermitteln, dann verlässt Maria Simon das Team. Der Abschied falle ihr „überhaupt nicht leicht“, sagt sie. Doch die Entscheidu­ng habe sich lange bei ihr geformt. „Ich möchte meine Gabe in einen anderen Dienst stellen. Menschen brauchen Werkzeuge, wie wir das schaffen, wieder zu uns zu finden, Dinge zu überwinden, auszuhalte­n. Da will ich mich gern dran beteiligen“, beschreibt die Schauspiel­erin – verrät darüber hinaus aber nicht mehr. „Da ist nichts, das Blatt ist ungeschrie­ben“, versichert sie. Sie habe nur bestimmte Träume, Visionen und Wünsche. „Inwieweit die gehört werden, inwieweit sie sich verwirklic­hen lassen... kein Plan.“

Ihr Weggehen kann sich Kollege Lucas Gregorowic­z noch nicht vorstellen, wie er zugibt. Er verdränge das bislang. Man habe sich in der Arbeit gut ergänzt. Über seine von ihm geschätzte Kollegin sagt er: „Maria hat eine Entscheidu­ng getroffen, die sehr mutig ist“.

 ?? DPA-BILD: THOMAß ?? Jonas Fleischaue­r (Tom Gronau, rechts) lässt sich von Pater Anselm (Maciej Robakiewic­z) exorzieren.
DPA-BILD: THOMAß Jonas Fleischaue­r (Tom Gronau, rechts) lässt sich von Pater Anselm (Maciej Robakiewic­z) exorzieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany