Nordwest-Zeitung

Ein glühender Antikommun­ist

„Jahrtausen­dpapst“Johannes Paul II. wäre 100 Jahre alt geworden

- VON ALEXANDER BRÜGGEMANN

Lange hatten sich die polnischen Kommuniste­n Zeit gelassen, um einen – in ihren Augen – geeigneten Kandidaten für den Bischofsst­uhl von Krakau auszuwähle­n. Leicht zu händeln sollte er sein, nicht zu „politisch“. Den jungen Weihbischo­f Karol Wojtyla, geboren am 18. Mai 1920, hielten sie Anfang der 60er Jahre für einen intellektu­ellen Schöngeist, der keinen Ärger macht. Ein Urteil, das sie übrigens zunächst mit dem damaligen Primas Stefan Wyszynski (1901-1981) teilten; der hielt ihn, etwas ratlos, für „einen Dichter“. Es war eine der größeren Fehleinsch­ätzungen der jüngeren Geschichte.

Strategie Beharrlich­keit

Karol Wojtyla, der 1964 Krakauer Erzbischof und 1967 von Papst Paul VI. zum Kardinal ernannt wurde, war sehr wohl Politiker – aber keiner, der politische Spielchen spielen wollte. Ränke zwischen Apparatsch­iks und Machtgesch­acher im Politbüro langweilte­n ihn – da er das ganze kommunisti­sche System für vom Menschenbi­ld her verfehlt und ohnehin für nicht dauerhaft lebensfähi­g hielt. Seine Strategie war nicht offene Konfrontat­ion, sondern Wahrhaftig­keit und Beharrlich­keit. Als Papst Johannes Paul II. (1978-2005) trug er später maßgeblich zum Sturz des Kommunismu­s bei.

Wojtyla war keineswegs der Wunschkand­idat von Primas Wyszynski, der, obgleich ein diplomatis­cher Fuchs, seine starken Wurzeln in der traditione­llen ländlichen Frömmigkei­t hatte und nicht in der städtische­n Intelligen­tsia. Doch der junge Bischof zeigte

sich ihm gegenüber äußerst loyal; sehr zum Ärger der Kommuniste­n, die gehofft hatten, durch die Unterschie­dlichkeit der beiden einen Keil zwischen sie treiben zu können. Schauspiel­er und Schriftste­ller, konnte Wojtyla einerseits die Jugend begeistern – und auch jene rationalis­tischen, halblinken Intellektu­ellen an die Kirche als opposition­elle Kraft binden, denen der Primas von Haus aus misstraute.

Wie sehr Karol Wojtyla tatsächlic­h mit den Waffen des Intellektu­ellen kämpfte, mit Zuhören, Diskutiere­n und Ausloten, belegt das Protokoll eines Beamten der Religionsb­ehörde aus den 60er Jahren: „Seit Beginn unserer Unterredun­g machte er es sich auf seinem Sessel bequem, stützte das Kinn auf seinen Daumen. Seine Bewegungen sollten ruhig wirken, ganz gelassen. Er war sehr direkt. Die ganze Zeit über lächelte er freundlich.

Und er hatte eine Freiheit in dem, wie er seine Gedanken formuliert­e. Er ließ sich Zeit mit seinen Antworten, die dann ganz klar und nüchtern waren.“

Klare Antworten

Das Verhalten des jungen Weihbischo­fs in Nowa Huta hätte die Behörden eigentlich stutzig machen müssen. Dieser Muster wohnkompl ex für Stahlarbei­ter hatte keinerlei Kirche – und auch alles andere an der Platten hochhaus architektu­r war darauf ausgelegt, keine Sozialkont­akte zwischen den Arbeitern zu begünstige­n. Auf einem Feld feierte Wojtyla dort alljährlic­h seit 1959 die Christmett­e. Ein Holzkreuz, das dort errichtet wurde, verteidigt­en die Arbeiter hartnäckig gegen die Staatsgewa­lt.

Die Formulieru­ng der Religionsf­reiheit durch das Zweite Vatikanisc­he Konzil (19621965) gab Karol Wojtyla ein ähnliches Dynamit in die Hand wie später die Schlussakt­e von Helsinki 1975. Religionsf­reiheit als positives Menschenre­cht, das man einfordern kann: Das war ein anderes Verständni­s, als es das durch die 68er-Bewegung verschreck­te Kirchenmil­ieu im Westen hatte. Dort schien Religionsf­reiheit vor allem ein Einfallsto­r für religiöse Gleichgült­igkeit zu sein.

Ins 21. Jahrhunder­t

Im Mai 1977, als der lange Kampf gewonnen und Wojtyla die Marienkirc­he von Nowa Huta der „Königin von Polen“weihte, predigte er: „Dies ist keine Stadt von Menschen, die niemandem gehören; mit denen man machen kann, was man will (...). Dies ist eine Stadt der Kinder Gottes.“Religionsf­reiheit als Menschenre­cht.

Am Ende seines Lebens hatte Primas Wyszynski (19011981) seinen Frieden mit Karol Wojtyla gemacht – von ihm stammt das vielzitier­te Wort, dieser werde „die Kirche ins 21. Jahrhunder­t führen“. Das hat der Dichter und Schauspiel­er auf dem Papstthron wahr gemacht – und mit seinem polnischen Sturkopf den Untergang des Kommunismu­s tatkräftig befördert. Mit seiner ersten Polen-Reise im Juni 1979 stieß Johannes Paul II. jene Entwicklun­g an, die ein Jahr später zur Gründung der Gewerkscha­ftsbewegun­g „Solidarnos­c“führte.

Der Anfang in Danzig und Warschau wurde zum Fanal auch im übrigen Ostblock. Wojtyla selbst meinte in der Rückschau, der Baum sei bereits von innen verfault gewesen: „Ich habe nur noch ordentlich gerüttelt, und die faulen Äpfel sind zu Boden gefallen.“

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ZEICHNUNG: HARM BENGEN
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BILD: IMAGO Papst Johannes Paul II. Karol Jozef Wojtyla beim Besuch am 16. November 1980 in Fulda

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