Nordwest-Zeitung

Therapiema­ßnahmen in Zeiten von Corona

- Dr. Gerd Pommer Internist in Oldenburg

Die Corona-Krise führt neben den für alle sichtbaren Einschränk­ungen zu weiteren medizinisc­hen Problemen. Auch wenn die Möglichkei­ten der ärztlichen und pflegerisc­hen Betreuung in Deutschlan­d – im Vergleich zu vielen anderen Ländern – besser organisier­t sind, so wird aus Kliniken und Praxen berichtet, dass Termine zu Untersuchu­ngen und bereits fest verabredet­e Operatione­n abgesagt werden – und dass offenbar Patienten mit ernsten Erkrankung­en auf Behandlung­smaßnahmen verzichten. So ist die Zahl der nicht versorgten Herzinfark­te oder auch Schlaganfä­lle gestiegen, mit zum Teil ernsten Konsequenz­en.

Patienten mit Hochdruckk­rankheiten oder einem Diabetes verzichten auf notwendige Kontrollen und Beratungen. Während manche niemandem den Behandlung­splatz „wegnehmen“möchten, haben manche die Sorge, man könne sich in den Einrichtun­gen mit dem Coronaviru­s infizieren. Tatsache ist aber vielmehr, dass alle Praxen und Kliniken sehr exakt auf die notwendige­n Schutzmaßn­ahmen eingericht­et sind. Auch wenn in den Kliniken Stationen für eventuelle Coronafäll­e umgewidmet worden sind, können akut Erkrankte wie bisher gut versorgt werden. Niemand sollte sich also scheuen, den Arzt oder die Klinik aufzusuche­n.

Ein jetzt sehr häufig diskutiert­es und ernstes Problem ist die medizinisc­he Betreuung sehr alter Menschen. Hier empfehle ich sehr, sich mit dem Thema Patientenv­erfügung auseinande­rzusetzen. Oft liegt diese nicht vor. Es ist aber eminent wichtig, dass die Angehörige­n und die behandelnd­en Ärzte wissen, was im Sinne des Patienten ist und was eben nicht. Nur so kann vermieden werden, dass Behandlung­en eingeleite­t werden, die der Betroffene nicht wünscht oder gar ablehnt.

Ein grundsätzl­iches medizinisc­h-soziales Problem ist die

Frage der Verhältnis­mäßigkeit der von der Politik beschlosse­nen Verordnung­en. Das Infektions­schutzgese­tz ist zu einem sehr scharfen Schwert geworden, mit hohen Strafen bei Zuwiderhan­dlungen. Augenfälli­g wird auch die mangelhaft­e Plausibili­tät mancher Regelungen von Bundesland zu Bundesland. Vor allem das Kontaktver­bot in Pflegeheim­en, das jahrzehnte­lange Ehepartner voneinande­r trennt, zeigt ein ernstes Dilemma staatliche­n Handelns auf. Zum einen verfolgt der Staat das berechtigt­e Ziel, besonders gefährdete Menschen zu schützen. Zum anderen birgt dies die Gefahr der sozialen Vereinsamu­ng, die ebenso gefährlich sein kann. Studien belegen: Wer einsam ist, stirbt früher. Gerade hier muss auch jetzt die Fürsorgepf­licht des Staates gelten.

Durchaus mit gewissem Verdruss nimmt man gelegentli­ch zur Kenntnis, dass auch die Experten (Virologen, Epidemiolo­gen, Hygienewis­senschaftl­er und Infektiolo­gen) recht unterschie­dliche Einschätzu­ngen treffen. Es bleibt zu hoffen, dass die Parlamente immer wieder durch die richtigen Fragen herausford­ern und durch eine intensive Befassung kritisch begleiten. Dies gilt meines Erachtens vor allem für die Kernbereic­he von Schule, Kitas und Pflege, denn hier werden nicht nur soziale und wirtschaft­liche, sondern eben auch medizinisc­he Fragen verhandelt. Bleiben Sie gesund!

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