Wende absehbar
Früher lautete die Parole „Heraus zum 1. Mai“. Jetzt heißt es für die Gewerkschafter, Abstand zu wahren. Sie dürfen nicht einmal hereinbitten. Die auf Maikundgebungen geäußerten sozialpolitischen Forderungen haben in diesem Jahr als Bühne das Internet, nicht den Marktplatz. Auch inhaltlich hat sich einiges geändert und wird sich noch mehr ändern. Aus einer Nachfragesituation, nämlich Nachfrage nach Fachkräften, hat sich für viele Branchen eine Angebotssituation quasi über Nacht ergeben. Das engt den Spielraum für Tarifforderungen der Gewerkschaften ein.
Immerhin hat die Mitgliedschaft in Gewerkschaften denen genutzt, die in einem Betrieb mit Tarifbindung arbeiten – vor allem den Metallern. Wer von denen kurzarbeiten muss, erhält oft mehr Kurzarbeitergeld als die, die in der Pflege in Vollzeit (also ohne Kurzarbeit) tätig sind. Deshalb ist die Forderung nach besserer Entlohnung in der Pflege auch erst einmal ein Signal an die Pflegebeschäftigten selbst. Wer sich gewerkschaftlich organisiert, hat bessere Chancen, seine Forderungen durchzusetzen. Für viele Beschäftigte in Corona-gebeutelten Branchen könnte sich die Zeit der satten Abschlüsse (wie bei den Metallern) zum Ende neigen. Und es ist auch fraglich, ob es in der Metallbranche überhaupt wieder in absehbarer Zeit etwas zu verteilen gibt. Viele werden froh sein, Arbeit zu haben. Das wird die Strategien der Gewerkschaften beeinflussen und auch ihre Chancen, etwas durchzusetzen.
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