Eingeschränkte Aussichten in Bella Italia
Corona-Virus stellt Europäischen Freiwilligendienst vor neue Herausforderungen
Holzfällen in Finnland. Arbeiten im Ökodorf in Griechenland. Das und noch viel mehr bietet der Europäische Freiwilligendienst. In Zeiten von Corona gibt es aber auch Hausarrest in Italien und Rückholaktionen in letzter Minute.
OLDENBURG – Irgendwann hat er sich sogar auf den Zahnarztbesuch gefreut. Für den 18-jährigen Tom Kurschat war Bella Italia auf einmal gar nicht mehr so schön. Denn er musste strenge Ausgangssperren auf Sizilien erleben. Dort, in der Stadt Catania, war der junge Mann im Freiwilligendienst für das Europäisches Solidaritätskorps (ESK) im Einsatz. Und dann kam Corona.
Bereits Anfang März schränkte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte die Bewegungsfreiheit der Bürger – zunächst im Norden des Landes – drastisch ein. Diese Entscheidung bekam nach und nach auch Tom Kurschat im Süden Italiens mit. Bis dahin hatte der 18-Jährige aus Augustfehn (Ammerland) schon sieben Monate in Catania verbracht. Elf waren geplant.
Vom Verein Jugendkulturarbeit in Oldenburg, der als sogenannte Entsendeorganisation für das ESK fungiert, war Kurschat Ende August 2019 nach Sizilien gesendet worden. Gleich nach dem Abi am Graf-Anton-Günther-Gymnasium (GAG). „Ich hatte noch keine Idee, was ich studieren wollte. Ich wollte mir ein Orientierungsjahr nehmen, aber auch was Soziales machen “, erzählt er. „Und eine neue Sprache lernen." Italienisch sollte es sein.
In Catania absolvierte der Ammerländer mit anderen Freiwilligen aus der Türkei und aus Deutschland in der Organisation „Ashram Multikulti“seinen Freiwilligendienst. Ziel dieser gemeinnützigen Organisation ist es, im kulturellen Austausch Menschen zusammenzubringen, soziale Angebote für Migranten anzubieten und Kinder aus sozial benachteiligten Familien
zu unterstützen. „Ein kleines internationales Restaurant gehört auch zu dem Verein“, erklärt Tom Kurschat. Über die Einnahmen des Lokals sollen die sozialen Aktivitäten finanziert werden. Und so half der junge Mann auch in der Küche mit. Er lernte die türkische und italienische Küche kennen, die italienische Kultur und die neue Sprache. „Was wichtig war, denn wir konnten an den freien Tagen Italien erkunden.“
Küche kalt ab 9. März
Alles änderte sich Anfang März. Erst musste das Restaurant schließen, dann wurde der Sprachunterricht gestrichen. Mit Matea Schirmacher aus Brake (Wesermarsch), die ihren Freiwilligendienst erst zwei Wochen zuvor begonnen hatte, bildete der Ammerländer eine Schicksalsgemeinschaft. Ab dem 9. März wurde dann eine fast vollständige Ausgangssperre verhängt, bei der man das Haus nur verlassen durfte, wenn man einen sehr guten Grund hatte. „Jeder musste einen Zettel mitführen, auf dem steht, wohin man geht, woher man kommt und einige Daten zu den Personalien.“
Nach einer Woche dieses Hausarrests, als klar war, dass sich an diesem Zustand so bald nichts ändern wird, fingen Tom und Matea an, nach
Rückflügen zu suchen. Dabei wurden sie vom Verein Jugendkulturarbeit unterstützt.
„Man wusste auch nicht, ob und wann es zu Schließungen der Flughäfen kommen würde“, erzählt der 18-Jährige und beschreibt die Lage so: „Flüge zu finden war nicht so einfach, da viele Flüge, die nicht mehr stattfanden, immer noch verkauft wurden. Der erste Flug, den wir nehmen wollten, existierte am nächsten Tag nicht mehr, er wurde storniert. Jugendkulturarbeit hat sich sogar mit dem Konsul in Messina und der Botschaft in Rom in Verbindung gesetzt. Wir mussten dann erst nach Rom fliegen, um dann von dort in Deutschland einzureisen.“
In Hamburg landeten Tom und Matea am 21. März. Und musste dann mit ihren Familien erst einmal zwei Wochen in häuslicher Quarantäne.
Abenteuer in Georgien
An diese Rückholaktion kann sich Dettmar Koch vom Vorstand des Vereins Jugendkulturarbeit in Oldenburg noch gut erinnern. Die Corona-Krise habe den Verein vor neue Herausforderungen gestellt, sagt er. „Georgien war das größte Abenteuer“, erzählt der 56-Jährige. Für die deutsche Teilnehmerin blieb nämlich gerade noch Zeit, den Koffer zu packen und ein Taxi zu rufen, um den letzten Flug
Einsatzort: die Stadt Catania auf Sizilien.
nach Deutschland zu erreichen.
Er habe seit Beginn der Pandemie sehr viele Telefonate geführt, so Koch. Er sei ständig mit den jungen Erwachsenen im Ausland in Kontakt. Auch, um ihnen die Brisanz der Krise klarzumachen. Nicht alle wollten zurück in die Heimat. So wie drei Teilnehmer auf der griechischen Insel Lesbos.
Andererseits ist der Verein auch eine Aufnahmeorganisation. Eine Polin, die in Oldenburg ihren Freiwilligendienst versah, arbeitet jetzt im Homeoffice in ihrem Heimatland weiter. „Auch eine interessante Rückreise“, sagt Koch und erzählt: „Sie wurde zur polnischen Grenze gefahren, ist dort zu Fuß rüber und musste dann erstmal in Quarantäne.“Nun organisiere sie von zu
Dettmar Koch vom Verein Jugendkulturarbeit
Hause aus Deutsch-Polnische Begegnungen.
Von Island bis Istanbul
Die Möglichkeiten, einen Freiwilligendienst für das Europäische Solidaritätskorps zu absolvieren sind riesig. „Einsatzorte von Island bis Istanbul“, sagt Dettmar Koch und fügt lachend hinzu: „Vom Holzfällen mit behinderten Menschen in Finnland bis zum Ackern im Ökodorf in Griechenland.“Seiner Meinung nach wäre es für die Zukunft der europäischen Gemeinschaft gut, wenn möglichst viele junge Menschen Auslandserfahrungen durch die Arbeit in anderen Ländern machten. Und nach Corona sei das ja auch wieder grenzenlos möglich.
Am Einsatzort
braucht man eine Aufnahmeorganisation, die die Freiwilligen betreut. Damit auch das klappt, hilft der Verein Jugendkulturarbeit. Rund 10 000 Aufnahmeorganisationen gibt es im europäischen Ausland.
Zur Vorbereitung
auf den Auslandseinsatz veranstaltet der Verein ein Kennenlernwochenende. Dabei wird dann auch geguckt, ob das Wunschprojekt im Wunschausland überhaupt zu einem passt. Man bekommt weitere Hilfestellungen und wichtige Tipps zu Rechten und Pflichten. In den ersten Wochen im Gastland wird man zu einem Einführungstraining eingeladen.
Seit 2007
ist der Oldenburger Verein im Freiwilligendienst aktiv. Jedes Jahr würden von hier etwa 18 Freiwillige ins Ausland entsendet und zwei bis vier aufgenommen, so Dettmar Koch; Kontakt per Mail an info@jugendkulturarbeit.eu
@ www.jugendkulturarbeit.eu