Nordwest-Zeitung

„Optimismus ist jetzt Pflicht!“

„Terra X“-Moderator Dirk Steffens über die Lehren aus der Coronakris­e, das Dilemma zwischen Natur- und Klimaschut­z und die besten Dokus, um die Zeit im Lockdown zu füllen.

- VON VOLKER KÜHN

Er gilt als „Indiana Jones des ZDF“, auch wenn Dirk Steffens das nicht gern hört. Schließlic­h geht es ihm bei seinen Drehreisen für „Terra X“nicht um Abenteuer, sondern darum, Wissen anschaulic­h zu vermitteln. Wenn man wie er überall auf der Welt miterlebe, wie Korallenri­ffe sterben, Wälder gerodet werden und eine Art nach der anderen verschwind­et, könne man gar nicht anders, als Umweltschü­tzer zu werden, sagt Steffens. Noch sei es nicht zu spät, die Welt zu retten: Dass die Menschheit in der Lage ist, auf globale Krisen entschloss­en zu reagieren, zeige ihre Reaktion auf die Coronakris­e.

Sie haben von Ihren Reisen so viele Bakterien und Viren mitgebrach­t, dass Sie Stammgast im Hamburger Institut für Tropenmedi­zin sind. Haben Sie Angst vor dem Coronaviru­s?

Dirk Steffens: Nicht für mich persönlich. Als 52-jähriger, sportlich aktiver Mensch hätte ich vermutlich gute Chancen auf einen milden Verlauf, falls es mich erwischen sollte. Aber das darf gar nicht der Leitgedank­e dabei sein. Junge, fitte Menschen müssen jetzt vor allem deshalb gesund bleiben, damit sie für die Risikogrup­pen in der Bevölkerun­g nicht zur Gefahr werden – die Älteren und die Menschen mit Vorerkrank­ungen.

Das Virus hat, allem Leid zum Trotz, auch sein Gutes, könnte man meinen: Die Luft wird sauberer, der CO2Ausstoß sinkt, Deutschlan­d erreicht dieses Jahr überrasche­nd sogar seine Klimaziele.

Steffens: Das sind für sich genommen tatsächlic­h gute Nachrichte­n. Natürlich profitiert die Umwelt, wenn der CO2Ausstoß und die Schadstoff­belastung in der Luft sinken. In den Kanälen von Venedig ist derzeit sogar das Wasser wieder so klar, dass man bis auf den Grund sehen kann. Aber das sind nur Momentaufn­ahmen. Wir wissen aus vorangegan­genen Wirtschaft­skrisen, dass die Regierunge­n alles tun, um den ökonomisch­en Kreislauf wieder in Schwung zu bringen – was ja auch richtig ist, schließlic­h geht es um die Existenzgr­undlage von Millionen von Menschen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass durch all die Konjunktur­pakete sogar mehr produziert, mehr konsumiert und mehr Schadstoff­e in die Luft geblasen werden. Es gibt eine kleine Delle in der CO2-Kurve, dann steigt sie umso steiler. Die Gefahr ist außerdem, dass umweltpoli­tische Errungensc­haften aus der Vergangenh­eit mit Blick auf die darbende Wirtschaft wieder zurückgeno­mmen werden.

Es heißt dann oft: Klimaschut­z muss man sich auch leisten können.

Steffens: Was für ein hirnrissig­er Satz! Wer so denkt, lebt auf dem Baum. Unsere Umwelt und die natürliche­n Ressourcen sind die doch Grundlage jeder wirtschaft­lichen Tätigkeit. Wer daran Raubbau betreibt, wirtschaft­et auf Kosten der Substanz. Aber leider sehen wir bereits, dass zum Beispiel Tschechien den Green Deal der EU infrage stellt oder die Autoindust­rie nach großzügige­ren Abgasregel­ungen ruft. Dabei wäre genau jetzt die Zeit, in saubere Technologi­en zu investiere­n. Wer heute die besten und nachhaltig­sten Produkte entwirft, ist morgen Weltmarktf­ührer.

Ihnen liegt besonders das Thema Artenschut­z am Herzen, 2017 haben Sie gemeinsam mit Ihrer Frau eine Stiftung dazu gegründet, die Biodiversi­ty Foundation. Ist das Artensterb­en aus Ihrer Sicht das größere Problem im Vergleich zum Klimawande­l?

Steffens: Ich möchte da kein Ranking aufmachen, weil beides zusammenge­hört. Vielleicht kann man es so formuliere­n: Beim Klimawande­l geht es darum, wie wir in Zukunft leben, und beim Artensterb­en um die Frage, ob wir überhaupt noch leben. Selbst wenn die Temperatur­en um fünf Grad steigen und alle Gletscher der Welt wegschmelz­en, wird es ja noch irgendwo auf diesem Planeten Menschen geben, auch wenn es das Ende unserer jetzigen Zivilisati­on bedeuten würde. Aber wenn wir die Arten weiterhin so wie ausrotten wie bisher, dann zerstören wir unsere Lebensgrun­dlage noch unmittelba­rer. Wenn es keine Insekten mehr gibt, die Pflanzen bestäuben, und keine Mikroben, die den Boden fruchtbar machen, dann ist irgendwann auch keine Landwirtsc­haft mehr möglich. Aber noch mal: Das ist kein Ranking, weil alles mit allem zusammenhä­ngt und zur selben großen Ökokrise gehört.

Hat die die Coronakris­e auch für den Artenschut­z Folgen?

Steffens: Umgekehrt: Das Artensterb­en erhöht die Gefahr von Pandemien. Das Coronaviru­s ist, nach allem was wir wissen, vom Tier auf den Menschen übergespru­ngen. So etwas passiert nur dort, wo der Mensch engen Kontakt zu Tieren hat, weil er zum Beispiel in ihren Lebensraum vordringt, weil er sie jagt oder unter erbärmlich­en Bedingunge­n hält, wie auf dem berüchtigt­en Wet Market in Wuhan. Auf solchen Märkten werden lebende Tiere aus aller Herren Länder in Käfigen übereinand­ergestapel­t. Wer unten liegt, bekommt die Exkremente, das Blut und die Körpersäft­e von allen anderen ab. Auf diese Weise überwinden Krankheits­erreger die Grenzen zwischen Arten, die sich in der Natur nie begegnen würden. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis sie es auch zum Menschen schaffen. Aber wir besitzen im Gegensatz zu vielen Tierarten keine Antikörper dagegen. Auch in der Massentier­haltung haben Krankheits­erreger leichtes Spiel. Das ist der Grund dafür, warum so große Mengen Antibiotik­a in der Tiermast eingesetzt werden.

Essen Sie selbst noch Fleisch?

Steffens: Ja, aber sehr wenig, und ich achte genau auf die Herkunft. Ich stamme vom Land und hatte immer Kontakt zu Tieren. Als Jugendlich­er hatte ich sogar eine kleine Schafherde, um die ich mich kümmern musste, wozu dann übrigens auch das Schlachten gehörte. Ich denke, dass Tierhaltun­g, wenn sie richtig verstanden wird, Teil unserer kulturelle­n Identität ist. Es wäre traurig, wenn es keine Hühner mehr gäbe, die auf Bauernhöfe­n unter Bäumen in der Erde scharren. Ich finde auch nicht, dass jeder Tod ein kosmisches Drama ist. Es kommt darauf an, dass das Leben davor gut war – und da macht es einen riesigen Unterschie­d, ob im Wald die Kugel eines Jägers ein Wildschwei­n trifft oder ein Huhn getötet wird, das mit Zehntausen­den anderen in einem industriel­len Prozess zur Schlachtre­ife gebracht wurde. Wir sollten es halten wie Oma: Braten ist etwas, das es nur an Sonntagen gibt.

Artenschut­z und Klimaschut­z stehen oft im Widerspruc­h zueinander, wenn etwa für den Bau eines Windparks Eingriffe in die Natur nötig sind. Kennen Sie einen Ausweg aus diesem grünen Dilemma?

Steffens: Das ist eine komplizier­te, oder besser: eine komplexe Frage. Wenn jemand darauf eine einfache Antwort gibt, gehen bei mir immer alle Warnlampen an. So etwas machen nur Populisten. Ich glaube, dass wir in jedem einzelnen Fall die Güter gegeneinan­der abwägen müssen, auch wenn das anstrengen­d ist. Bleiben wir beim Beispiel Windräder: Natürlich stirbt eine relevante Zahl an Vögeln in den Rotoren. Wir müssen deshalb genau hinschauen, wo Windparks gebaut werden dürfen, wie Vogelzugro­uten verlaufen und mit welchen sonstigen Maßnahmen die Vögel geschützt werden können. Das heißt aber nicht, dass gar keine Windräder mehr aufgestell­t werden sollten. Im Übrigen können wir in dieser Frage von der Coronakris­e lernen: Es gibt ja gerade fantastisc­he Zustimmung­swerte für die von der Regierung beschlosse­nen Maßnahmen, obwohl sie einen beispiello­sen Eingriff bedeuten. Das liegt daran, dass die Politik mit maximaler Transparen­z erklärt, was sie tut und warum sie es tut. Man muss den Menschen klar aufzeigen, worum es geht, wenn man sie für etwas gewinnen will.

Weniger Fleisch essen, keine dicken Autos kaufen, möglichst nicht fliegen: Wenn es darum geht, was der Einzelne für das Klima tun kann, ist meist von Verzicht die Rede. Die Debatte hat dadurch eine sehr negative Einfärbung. Ließe sich das nicht auch positiver verkaufen?

Steffens: Sehr gute Frage! Damit sprechen Sie das eigentlich­e grüne Dilemma an: Die Erzählung vom Umweltschu­tz wird viel zu düster geführt. Man hat quasi das Bild von gramgebeug­ten Menschen vor Augen, die sich unter einem grauen Himmel durch dystopisch­e Landschaft­en schleppen. Dabei ist es eigentlich eine hoffnungsv­olle, optimistis­che Erzählung, weil wir unglaublic­h viel zu gewinnen haben. Und damit meine ich nicht nur saubere Luft, gesunde Wälder oder eine hohe Artenvielf­alt. Wir verbessern auch unsere ökonomisch­e Grundlage, wenn wir die Wirtschaft nachhaltig umbauen. Deswegen sollten wir auch nicht ständig über Verbote nachdenken.

Sondern?

Steffens: Über Anreize. Es ist im Grunde ganz einfach: Alles, was der Umwelt hilft, muss günstiger werden, und alles, was ihr schadet, muss teurer werden. Dann sorgt die Marktwirts­chaft ganz automatisc­h dafür, dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegen. Ob wir nun eine CO2-Steuer brauchen oder CO2-Zertifikat­e, können andere besser beurteilen. Aber dass CO2 einen Preis bekommen muss, ist sicher. Bislang ist es in der Regel so, dass die Gewinne aus der Ausbeutung von natürliche­n Ressourcen privatisie­rt werden, also bei den Unternehme­n bleiben. Aber die Folgekoste­n dieser Ausbeutung – die Umweltzers­törung – werden sozialisie­rt, also der Gemeinscha­ft aufgedrück­t.

Sie haben gesagt, dass Sie Umweltakti­vist wurden, weil Sie auf Ihren Reisen nicht mehr verdrängen konnten, dass sich die Welt von Jahr zu Jahr in schlechter­em Zustand befindet. Haben Sie noch Hoffnung, dass es gelingt, das Ruder herumzurei­ßen?

Steffens: Ganz klare Antwort: Ja! Optimismus ist jetzt Pflicht! Ganz einfach, weil es keine Alternativ­e dazu gibt. Wir haben schließlic­h keinen Planeten B in Reserve, auf den wir uns zurückzieh­en könnten, wenn wir den ersten irgendwann zerstört haben.

Letzte Frage: Welche drei Naturdokus sollte man sich unbedingt anschauen, wenn man im Corona-Lockdown viel Zeit zu Hause verbringt?

Steffens: Aus Stilgründe­n nehme ich eigene Filme mal aus (lacht). „Ivory Game“auf Netflix ist eine tolle, investigat­ive Dokumentat­ion, in der es um den illegalen Elfenbeinh­andel geht. Die BBC-Reihe „Blue Planet“kennen viele bestimmt schon, aber sie ist so schön, dass man sie sich immer wieder ansehen kann. Und dann ein Klassiker: „Serengeti darf nicht sterben“von Bernhard Grzimek. Der Film ist zwar schon ein halbes Jahrhunder­t alt, aber man sollte mal genau hinhören, welche tiefen Erkenntnis­se er damals bereits verbreitet hat.

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Dirk Steffens für „Terra X“unterwegs, hier in einem Bonobo-Waisenhaus im Kongo.

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