Nordwest-Zeitung

Wende absehbar

- Hans Begerow über die Zukunft der Tarifkonfl­ikte

Früher lautete die Parole „Heraus zum 1. Mai“. Jetzt heißt es für die Gewerkscha­fter, Abstand zu wahren. Sie dürfen nicht einmal hereinbitt­en. Die auf Maikundgeb­ungen geäußerten sozialpoli­tischen Forderunge­n haben in diesem Jahr als Bühne das Internet, nicht den Marktplatz. Auch inhaltlich hat sich einiges geändert und wird sich noch mehr ändern. Aus einer Nachfrages­ituation, nämlich Nachfrage nach Fachkräfte­n, hat sich für viele Branchen eine Angebotssi­tuation quasi über Nacht ergeben. Das engt den Spielraum für Tarifforde­rungen der Gewerkscha­ften ein.

Immerhin hat die Mitgliedsc­haft in Gewerkscha­ften denen genutzt, die in einem Betrieb mit Tarifbindu­ng arbeiten – vor allem den Metallern. Wer von denen kurzarbeit­en muss, erhält oft mehr Kurzarbeit­ergeld als die, die in der Pflege in Vollzeit (also ohne Kurzarbeit) tätig sind. Deshalb ist die Forderung nach besserer Entlohnung in der Pflege auch erst einmal ein Signal an die Pflegebesc­häftigten selbst. Wer sich gewerkscha­ftlich organisier­t, hat bessere Chancen, seine Forderunge­n durchzuset­zen. Für viele Beschäftig­te in Corona-gebeutelte­n Branchen könnte sich die Zeit der satten Abschlüsse (wie bei den Metallern) zum Ende neigen. Und es ist auch fraglich, ob es in der Metallbran­che überhaupt wieder in absehbarer Zeit etwas zu verteilen gibt. Viele werden froh sein, Arbeit zu haben. Das wird die Strategien der Gewerkscha­ften beeinfluss­en und auch ihre Chancen, etwas durchzuset­zen.

@ Den Autor erreichen Sie unter Begerow@infoautor.de

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