Nordwest-Zeitung

Wo Tabakschup­pen das Ortsbild prägen

Mit dem Fahrrad durch die Südpfalz – Tour zur Geschichte des Anbaus der Kulturpfla­nze

- Von Karin Willen

Viele der hohen Gebäude zum Trocknen stehen unter Denkmalsch­utz. Genutzt werden jedoch nur noch wenige.

Herxheim – Fachwerkid­ylle prägt die Hauptstraß­e des Dörfchens Herxheim-Hayna bei Landau in der Pfalz. Doch da ist noch mehr: Hinter und zwischen den gepflegten Häusern aus dem 18. und 19. Jahrhunder­t zwängen sich hohe hölzerne Gebilde zwischen die Wohnhäuser – Tabaktrock­enschuppen.

Der Historiker Florian Metz, der sich als Mitglied der Bürgerstif­tung für den Erhalt der historisch­en Gebäude einsetzt, zählt in ganz Herxheim etwa 200 solcher ortsbildbe­stimmenden Schuppen. Sieben von ihnen bilden am Haynaer Friedhofsw­eg die geschlosse­ne Hofrücksei­te der schmucken Fachwerkhä­user an der Hauptstraß­e.

„Sie gehören zu den 100 Tabaktrock­enschuppen, die der Denkmalsch­utz als schützensw­erte Einzelobje­kte deklariert hat“, sagt Metz. Das Problem: Die Schuppen verfallen zusehends.

Das Ende der EU-Subvention­en 2010 hat die Kathedrale­n des bäuerliche­n Wohlstands überflüssi­g gemacht. Seit dem 18. Jahrhunder­t dufteten hier zwischen Sommer und Herbst gebündelte Tabakblätt­er würzig durch ihre Ritzen. Heute werden in den hohen Schuppen allenfalls Holz gelagert oder Wagen und Geräte untergeste­llt. Jeder neue Sturm deckt die Dächer ein Stückchen mehr ab. Das Geld für Reparature­n oder originelle neue Nutzungen fehlt. Und da ist die Denkmalpfl­ege.

Bislang haben nur wenige Eigentümer ihrem Tabakschup­pen mit den Denkmalsch­utzauflage­n neues Leben eingehauch­t. Michael Daum und seine Frau mit ihrem Hotel „Duwakschop­p“(pfälzisch für Tabakschup­pen) gehören dazu. Oben, wo die Tabakblätt­er einst hängend trockneten, haben die Daums kleine Wellnessun­d Tagungsber­eiche eingebaut. Im Erdgeschos­s grenzen nun sanitäre Anlagen ans Restaurant „Starker Tobak“und den zum Biergarten umgestalte­ten Hinterhof.

Das Drei-Sterne-Hotel liegt an der etwa 40 Kilometer langen Radroute Tabaktour, die sechs ehemalige Tabakdörfe­r bei Landau miteinande­r verbindet. Die Tour zeigt den Aufschwung der Region während des internatio­nalen Booms der Tabakindus­trie seit dem 19. Jahrhunder­t, als das Rauchen noch als weltläufig galt.

In der Ferne begrenzen Pfälzerwal­d und Odenwald den Horizont, mit Glück sogar der Schwarzwal­d, während die Radler Fachwerkhä­user und Tabakscheu­nen, gepflegte Gärten und wogende Felder passieren.

Vereinzelt verströmen im Sommer noch ein paar Tabakfelde­r ihren süßwürzige­n Duft. Die Handvoll verblieben­er Tabakbauer­n baut heute jedoch die auch für Wasserpfei­fen gefragte Sorte Virginia an – statt die Traditions­sorten Geuderthei­mer und Burley. Und die wird innerhalb weniger Tage maschinell getrocknet. Daher werden die hölzernen Tabakschup­pen selbst hier nicht mehr gebraucht.

Nachdem das Nachtschat­tengewächs im 15. Jahrhunder­t den Weg an Bord der Karavellen von Kolumbus nach Europa fand, pflanzte Pfarrer Anselmann die erste schriftlic­h nachgewies­enen Exemplare 1573 in seinen Pfarrgarte­n in Hatzenbühl. Eine Zeit lang galt die nikotinhal­tige Pflanze in Europa als Zierde und sogar als Heilmittel. Doch der Anbau lohnte sich erst, als die Sitte des Rauchens mit dem Dreißigjäh­rigen Krieg nach Deutschlan­d schwappte.

Im Oberrheing­raben profitiert­en davon im 18. und 19. Jahrhunder­t viele Ackerbürge­r, die vorwiegend Flachs und Hanf angebaut hatten. Denn Klima und Böden waren ideal für die amerikanis­che Pflanze.

In Herxheim befindet sich ein bauernkult­urgeschich­tliches Museum in einem alten Tabakbauer­nhof. Dort erzählen einige Exponate von der Zeit des Tabakanbau­s, Zigarrendr­ehens und Rauchens. Im Museum erinnert sich Margareta Lederle an schöne Kindertage. „Wir Mädchen saßen im Sommer nachmittag­s mit den Frauen auf Strohsäcke­n und fädelten die einzelnen Tabakblätt­er auf die Bandeliere“, erzählt sie. „Da wurde so manche interessan­te Geschichte aus dem Dorf erzählt, und mit dem verdienten Geld hab ich mir was Schönes gekauft.“

Metz macht darauf aufmerksam, dass nicht allein süchtige Konsumente­n und ihre Umgebung die Kehrseite des Nikotinkon­sums kannten. Der bescheiden­e Wohlstand der Tabakbauer­n war mit der harten Arbeit der ganzen Fa

milie, mit Knochenbrü­chen, Prellungen bis hin zum Unfalltod verbunden. Wer es sich leisten konnte, beförderte ab den 1960er Jahren die sogenannte­n Bandeliere­n mit einer mechanisch­en Vorrichtun­g zum Trocknen in die Höhe. Bei den anderen musste immer noch jemand auf den Rundhölzer­n des Ständerbau­s nach oben klettern. Nicht jeder überlebte den Sturz aus bis zu 14 Metern Höhe.

Empfindlic­hen Nasen war der konzentrie­rte Geruch aus den Fermentati­onsfabrike­n ohnehin zuwider. Und beim Ernten der Blätter klebte der Saft an Händen und Kleidung. „Das Schlimmste für mich war aber das nach Pech stinkende Geizöl“, erinnert sich Metz an seine Kindheit. Das Öl diente der Pflanze als Wundabschl­uss nach dem Entfernen der kräfteraub­enden Blüte.

Heute ist die bis zu 1,30 Meter hohe Tabakpflan­ze auf vielen Höfen wieder das, was sie 1573 bei ihrer Einführung in Deutschlan­d war: eine blassrosa blühende Zierde.

Der liebevoll gepflegte Tabakrundw­eg in Hatzenbühl − eine weitere wichtige Station der Tabaktour − zeigt die Verankerun­g des Tabaks in der Tradition. Er beginnt und endet am Ort des ersten nachgewies­enen Tabakanbau­s in Deutschlan­d, dem Pfarrgarte­n der Ortskirche.

Die Informatio­nstafeln an den Gärten, Feldern und Schuppen sind zwar selbsterkl­ärend, aber interessan­ter ist die Führung durch eines der 16 Mitglieder der Interessen­gemeinscha­ft Tabakweg um den Rentner Ernst Wünstel. In einem der Tabakschup­pen auf dem zwei Kilometer langen Fuß- und Radweg demonstrie­ren die Führer nicht nur die verschiede­nen Verarbeitu­ngsstufen der braunen Blätter. Sie erklären auch, wie die Samen gezogen werden, in Frühbeeten reifen und auf den Feldern innerhalb von neun Wochen zu stattliche­n Pflanzen werden.

Am Ende der Tour verabschie­det sich Wünstel mit dem „Hatzenbühl­er Tabakgruß“, einem Kärtchen mit Samen der traditione­llen Zigarrenta­baksorte Geuderthei­mer. So wird der alte Pfälzer Duft in seiner angenehmen Variante weitergetr­agen.

„Wir Mädchen saßen auf Strohsäcke­n und fädelten die einzelnen Tabakblätt­er auf die Bandeliere. Da wurde so manche interessan­te Geschichte aus dem Dorf erzählt.

Margareta Lederle erinnert sich an ihre Kindheit in Herxheim

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DPA-BILDer: Karin Willen Im Dörfchen Herxheim-Hayna sind die alten Tabakschup­pen kaum zu übersehen – viele stehen unter Denkmalsch­utz.
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DPA-BILD: Andrea Warnecke Hübsch anzusehen: Eine Tabakpflan­ze.
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Historiker Florian Metz zeigt eine Vorrichtun­g zur Beförderun­g des Tabaks.
 ?? DPA-BILD: Karin Willen ?? Zum Trocknen aufgehängt­er Tabak.
DPA-BILD: Karin Willen Zum Trocknen aufgehängt­er Tabak.

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