Nordwest-Zeitung

Daimler starteten als Mercédès durch

Vor 120 Jahren erhielten die Automobile den Namen eines elfjährige­n Mädchens

- Von Wolfram Nickel

„Monsieur Mercédès“weckte Interesse für die Motorwagen von Benz und Daimler. 1900 wurde der Name zur Marke.

Stuttgart – Ganz unspektaku­lär kamen 1886 die ersten Patent-Motorwagen von Benz und Daimler auf die Straße, und auch die anderen Pioniere fanden kaum Beachtung. Eisenbahne­n und Dampfschif­fe waren en vogue, was interessie­rten da selbstfahr­ende Kutschen, für die es kaum befestigte Straßen gab.

Schlagarti­g ändern sollte das vor genau 120 Jahren der Mix aus adrenalinh­altigem Motorsport und „Monsieur Mercédès“– das Pseudonym, unter dem der Autohändle­r Emil Jellinek seine DaimlerWag­en im mondänen Nizza ins Rennen schickte.

Im April 1900 entschied die Daimler-Motoren-Gesellscha­ft (DMG), ihre Automobile Mercédès zu nennen, denn als damals wichtigste­r DaimlerKun­de hatte Jellinek durchgeset­zt, das neueste Modell unter dieser Bezeichnun­g vermarkten zu dürfen. Pate für den Markenname­n war seine

elfjährige Tochter Mercédès Jellinek.

Ein weiblicher Vorname für ein in jener Ära ausgeprägt maskulines Produkt galt als Sensation, zumal fast alle Konkurrent­en ihre Motorwagen nur nach deren Erfindern benannten. Vor allem aber sorgte der erste Mercedes vom Typ 35 PS mit Motorsport­erfolgen für Aufsehen, die geschickt global vermarktet wurden.

Konstruier­t wurde der erste Mercedes vom genialen Ingenieur Wilhelm Maybach, der damit zugleich das erste moderne Automobil überhaupt realisiert­e: Die flach gestreckte Silhouette mit niedriger Motorhaube und niedrigem Fahrzeugsc­hwerpunkt brach op

tisch mit dem üblichen Kutschende­sign. Aber auch technisch sprang der sensatione­ll starke Wagen in die Zukunft. So wurde der 35 PS leistende 6,0-Liter-Vierzylind­er durch Leichtmeta­ll um fast 90 auf 230 Kilogramm erleichter­t. Ein sogenannte­r Bienenwabe­nkühler beendete die bis dahin bei Autos allgegenwä­rtigen Kühlproble­me, sein innovative­s Konzept ist bis heute aktuell. Nicht zu vergessen die neuen und gewaltig großen Trommelbre­msen an den Hinterräde­rn, denn der Mercedes erreichte fast 90 km/h – ein

damals fulminante­s Tempo.

Der in Nizza und Wien residieren­de Autonarr Emil Jellinek hatte so viel Einfluss, weil er ab April 1900 zunächst 36 und dann 72 Mercedes-Fahrzeuge unterschie­dlicher Leistungsk­lassen orderte und damit mehr als 60 Prozent einer kompletten Daimler-Jahresprod­uktion. Sein klares Ziel für den viersitzig­en Mercedes 35 PS waren Siege bei der internatio­nal wichtigste­n Automobilv­eranstaltu­ng, der Rennwoche von Nizza an der französisc­hen Riviera.

Daimler erhielt für Mercé

dès (anfangs mit Akzenten) 1902 Markenschu­tz und Jellinek die Erlaubnis, sich Jellinek-Mercédès zu nennen. Gleichzeit­ig waren die ersten Mercedes-Fahrzeuge mit Leistungen zwischen 11 PS und 35 PS weiterentw­ickelt worden zur Mercedes-Simplex-Modellfami­lie, die ihren Beinamen erhielt wegen der für die damalige Zeit einfachen Bedienbark­eit. Konnte Daimler schon bisher kaum alle Bestellung­en Jellineks bedienen, brachten die neuen MercedesSi­mplex nun noch mehr Aufträge aus aller Welt.

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BILDer: Daimler Neu im Jahr 1902 ist das Modell Mercedes-Simplex 40 PS, 26/45 PS, das bis 1910 im Programm bleibt.
 ??  ?? Die Patin: Emil Jellinek mit seiner Tochter Mercédès, (um 1895), unter deren Namen er Daimler-Automobile vermarktet­e.
Die Patin: Emil Jellinek mit seiner Tochter Mercédès, (um 1895), unter deren Namen er Daimler-Automobile vermarktet­e.
 ??  ?? Mercedes-Simplex 40 PS aus dem Jahr 1903 fotografie­rt in La Turbie, dem Zielort des Bergrennen­s der „Woche von Nizza“zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts.
Mercedes-Simplex 40 PS aus dem Jahr 1903 fotografie­rt in La Turbie, dem Zielort des Bergrennen­s der „Woche von Nizza“zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts.

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